22-02-2013
Im Focus
Nationaler Volkskongress: Chinas Führung greift nach der Zukunft
von Kerry Brown

 Im Fokus stehen Wachstum, Bildung und weitere wichtige Themen

  

Für die meisten Nicht-Chinesen ist der politische Kalender Chinas ein Rätsel. Das liegt zum Teil an fehlendem Wissen über die Regierungsstrukturen des Landes. Es gibt Ministerien, und es gibt die Kommunistische Partei Chinas, so viel weiß man im Ausland. Viele haben vielleicht den 18. Parteitag Ende letzten Jahres verfolgt und angenommen, dass damit alle Führungswechsel erledigt seien. Aber wenn man Europäern oder Amerikanern klar macht, dass noch eine ganze Reihe von Machtwechseln auf dem Nationalen Volkskongress (NVK) bevorstehen, verwirrt das die meisten zweifellos. Dabei ist es am einfachsten, die Funktion des NVK zu erklären, wenn man ihn sich ähnlich wie ein Parlament vorstellt.

Mindestens genauso hilfreicher ist es zu wissen, dass der NVK durch den Staatsrat (hier sitzen die Spitzen von Ministerien und Regierungsorganen) direkt mit der Regierung kommuniziert. Das heißt, dass er bei seinen jährlichen Treffen vor allem die Regierungspläne für das kommende Jahr diskutiert, daher die Parallele zum Parlament in anderen politischen Systemen. Der NVK prüft und diskutiert Vorschläge und gibt einen Einblick in die öffentliche Meinung und Regierungsabsichten zu Themen, über die eine Entscheidung ansteht. 

 

Machtwechsel

Hauptzweck der diesjährige NVK wird es sein, ein wenig mehr darüber zu verraten, wie die neue Führung in politischer Hinsicht aussehen wird. Der Übergang vom letzten Zentralkomitee mit Hu Jintao als Generalsekretär zum aktuellen ZK unter Xi Jinping fand während des Parteitags im vergangenen November statt. All das ist Teil einer längeren Übergangsphase. Jetzt, da die wichtigsten Positionen im Ständigen Ausschuss des Politbüros, im Politbüro und im Zentralkomitee besetzt sind, ist es Zeit für den Machtwechsel. Dieser findet während des NVK statt. Ein neuer Premier wird bekannt gegeben, einige neue Minister und Vizeminister ebenso. Am Ende dieses Procedere werden die Wechsel in Partei und Regierung vollständig abgeschlossen sein, zumindest auf zentraler Ebene. Mit Abschluss des NVK werden wir also Bekanntschaft mit einem weitgehend neuen Team machen.

Seine Mitglieder kennen zu lernen, ist wichtig. Die Eurokrise mag sich abschwächen und die US-Wirtschaft ein wenig wachsen, aber die weltweite Konjunktur bleibt schwach. Seit 2008 haben wir es mit harten Zeiten zu tun. Chinas Rolle als ökonomischer Stabilisator ist notwendig, jetzt genau wie damals, als der Kollaps von Lehman Brothers und die Ankündigung einer großen Finanzimplosion die Welt schockten. China erwirtschaftet weiterhin einen großen Teil am weltweiten BIP-Wachstum. Die Entscheidungen der neuen Regierung hinsichtlich Wirtschaft, Immobilienmarkt und Zinsraten werden sowohl national wie international von Bedeutung sein.

Während dieses NVK werden wir natürlich auch erfahren wollen, welche Reformen die Regierung in sozialer und ökonomischer Hinsicht plant. Wir wissen, dass der zwölfte Fünfjahresplan (2011 – 2015) der alles überspannende makroökonomische Rahmen ist, der die wichtigsten Zusagen der Regierung bis 2015 enthält. Davon ausgehend suchen wir aber auch schon nach Hinweisen für mögliche Inhalte des Folgeplans. Der zwölfte Fünfjahresplan galt als der umweltfreundlichste, den China je präsentiert hat. Aber Wasser- und Luftqualität, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und die schlechte Energieeffizienz sind weiterhin Riesenprobleme. Investitionen in saubere und erneuerbare Technologien müssen sich deutlich erhöhen.

Das gilt auch für Investitionen in die Bildung. In den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil des BIP, der für Bildungszwecke ausgegeben wurde, gestiegen, vor allem Schulen auf dem Land profitierten davon. Auf Tertiärebene besucht ein wachsender Teil der Chinesen Universitäten. Aber die Aufgabe, Bildung in der gesamten Gesellschaft vom primären bis zum tertiären Niveau sicherzustellen, bleibt bestehen. Ohne diese Investition in das Humankapital lässt sich der Wunsch nach einer serviceorientierteren Wirtschaft mit einer spezialisierten Produktion mit höherer Wertschöpfung nicht erfüllen. Die Nachfrage nach immer besser ausgebildeten Arbeitskräften wird in den nächsten Jahren steigen. Der NVK wird daher wahrscheinlich erwägen müssen, mehr Ressourcen für diesen kritischen Bereich zu veranschlagen.

Der 12. Fünfjahresplan und der vorherige NVK befassten sich außerdem mit dem Thema gesellschaftliche Verwaltung (Sozialmanagement ). Die Ausgaben für die öffentliche Sicherheit -- wie für die Polizei -- sind hoch. Denn die Schlichtungskosten für die zunehmenden Streitigkeiten um Ansprüche auf Land, öffentliche Güter oder andere Sachwerte steigen. Es  muss weiter in soziale Infrastruktur und Methoden, die für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen, investiert werden. Die Schaffung einer Stakeholder Society, in der Menschen mehr Verantwortung für ihre Angelegenheiten übernehmen können, ist eine Etappe auf dem Weg in ein Land, das ein mittleres Einkommensniveau und eine Verdopplung des Pro-Kopf-BIP bis 2020 anstrebt.  

Systeme in einer Gesellschaft zu etablieren, die zwischen verschiedenen Einkommensgruppen vermitteln und Harmonie zwischen ihnen schaffen, braucht seine Zeit. Vor allem die Diskussionen auf dem diesjährigen NVK über Landrechte, Renten oder die Reform der Haushaltregistrierungen werden wichtig sein. Jedes dieser Themen stellt eine große politische Herausforderung dar und wurde bereits in der Vergangenheit heftig diskutiert. Wichtig ist jetzt, etwas Einsicht darüber zu gewinnen, in welche Richtung sich die neue Führung bei den Reformen bewegen will und wie sie dabei auf dem Vermächtnis ihrer Vorgänger aufbauen wird.

1   2   >