15-01-2014
Im Focus
Der Besuch des Yasukuni-Schreins rückt Shinzo Abe und Japan in ein noch negativeres Licht
von Huang Xingyuan (chinesischer Botschafter in Trinidad und Tobago)

Am 26. Dezember 2013 besuchte Japans Premierminister Shinzo Abe den Yasukuni-Schrein in Tokio.

Meine Tochter, die in Japan an der Waseda-Universität studiert, stellt mir oft diese Frage: „Die meisten Japaner, die mir im Alltag begegnen, erscheinen recht freundlich. Der japanische Premierminister Shinzo Abe ist in Japan auch sehr beliebt. Aber wieso sind die Chinesen immer so skeptisch und behaupten, dass Japan rechtsextremistisch sei?"

Auch Shigeru Ishiba, der amtierende Generalsekretär und ehemalige Verteidigungsminister der Liberaldemokratischen Partei Japans, hatte mir auf einer chinesisch-japanischen Konferenz die Frage gestellt, wieso die Chinesen trotz japanischer Bemühungen nach friedlicher Zusammenarbeit in den letzten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg dennoch darauf bestünden, dass Japan zum Militarismus zurückkehre?

Der japanische Moderator Tahara Souichirou fragte mich ebenfalls: „Die chinesisch-japanischen Beziehungen waren lange unbeständig, bevor sie sich endlich entspannte. Wieso diese mit Mühe aufgebaute Beziehung wieder zerstören?" 

Was Japans Rechtsradikalismus betrifft, so hat ihn China nicht frei erfunden – es gibt Tatsachen, die seine Existenz bestätigen. Vor 25 Jahren, als ich das erste Mal in Osaka arbeitete, versammelten sich viele Rechtsradikale vor der chinesischen Botschaft und randalierten. Als Leiter des Büros musste ich oft die dortigen japanischen Beamten und Polizisten kontaktieren und sogar teilweise mit den revoltierenden Rechtsextremisten direkt sprechen. Damals verhielten sie sich noch einigermaßen sittsam, da die breite Bevölkerung diese Gruppe nicht akzeptierte und isolierte. Heutzutage jedoch verhalten sich die Rechtsradikalen wie „wilde Tiere" – von lautem Brüllen bis hin zur Erstürmung der Botschaft, sie schlagen Fenster und Türen ein und setzen Gebäude in Brand. Das Entscheidende dabei ist, dass bei den neuerdings veranstalteten rechtsradikalen Demonstrationen eine nicht geringe Anzahl an Zivilisten daran teilnahm. Ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass die Rechtsextremisten nun wirklich auf mehr Sympathie stoßen, oder ob es bloß daran liegt, dass die japanische Bevölkerung seit langer Zeit mit einem wirtschaftlichen Abschwung zu kämpfen hat und aus Frustration ein Ventil zum Stressabbau sucht.

Ich gucke seit über zehn Jahren, schon allein aus beruflichen Gründen, regelmäßig japanische Nachrichten. Die japanischen Medien wimmeln nur so von rechtsradikalen Äußerungen. Mal von der Tageszeitung „Sankei Shimbun" abgesehen, die seit jeher rechtsgeprägt ist, so haben selbst die bislang immer als sehr gerecht und neutral geltenden Zeitungen „Yomiuri Shimbun" und „NHK" sich oft zu negativen Kommentaren  und rechtsradikalen Schmähreden hinreißen lassen. Kein Wunder also, dass ein Journalist, den ich seit langem schon als ziemlich rechtsgerichtet ansehe, behauptet, dass er von seinen Kollegen in Japan als zu „Pro-China" beschimpft und dazu angehalten werden wurde, sich dem Trend, der in den Medien herrscht, anzupassen.

Wenn man die japanische Politik betrachtet, so erkennt man auch hier eine Tendenz zum Rechtsradikalismus. Wurden Politiker früher noch wegen extremer, die außenpolitischen Beziehungen gefährdenden Aussagen und undiplomatischem Fehlverhalten getadelt oder sogar entlassen, so gewinnen Politiker heutzutage für das gleiche Verhalten sogar mehr Stimmen für sich.  

Dann gibt es noch das Problem der Lehrmaterialien. Trotz vehementer Kritik auf internationaler Ebene hält Japan seit Jahren an Unterrichtsmaterialien fest, die den Krieg verherrlichen. Kann man da noch behaupten, dass ein Land, das von rechtsradikalen Gruppierungen bis hin zum rechtsradikalen Staatsführer, von den Medien bis hin zu Schulmaterialien, die rechtsextremistisch geprägt sind, nicht rechtsextremistisch ist?

Während meiner fünf Jahre in Japan hat der ehemalige Ministerpräsident Koizumi den Yasukuni-Schrein insgesamt sechs Mal besucht. Mir war durchaus bewusst, dass man als Politiker und vor allem als Regierungschef dieses Landes diesen Ort strengstens meiden sollte. Auf Chinesisch gibt es ein Sprichwort, das die Angst und Paranoia bezeichnet, die nach einem einschneidenden Vorfall herrscht: „Einmal vom Schlangen gebissen, zehn Jahre Angst vorm Seil". Wenn man sich Japans Geschichte anschaut, die von blutrünstigen Angriffen und gewaltsamer Unterwerfung geprägt ist, so ist es nicht verwunderlich, dass man misstrauisch ist, wenn der japanische Premierminister, der ohnehin schon rechtsextremistisch ist und eine falsche Ansicht zur Geschichte hat, den Yasukuni-Schrein besucht, um für Frieden zu beten. Wenn man sich zudem die neuerdings gebilligte Verfassungsänderung sowie die Genehmigung des besonderen Geheimschutzgesetzes ansieht, so kann man es den ehemaligen Opferländern nicht übel nehmen, dass sie Japan eine Wiederkehr zum Militarismus vorwerfen.

Die chinesisch-japanische Beziehung wird durch eine emotionale Bindung und gemeinsame Interessen gefestigt. Nun müssen wir leider feststellen, dass diese ohnehin eher fragile Beziehung oftmals eigenhändig durch das Regierungschef des Landes belastet wird. Wenn nun die emotionale Bindung bereits zerstört ist, was ist mit gemeinsamen Interessen? Wir scheuen uns nicht vor kleinen Konflikten, aber bei aus purer Absicht kreierten Problemen, vor allem, wenn es um Chinas Kerninteressen und die bilateralen Beziehungen geht, sind wir weniger verständnisvoll.

Nach Abes Wiederwahl zum Premierminister und seinem anschließenden Amtsantritt am 26. Dezember 2012 habe ich damals in der japanischen Zeitschrift „People China" und in der chinesischen „Global Times" Artikel veröffentlicht, in denen ich Abes Wiederwahl mit der Öffnung der Büchse der Pandora verglich. Ein Jahr danach erwies sich diese Aussage als durchaus berechtigt. Ich habe drei Ratschläge für Abe: 1. Was territoriale Fragen angeht, sollte er nicht alles auf eine Karte setzen. 2. Was den Schreinbesuch betrifft, sollte er kein unnötiges Risiko eingehen. 3. Er sollte nicht zu selbstgefällig und arrogant sein und Probleme nicht auf andere Länder abwälzen oder auf Kosten anderer skrupellos eigene Ziele verfolgen.

Mir ist durchaus bewusst, dass Abe meine Ratschläge nicht befolgen wird, auch wenn er mir hat ausrichten lassen, dass er meinen Artikel gelesen hätte. Er sollte aber zumindest auf die Stimmen seiner Landsleute und den internationalen Tenor hören. Außerdem sollte er die Zukunft Japans mit in Erwägung ziehen und sie auf keinen Fall weiter den Bach runtergehen lassen.

Ich hätte da noch eine Frage an Shinzo Abe: Der Schreinbesuch verstößt nicht nur gegen Japans eigene politische Richtlinie, sondern vor allem gegen die internationalen Werte. Folglich leidet Japans Status darunter und sein Ansehen in China, Südkorea und sogar den USA leidet darunter. Mit einem Staatsführer, der sich keinerlei Gedanken macht um die Meinungen anderer und eindeutig rechtsgerichtet ist, kann Japan da noch in der globalen Arena eine wichtige Rolle einnehmen? Kann man Japan noch weiterhin vertrauen?