Chinas Wirtschaft hat ein Jahrzehnt einzigartigen Wachstums erlebt und so etliche "Chinaexperten" widerlegt
John Ross
Bald ist es wieder so weit: Einem Zehnjahresrhythmus folgend steht der Wachwechsel in den Führungsspitzen der Partei, im Präsidentenamt und in der Regierung an. Da scheint es angemessen, auf die Entwicklung der Wirtschaft in den letzten zehn Jahren zurückzublicken. Da die Eckdaten für 2012 noch nicht vorliegen, wähle ich den Zeitraum 2001 bis 2011. Genau genommen ist somit noch ein Jahr der vorangegangenen Regierungsperiode eingeschlossen, was aber zu vernachlässigen ist, da die gegenwärtige Regierung für neun Zehntel des Berichtszeitraums verantwortlich zeichnet.
Einige statistische Angaben aus diesen zehn Jahren sind allgemein bekannt: China wurde zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht und größter Exporteur der Welt. Aber solche Daten unterschätzen das Ausmaß der wirtschaftlichen Errungenschaften des Landes.
Die letzten zehn Jahre der Wirtschaftsgeschichte Chinas lassen sich am besten anhand zweier Tatsachen veranschaulichen, die den Rahmen für alle folgenden Daten setzen:
a.) In den vergangenen zehn Jahren hat China die höchste Steigerung des Bruttoinlandprodukts pro Kopf der Bevölkerung in der Geschichte der Menschheit erlebt.
b.) übertragen auf den Lebensstandard bedeutet dies, dass hier weltweit der weitaus schnellste Anstieg der Konsumquote in den Einkommen privater Haushalte stattgefunden hat.
Es lohnt sich, dieses Phänomen etwas genauer zu betrachten.
Chinas durchschnittliches Wirtschaftswachstum pro Kopf lag in den letzten zehn Jahren bei 9,9 Prozent. Das Wachstum über den gesamten Zeitraum belief sich auf 158 Prozent. Wie sich aus Angaben der Weltbank und dem Standardwerk von Angus Maddison , World Population, GDP and GDP Per Capita 1-2006 AD, lesen lässt, ist dies die schnellste Steigerungsrate, die jemals eine der großen Volkswirtschaften erlebt hat. Diese Tatsache ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass in diesem Zeitraum auch die letzten vier Jahre enthalten sind, die die schlimmste Krise der Weltwirtschaft der letzten achtzig Jahre gesehen hat.
Unter dem Aspekt der gegenwärtigen Wirtschaftslage lässt sich feststellen, dass keine andere der großen Volkswirtschaften in den letzten zehn Jahren auch nur entfernt ein vergleichbares Wachstum wie China erlebt hat. Mit ihrem Wachstum von 158 Prozent weist Chinas Wirtschaft eine doppelt so hohe Zuwachsrate auf wie die Volkswirtschaft Indiens, die die weltweit zweitgrößte Steigerung verbuchen kann. Chinas Wirtschaftswachstum ist zweieinhalb Mal größer als das Russlands, mehr als dreimal so groß wie das Südkoreas, siebenmal größer als das Deutschlands und zwanzigmal größer als das der Vereinigten Staaten.
Als reiner Mythos taucht in den Medien immer wieder die Behauptung auf, dass Chinas Wirtschaftswachstum nicht in eine Steigerung der Konsumrate umgesetzt wurde. Durch Datenmaterial lässt sich dies leicht widerlegen. Da noch nicht alle aktuellen Angaben verfügbar sind, nehme ich auch hier wieder auf das Jahrzehnt 2000 bis 2010 Bezug.
Die Gesamtsteigerung der Konsumrate lag in diesem Zeitraum bei 103 Prozent – wiederum der höchste Wert weltweit. Nur der Russlands kommt annähernd an den Chinas heran, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass sich Russland auf den Weg aus einer langanhaltenden Phase der Depression gemacht hat. Chinas Rate lag 57 Prozent über der Indiens, war dreimal größer als die Südkoreas, zehnmal größer als die der Vereinigten Staaten und sechzehnmal größer als die Deutschlands. Kurz gesagt: Weit davon entfernt, langsam zu sein, hatte Chinas Konsumrate eine sehr viel raschere Steigerung zu verzeichnen als irgendeine der anderen großen Volkswirtschaften.
Diese Errungenschaft wirft Licht auch auf ein anderes Thema: Die Leugnung grundlegender wirtschaftlicher Tatsachen durch diejenigen, die in regelmäßigen Abständen den wirtschaftlichen Niedergang Chinas vorausgesagt haben. Eine vollständige Liste dieser Irrtümer zu erstellen, würde zu viel Platz beanspruchen, weshalb ich hier nur einige der gröbsten Fehleinschätzungen herausgreifen möchte.
Irrtum: Die Sonderbeilage 'Out of puff' des britischen Wirtschaftsmagazins Economist sah im Juni 2002 voraus: "Im kommenden Jahrzehnt wird Chinas Wirtschaftslage instabiler werden. Angesichts wachsender Arbeitslosigkeit wird es zu Unruhen kommen." Zur Untermauerung der Prognose führte das Magazin aus: "Chinas Wirtschaft setzt noch immer in erster Linie auf eigene Wachstumsmotoren, die jedoch ins Stottern geraten sind. Die vergangenen fünf Jahre hindurch wurde das Wachstum vor allem durch massive Ausgaben der öffentlichen Hand aufrechterhalten. Das hat zur Folge, dass die Staatsverschuldung massiv angestiegen ist. In Verbindung mit den unzähligen faulen Bankkrediten und den hohen Pensionslasten des Staates zeichnet sich hier eine Schuldenkrise ab."
Realität: Anstelle einer Krise verzeichnete China das rasanteste Wachstum pro Kopf der Bevölkerung in der Geschichte aller großen Volkswirtschaften.
Irrtum: Gordon Chang prognostizierte im Jahr 2002 in seinem Buch The Coming Collapse of China: "Noch vor einem Jahrfünft hatte die Führungsmannschaft der Volksrepublik echte Alternativen. Heute nicht mehr. Es gibt keinen Ausweg. Ihr läuft die Zeit davon."
Realität: Anstatt eines Zusammenbruchs erlebte China ein beispielloses Wirtschaftswachstum.
Irrtum: Nach dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise wiederholte 2009 Michael Pettis von der Peking-Universität: "Ich bleibe dabei: Die US-Wirtschaft wird sich als erste von der Krise erholt haben, die chinesische als letzte."
Realität: Tatsächlich aber wuchs in den vier Jahren seit Beginn der Finanzkrise Chinas Wirtschaft um 40 Prozent, die der USA um 1 Prozent.
Derartige Äußerungen – man könnte die Reihe endlos fortsetzen – irren nicht im Detail, was nahezu unvermeidbar wäre, sondern sind Beispiele einer Fehleinschätzung, die grundsätzlicher Natur ist. „Stottern", „Krise" und „Zusammenbruch" zu prognostizieren, wenn China den rasantesten Anstieg des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Bevölkerung in der Geschichte der Menschheit erlebt, würde -- immer vorausgesetzt, dass man an einer vernünftigen Diskussionsgrundlage interessiert wäre – dazu führen, derartige „Analysten" nicht länger ernstzunehmen. Es ist ein Zeichen unwissenschaftlicher Voreingenommenheit, dass Gordon Chang von „Forbes" noch immer als „Chinaexperte" angesehen wird und dass Michael Pettis noch immer in der „Financial Times" voraussagen darf, dass die chinesische Wirtschaft um dre Prozent wachse. Angesichts ihrer langen Geschichte der Fehleinschätzungen, kann man derlei Prognosen getrost vergessen.
Bedeutet die außergewöhnliche Entwicklung der chinesischen Wirtschaft, dass es keinerlei Probleme mehr gibt? Ganz offensichtlich nicht, aber diese Probleme müssen innerhalb eines größeren Zusammenhangs betrachtet werden. In der bisherigen Geschichte hat kein anderes großes Land eine so rasche Steigerung des Bruttoinlandprodukts erlebt wie China in den letzten zehn Jahren. Und kein anderes großes Land hat in den letzten zehn Jahren eine so rasche Entwicklung des Konsums erlebt. Dies sind Tatsachen, die zu Recht Ehrfurcht einflößen. Jeder, der Wert legt auf eine an Fakten orientierte volkswirtschaftliche Diskussion, muss nicht nur den Umfang dieser außergewöhnlichen Entwicklung in Rechnung stellen, sondern auch berücksichtigen, dass diese Entwicklung entgegen den Annahmen derjenigen stattfand, die nicht müde wurden, Jahr um Jahr die große Krise der chinesischen Wirtschaft vorauszusagen.
John Ross ist Gastprofessor am Antai College der Jiaotong Universiät in Shanghai. Von 2000 bis 2008 war er im Range eines stellvertretenden Bürgermeisters in der Stadtregierung von London unter Bürgermeister Ken Livingstone als Direktor der Abteilung für Wirtschafts- und Geschäftspolitik tätig. Zuvor arbeitete er in beratender Funktion für große internationale Bergbauunternehmen, für die Finanzwirtschaft und für die Maschinenbauindustrie. |