Zu einer Chinesischen Neujahrsfeier in Beijing gehört der Besuch eines Tempelmarktes unbedingt dazu. Es ist die beste Möglichkeit, in die chinesische Alltagskultur einzutauchen sowie Volksfeststimmung und das Feilschen auf dem Markt gleichzeitig zu genießen. Wer ein schwaches Herz hat, sollte sich den Ausflug allerdings gut überlegen. Nicht so sehr wegen des Lärms, sondern wegen des Gefühls, in einer Zwangsjacke zu stecken und als Teil einer riesigen menschlichen Flutwelle gegen den eigenen Willen fortbewegt zu werden. Einen Vorteil hat das Ganze: Bei dem engen Körperkontakt muss niemand bei den eisigen Temperaturen frieren.
Mindestens tausend Jahre lang gibt es die Tempelmärkte schon, einige haben ihre traditionelle Verbindung zu religiösen Neujahrsritualen behalten: Am Tempelmarkt von Ditan eilen die Menschen mit Räucherstäbchen, die sie zuvor von fromm dreinblickenden Verkäufern erworben haben, zum Zentrum des Parks. Nachdem sie geduldig in langen Schlangen ausgeharrt haben, verbeugen sie sich kunstvoll drei Mal vor dem Altarfeuer, wie es das Ritual verlangt, und bitten um Gesundheit und Reichtum im neuen Jahr. Der Altar war einst dem Kaiser vorbehalten, dort stand er und bot dem Gott der Erde Opfergaben, damit er dem Reich der Mitte seinen Segen gab.
Die bei weitem größte Attraktion des Marktes aber ist das Essen – fantastisches Essen. Von einer ganzen Ziege am Spieß bis hin zu Mongolen mit nacktem Oberkörper und Cowboyhüten, die die Menge mit Lammspießen verführen und Frauen, die Tintenfisch gegen einen brutzelnden Grill klatschen – durch die Luft schwirren Rauchschwaden, die nach unterschiedlichsten Gewürzen duften. Einzelne Grüppchen bilden kleine Inseln inmitten des Menschenstroms, schmatzen und schlürfen eine unvorstellbare Vielfalt an Snacks, und sind für einen kurzen aber glückseligen Moment des Genusses still.
Begeisterte Verkäufer mit pinken Perücken und dämonischen Gummimasken schreien ihre Angebote heraus, während die allgegenwärtigen bunten Windmühlen den Leuten ins Gesicht flattern. Es gibt Stände mit Kunst, Kunsthandwerk und allen möglichen Waren im Überfluss, daneben einige Bühnen mit einem bunten Angebot an traditionellen Aufführungen.
Rezitationen aus Peking-Opern wechseln sich ab mit farbenfrohen Tänzern auf hölzernen Stelzen, die über der begeisterten Menge zu schweben scheinen. Weiter auf der Ostseite des Parks gibt es jeden Tag eine Show mit bizarren Schlangennummern. Die Reptilien verschwinden in menschlichen Nasen und kriechen über attraktive Models, die völlig unbeteiligt auf dem Boden liegen, ohne von den ungläubigen Blicken des Publikums Notiz zu nehmen.
Wer von einer Attraktion zur anderen geht, lernt schnell, mit der Menge eins zu werden und hin- und herzuwogen. Vergiss den Gangnam Style, hier herrscht der hausgemachte Tempelmarkt Shuffle. Er führt zum Spielzeug-Land, ein Bereich, der einem knallbunten Plüschtier-Planeten ähnelt: Teddy- und Pandabären, Ochsen und sogar Krokodile, die Plüschtiere der Wahl stehen jeweils für ein chinesisches Sternzeichen.
Rote Laternen und Papierschirme hängen dicht nebeneinander in der Luft und bringen Farbe in das deprimierende Grau des Beijinger Winters. Viele kleine Pausen sind nötig, um sich während des Flanierens über den Markt zu erholen, und wenn Sie das Bedürfnis verspüren, jemand anderem die Last des eigenen Körpers aufzuerlegen, hüpfen Sie einfach auf eine alte Sänfte und lassen Sie eine rotgekleidete Truppe ihre Last schultern. Eins ist garantiert: Auffallen werden Sie in jedem Fall und für einige Minuten eine kleine Berühmtheit auf dem Markt sein.
So stressig ein Besuch auch sein kann, ist der Tempelmarkt ein Erlebnis, dass man auf keinen Fall verpassen sollte. Und eins ist sicher: Einsam werden Sie sich dort auf keinen Fall fühlen!