01-03-2013
Im Focus
Was bringt der Tagungsmarathon von NVK und PKKCV?
von Mei Xinyu

(Der Autor ist Kommentator bei der Beijing Review und Forschungsrat an der Chinesischen Akademie für Internationalen Handel und Wirtschaftliche Zusammenarbeit)

 

 

 

Arbeiten für die Zukunft: Produktionsstraße für LKW-Teile in Baotou (Innere Mongolei).

 

Vor zwei Jahrzehnten waren Ökonomen, vor allem außerhalb Chinas, problemlos in der Lage, globale Wirtschaftstrends genau vorherzusagen, ohne einen Blick auf die Tagungen des Parteitags der KP Chinas, des Nationalen Volkskongresses (NVK) und der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV) zu werfen. Heute kann ein scharfsichtiger Marktbeobachter kaum noch darauf verzichten.

China allein sorgte 2011 und 2012 für die Hälfte des globalen BIP-Wachstums. Laut Weltwirtschaftsausblick, den der Internationale Währungsfonds im vergangenen April veröffentlichte, war China 2011 für 14,3 Prozent des weltweiten BPI verantwortlich, fast so viel, wie die gesamte Eurozone erwirtschaftete. Das zeigt, dass NVK und PKKCV, die Anfang März tagen, nicht nur über die Ausrichtung von Chinas wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung entscheiden, sondern auch weltweite Wirtschaftstrends beeinflussen werden.

 

Führungswechsel

Meine größte Erwartung an die diesjährigen Tagungen von NVK und PKKCV lautet, dass der Führungswechsel, der beim 18. Parteitag im November letzten Jahres eingeleitet wurde, problemlos zu Ende gebracht wird. Das wird sich auch weltweit positiv auswirken.

Denn es sieht nicht so aus, als ob die europäische Staatsschuldenkrise bald enden wird. Der US-Wirtschaft ist es gerade eben gelungen, eine finanzpolitische Hürde zu nehmen. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2011 gab es einige Turbulenzen in den Schwellenländern.

Eine unruhige Wirtschaftslage verlangt normalerweise nach einer starken Intervention der Regierung, um eine Katastrophe zu verhindern. Es gab eine Menge Lektionen in dieser Hinsicht, eine davon betrifft Japan. Die ehemalige Überflieger-Nation war in den 1980er Jahren kurz davor, die US-Wirtschaft zu überflügeln. Nachdem die ersten Wirtschaftsblasen platzten, fiel das Land jedoch in eine Depression und hat sich seitdem nicht mehr von den „zwei verlorenen Jahrzehnten" erholt. Natürlich kann man Wirtschaftsfaktoren dafür verantwortlich machen, aber eine Schlüsselrolle spielten häufige Regierungswechsel. Auch in der EU ist das Fehlen einer starken Führung ein allgemein anerkannter Grund für die Unfähigkeit zur Bewältigung der Schuldenkrise. Da sie diese Lektionen begriffen haben bzw. hatten, setzen viele Länder ihre Hoffnung auf einen glatten Machtwechsel und ein stabiles Wachstum in China, damit sich die globale Wirtschaft stabilisieren kann.

Der Führungswechsel wird in China für langfristige politische Stabilität und Kontinuität sorgen. Das Land hat seit der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 beachtliche wirtschaftliche Erfolge erzielt, vor allem seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in den späten 1970er Jahren. Gemessen am BIP ist China zurzeit die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt.

Erfolge der Vergangenheit sind allerdings keine Garantie für Entwicklungen in der Zukunft. Viele Entwicklungsländer erlebten im 20. Jahrhundert einen wirtschaftlichen Höhenflug, aber nur eine kleine Zahl stieg zur Industrienation auf. Von 108 Ländern, deren Pro-Kopf-Einkommen 1970 unter 7000 Dollar lag, hatten sich nach Weltbank-Standards nur vier bis 2010 zu Ländern mit hohem Einkommen entwickelt. Drei davon, nämlich Antigua und Barbuda, Äquitorial-Guinea und Malta, sind Insel-Staaten mit kleiner Bevölkerung und Fläche. Äquatorial-Guinea verfügt außerdem über große Ölvorkommen. Dennoch litten Antigua und Barbuda sowie Äquatorial-Guinea sozial gesehen unter vielen Fehlentwicklungen. Nur in Südkorea, dessen Bevölkerung eine vergleichbare Größe, aber eine Fläche 100.000 Quadratkilometern hat, fand neben parallel zum Wirtschaftswachstum auch eine gesunde soziale Entwicklung statt.

Innere Unruhen waren der Hauptgrund dafür, dass der Fortschritt in vielen Entwicklungsländen ein Ende fand, Regierungswechsel entfachten zahlreiche soziale und politische Konflikte. China hat in dieser Hinsicht eigene bittere Erfahrungen machen müssen. Daher sind die Sicherstellung der Stabilität des politischen Systems und ein glatter Führungswechsel Voraussetzungen für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes.

 

Kontinuität und Veränderungen

Zahlreiche selbstverschuldete Rückschläge sind Ursache für Katastrophen und Chaos in vielen großen Staaten. Verglichen mit anderen bedeutenden Volkswirtschaften hat Chinas politisches System den großen Vorteil, die Beständigkeit wichtiger politischer Strategien garantieren zu können. 2012 vollzog die Partei einen problemlosen Führungswechsel. Es besteht kaum Zweifel daran, dass das gleiche auch während der kommenden Sitzungen des NVK und der PKKCV geschehen wird.

Kontinuität zu wahren, bedeutet nicht, die Notwendigkeit von Veränderungen zu ignorieren. Chinas nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung beruht zunehmend auf der   Veränderung des Wachstumsmodusund soziale Stabilität auf einer gerechten Einkommensverteilung. „Ein entscheidender Punkt bei der Untersuchung der nationalen Entwicklung und der nationalen Stärke ist es, nicht auf Indikatoren wie das BPI zu schauen, sondern zu sehen, wohin die Gewinne gehen und wie sie unter den Arbeitskräften  verteilt werden", sagt Zhang Wenmu, Professor am Strategischen Forschungszentrum der Beijinger Universität für Luft- und Weltraumfahrt. 

 

Anstehende Probleme

Der Parteitag der KP Chinas hat einen Plan zur  Veränderung des chinesischen Wachstumsmodus auf den Weg gebracht und das Ziel formuliert, das Pro-Kopf-BIP und das Einkommen bis 2020 auf das Doppelte des Niveaus von 2010 zu heben.  Das sind hehre Ziele. Die Veränderung des Wachstumsmodus wird aber tiefgehende Veränderungen für viele Menschen im Land mit sich bringen. Die Auswirkungen werden keinesfalls nur positiv sein. Wir sollten gut auf die Konsequenzen vorbereitet sein. Die Chinesen mit hohem Einkommen müssen damit rechnen, dass sie nicht mehr überproportional mehr verdienen als die Bevölkerungsmehrheit. Auch  durchschnittlich Verdienende müssen mit Einbußen rechnen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. In den vergangenen zwölf Jahren haben sich die städtischen durchschnittlich Verdienenden   an billige Haushaltskräfte und Besuche in Mittelklasse-Restaurants gewöhnt, weil die Arbeitskosten niedrig waren. Da die Löhne, vor allem in der großen Gruppe der Geringverdiener, steigen werden, werden durchschnittlich Verdienende künftig mit Sicherheit mehr ausgeben müssen, um ihren Lebensstandard zu halten. Die schnell steigenden Kosten für Haushaltsdienstleistungen und in der Catering-Branche haben dies in den jüngsten Jahren bereits gezeigt.

China muss zudem weitere schwerwiegende Probleme bewältigen, dazu zählen regionale Entwicklungsunterschiede, Korruption und Umweltverschmutzung. Keins dieser Probleme ist leicht lösbar. Dennoch gibt es Grund genug, in den gewählten Entwicklungskurs zu vertrauen. Es ist davon auszugehen, dass die Teilnehmer der diesjährigen Tagungen des NVK und der PKKCV und die designierte Führungsspitze besser als jemals zuvor auf die Herausforderungen vorbereitet sind.