Ortsbestimmung
"China hat einen guten Nährboden für „lebendige Büchereien", denn Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund sollten wirklich miteinander sprechen", sagt Wang Zizhou, Professor am Fachbereich Informationsmanagement der Universität Peking. Wang und sein Student Wu Hanhua sind dafür bekannt, dass sie die Idee der „lebendigen Bücherei" als erste nach China gebracht haben.
Für Wang zählen Wanderarbeiter, Krebspatienten, Volkskünstler und behinderte Menschen zu den idealen „lebenden Büchern".
Chen Shiyu, eine Studentin aus der Provinz Shandong, hat eine viel längere Liste zusammengestellt und Homosexuelle, HIV-Erkrankte, Prostituierte und Drogenabhängige hinzugefügt. Aber sie war enttäuscht, dass niemand aus diesen Gruppierungen bereit war zu erscheinen. Nur wenige der Schirmherren der I-Think Library, die sie im vergangenen Oktober gründete, seien außerdem interessiert daran, mit sozialen Außenseitern zu sprechen.
"Der Zweck der ´lebendigen Büchereien, ist es, Vorurteile zu beseitigen. Aber das scheint in China nicht zu funktionieren", sagt Chen. „Wenn ich „Leser" frage, ob sie Vorurteile haben, sagen sie immer „Nein". Ich glaube, sie wissen nicht einmal, dass sie welche haben."
Chen lud einmal einen Stadtverwaltungsbeauftragten in seine Bibliothek ein. Aber sobald er sich hingesetzt hatte, wurde er von den Lesern mit harschen Worten angegangen, da Berichte über das Fehlverhalten städtischer Mitarbeiter bekannt geworden waren. „Die Veranstaltung geriet fast außer Kontrolle und der Mann musste peinlicherweise den Raum verlassen", so Chen.
Erfolgreiche Menschen, wie Unternehmer, scheinen dagegen immer beliebt zu sein, einige sind aber vor allem bedacht darauf, junge Leute zu beeindrucken, indem sie mit ihren Erfolgen angeben.
Als ein Staatsbeamter von einer Wohltätigkeitsreise berichtete, wurde er Berichten zufolge am meisten darüber befragt, wie man am besten die Prüfung für den Staatsdienst bestehen könne.
Eine weitere Herausforderung, vor der auch viele normale Büchereien stehen, ist die Finanzierung. Chen hält Human-Library-Events jedes Mal an einem anderen Ort ab, da sie sich einen festen Veranstaltungsort nicht leisten kann.
"Meine Kollegen und ich haben fast all unser Geld in die Bücherei gesteckt", sagt Li. "Wir kommen nicht einmal über die Runden, geschweige denn, dass wir Profit machen."
Li ist trotzdem immer noch glücklich mit dem Programm. „Die Bücherei ist jetzt wie mein Zuhause, alle Freunde hier sind eine große Familie", erzählt Li und fügt hinzu, dass einige Leser zusätzlich Geld anboten, als sie von den finanziellen Schwierigkeiten der Bücherei erfuhren.
"Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn ich nur über die Runden kommen könnte. Auch wenn ich das nicht schaffe, werde ich die Bücherei betreiben, bis ich keinen Cent mehr in der Tasche habe", sagt sie. |