Seit vier Jahren unterrichtet Jiang Jiwei (30) in Beijing Chinesisch. Seine Schüler stammen aus der ganzen Welt, sie kommen zum Studium oder zum Arbeiten nach China. Wir sprachen mit ihm über seine persönlichen Eindrücke von seinen Schülern.
Beneidet Ausländer aus dem Westen manchmal um ihr freieres Leben: Chinesischlehrer Jiang Jiwei aus Chengde.(Foto von Maike Schulte)
Persönlicher Kontakt zu Ausländern (chinesisch: Waiguoren) ist für viele Chinesen nicht selbstverständlich. Bis zum Studium galt das auch für Jiang. „Ich bin in Chengde in der Provinz Hebei aufgewachsen, einer relativ kleinen Stadt mit wenig Ausländern", erzählt er. Auch in der Schule oder im Fernsehen spielte die Welt außerhalb Chinas damals keine große Rolle.
Erst während seiner Unizeit knüpfte er eigene Kontakte zu Nicht-Chinesen. In Kunming (Provinz Yunnan) und Guangzhou (Provinz Guangdong) studierte er Chinesisch als Fremdsprache, einen neu geschaffenen Studiengang. Zur Ausbildung gehörten auch eigene Unterrichtserfahrungen. Also gab er, selber noch Student, an der Uni Chinesischkurse für ausländische Studenten. „Sie waren schon entspannter als wir", berichtet er, „sie kamen in kurzen Hosen und Flipflops in den Unterricht." Ein echtes Kontrastprogramm zu den Philippinen, wo er im Rahmen seines Studiums ein halbes Jahr am Konfuzius-Institut arbeitete. „Der Chinesisch-Unterricht war dort eine Belohnung für besonders gute und ehrgeizige Schüler", erklärt er, „entsprechend strebsam verhielten sie sich."
Nach dem Studium gründete er mit einem Freund zusammen zunächst eine Sprachenschule in Beijing. Gleichzeitig arbeitete er weiter als privater Chinesischlehrer und bereiste so gewissermaßen die Welt. „Ich hatte Schüler aus Amerika, Japan, Frankreich, Irland, Deutschland oder Slowenien", erzählt er, die Palette reichte vom Studenten bis zum Botschaftsangehörigen. Seine Erfahrungen waren fast ausschließlich positiv. „Es gab nur einen Schüler, von dem ich den Eindruck hatte, dass er mit Arroganz auf China herabblickte", erinnert er sich.
Vor allem im Einzelunterricht entwickelte sich im Laufe der Zeit oft eine mehr freundschaftliche Beziehung zu den Schülern, mit vielen Diskussionen über unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen. Seine Einstellung zu Ausländern hat sich im Laufe der Zeit dadurch stark verändert. „Viele Chinesen denken, dass Ausländer zu verrückt und zu offen sind, vor allem sexuell gesehen. Oder dass sie nur nach China kommen, weil sie zu Hause gescheitert sind und sich hier in erster Linie amüsieren wollen", sagt er. Früher habe er selbst genauso gedacht.
Viele Vorurteile sind durch die Gespräche während des Unterrichts dahingeschmolzen. Mit einem japanischen Schüler habe er lange über politische Themen gesprochen, auch die unterschiedlichen Lebensentwürfe im Westen und in China waren oft Thema. „Ich vergleiche oft. Mein Eindruck ist, dass die Leute im Westen freier und unbeschwerter leben. Sie können nach der Uni ins Ausland gehen oder durch die Welt reisen", erzählt er. Seine Haupterklärung dafür: „Die Familie mischt sich weniger in die Zukunftsplanung ein. Bei uns gibt es Druck wegen Heirat, Wohnungskauf und Familienplanung." Und noch eine Eigenschaft gefällt ihm an den Westlern: „Die Kommunikation ist einfacher und direkter." Ein Vorbehalt aber ist geblieben: „Wenn ich chinesisch-ausländische Paare sehe, habe ich erst einmal ein ungutes Gefühl", gesteht er.
Zurzeit gibt Jiang neben privaten Chinesischstunden Sprachkurse für die Englischlehrer einer Privatschule in Beijing und trainiert gleichzeitig deren chinesische Kollegen in der Kommunikation mit den Ausländern. Die Arbeitsmenge nimmt zu, da sein Chef sehr zufrieden mit ihm ist. „Ich denke, das liegt an meiner guten Ausbildung", meint er, „viele Chinesen, die sich in Beijing als Sprachlehrer anbieten, meinen, dass es schon ausreicht, Muttersprachler zu sein."
Jiang mag seine Arbeit. Einen Traum hat er aber noch: eine eigene Englischschule für die Kinder in seiner Heimatstadt. „In Beijing gibt es schon eine Menge solcher Schulen. In Chengde aber könnte ich etwas ganz Neues aufbauen und so Kindern mehr Chancen für die Zukunft bieten", hofft er. |