Am 22. März berichteten „New York Times" und „Spiegel" gleichzeitig von einer digitalen Großoffensive der amerikanischen Regierung gegen China. Dabei seien auch die chinesische Staatsführung und der Huawei-Konzern ins Visier genommen worden. Das ging aus Unterlagen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden hervor, die der „Spiegel" einsehen konnte. Zu den Zielen, die der US-Geheimdienst attackierte, zählen der ehemalige Staatspräsident Hu Jintao, das chinesische Handels- und Außenministerium, Banken sowie Telekommunikationsunternehmen.
Besonderen Aufwand betrieb die NSA im Fall des Huawei-Konzerns, der mit rund 28 Milliarden Euro Jahresumsatz der zweitgrößte Telekommunikationsausrüster_ der Welt ist. Anfang 2009 startete die NSA eine umfangreiche Operation gegen das Unternehmen, das als einer der größten Konkurrenten des amerikanischen Unternehmens Cisco gilt. Einer Spezialeinheit des US-Nachrichtendienstes gelang es, an rund 100 Stellen das Computernetzwerk von Huawei zu infiltrieren und unter anderem eine Liste mit mehr als 1400 Kunden sowie interne Dokumente für das Training von Ingenieuren zu kopieren.
China hat mit Empörung auf die Cyber-Attacken der USA reagiert und eine Erklärung verlangt. Die Berichte brachten die schon beinahe in Vergessenheit geratene NSA-Spionage wieder ins Bewusstsein der aufgebrachten Öffentlichkeit.
Im letzten Jahr hatte Snowden die Abhöraktionen der US-Regierung sowohl gegen amerikanische Bürger als auch gegen die politische Führung verbündeter Staaten wie Deutschland, Frankreich, Israel enthüllt und für einen Skandal gesorgt. Betroffene Bürger und Länder forderten ein Ende der Abhöraktionen, eine Erklärung und eine Entschuldigung. Die US-Regierung blieb dies schuldig.
US-Regierungsbeamte erklärten, das Abhören diene der Terrorismusbekämpfung und werde aus Sicherheitsgründen betrieben. China zeigte Verständnis für den Wunsch der amerikanischen Regierung, ihre Bürger und ihr Territorium zu schützen. Im Verlauf seiner Geschichte wurde das Land nur selten von außen angegriffen. Die Attacke auf Pearl Harbour im Jahr 1942 ist eine der traurigen Ausnahmen. Der Terrorangriff vom 11. September 2001 schockierte die ganze Welt, die Terrorismusbekämpfung wurde seitdem fieberhaft betrieben. Beide Ereignisse waren Katastrophen für die gesamte Menschheit, das Gefühl der Bedrohung stieg. Die Regierung intensivierte das Sammeln von Informationen über mögliche Bedrohungen.
Allerdings kann die Terrorbekämpfung nicht als Grund für willkürliche Abhöraktionen und jeglichen Moralverzicht herhalten. Das Ausspionieren der eigenen Bürger und anderer Länder (von 190 Ländern wurden 122 auf Regierungsebene ausspioniert) geht darüber deutlich hinaus. Und das Ausspionieren von Geschäftsgeheimnissen ist gesetzlich verboten.
Einige Regierungsbeamte behaupten zu ihrer Verteidigung, legal gehandelt zu haben. Wir wissen nicht, worauf sie diese Annahme stützen. Selbst innerhalb der USA verstößt das Abhören von Bürgern gegen das Gesetz, ganz zu schweigen vom Ausspionieren fremder Regierungen. Vom diplomatischen Protokoll her ist es sowieso unverständlich. Wenn es bei der Legalität um den Artikel des amerikanischen „National Security Act" geht, der nach dem 11. September hinzugefügt wurde, ist das noch schwerer nachzuvollziehen. Wie kann man per Gesetz gegen die Regierung anderer Länder vorgehen? Das verstößt gegen internationale Normen und tritt die Ehre der internationalen Gemeinschaft mit Füßen. Kein zivilisiertes Land sollte sich so verhalten.
Die Spionageaktivitäten amerikanischer Geheimdienste sind für die Chinesen ein Zeichen dafür, wie hinfällig die Kritik der US-Regierung an China ist. Vor dem Abhörskandal des letzten Jahres warf Amerika China mehrfach Hackerangriffe, z.T. mit militärischem Hintergrund, vor. Damit wurde Druck auf China ausgeübt. Aber nun ist klar, dass die USA selbst verantwortlich für Hackerangriffe sind. Sie haben nicht nur China, sondern die ganze Welt attackiert.
Zuvor hatte Amerika China „Internetspionage" und Cyber-Attacken auf Unternehmen vorgeworfen. Aber gleichzeitig spionierte Amerika mehrere chinesische Banken und Unternehmen wie Huawei aus. Die Doppelmoral der US-Regierung ist offensichtlich.
Die Gründe der Spionageaktionen sind für viele Chinesen offensichtlich. Aufgrund seines Aufstieges nimmt Chinas Einfluss auf Asien und die ganze Welt zu. Die amerikanische Staatsführung ist angesichts dieser Entwicklung auf der Hut und braucht Informationen über Aktionen und Pläne der chinesischen Staatsführung. Aus diesem Grund wurden die Telefone der chinesischen Staatsführung abgehört.
Die Beziehungen zwischen Staaten gleichen denen zwischen Menschen. Es gibt einen „Spiegel-Effekt". Die USA brauchen Sicherheit, aber Voraussetzung dafür ist, dass sie den anderen Sicherheit geben und ihr Vertrauen gewinnen. Der Spionageskandal zeugt von einem krankhaften Misstrauen, da selbst eigene Bürger und Freunde verdächtigt werden. Eine feige Paranoia hat sich ausgebreitet, das Abhören soll Beruhigung bringen.
Man braucht Behandlung, wenn man krank ist. Das gilt auch für eine kranke Regierung. Die amerikanische Regierung sollte sich um ihre geistige Verfassung kümmern. Das sollte mit einer Erklärung an die Welt und mit einer Entschuldigung für die Abgehörten beginnen. Wir wissen nicht, ob die amerikanische Regierung diesen Mut zur Selbstrettung hat, oder nicht. |