13-08-2012
Im Focus
Nachhaltigkeit braucht Kunst, braucht Leidenschaft – Ausstellung in Beijings Kunstmeile 798
von Hannah Seidl

Kuratorin Adrienne Goehler führt durch die Ausstellung, 5. August 2012 © Goethe-Institut China

Wang Jiuliang, Beijing Besieged by Waste, Film 72 min, WJ

Im Büro von Ruth F. Widlok bewerben sich erwachsene Europäer und Europäerinnen um Patenfamilien aus Afrika, die ihnen Wärme und Geborgenheit bieten. © Nora Kronemeyer

Auszug aus der Serie DisCONNEXION der chinesischen Künstlerin Xing Danwen © Xing Danwen

Ein Teil der Serie „Heteroptera - Bilder einer mutierenden Welt" von Cornelia Hesse-Honegger © Nora Kronemeyer

Zur documenta 7 im Jahr 1982 pflanzte der deutsche Künstler Joseph Beuys auf dem Friedrichsplatz in Kassel, direkt vor dem Fridericianum, eine Eiche. Es war die erste von 7000. „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung" taufte er das damals nicht unumstrittene Landschaftskunstwerk, das den städtischen Lebensraum angesichts der zunehmenden Urbanisierung nachhaltig verändern sollte. Unzählige Helfer beteiligten sich an der Aufforstung Kassels, so entsprach die Aktion auch Beuys´ erweitertem Kunstbegriff - der sozialen Plastik. Demnach könne jeder Mensch durch kreatives Handeln zum Wohl der Gesellschaft beitragen.

Bei der Eröffnung der Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen! Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit" im Beijinger Kunstbezirk 798 zeigte die Kuratorin Adrienne Goehler auf den Bildschirm, über den Beuys Aktion flimmerte: „Das ist es, was Kunst zu tun vermag." Für die Wanderausstellung, die nach Berlin unter anderem in Hamburg, Mumbai und der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba Station machte, trug sie Arbeiten von Künstlern und Kollektiven zusammen, die sich auf dem Feld Mensch-Gesellschaft-Natur bewegen. Schwierigkeiten, geeignete Arbeiten zu finden, hatte sie nicht. Eine wachsende Zahl von Künstlerinnen und Künstlern rund um den Globus habe sich den politischen, ökologischen und naturwissenschaftlichen Verzweigungen des Themas Nachhaltigkeit verschrieben. Da sind etwa Ines Doujak, die gegen Biopiraterie eintritt, Néle Azevedo, die mit schmelzenden Eisfiguren Symbole der Endlichkeit in den öffentlichen Raum setzt und die Fotografin Ursula Schulz-Dornburg, die in einer „Ahnengalerie" traditioneller Weizensorten den Verlust der Biodiversität dokumentiert: die Kultivierung einiger weniger rentabler Hybride auf Kosten von 66 000 verschiedenen Sorten, die vom Verschwinden bedroht sind. Über 30 weitere Werke aus Architektur, bildender Kunst, Design, Fotografie und Film werden in „Zur Nachahmung empfohlen!" gezeigt.

Nachhaltigkeit ist längst zum politischen und wissenschaftlichen Buzzword, zum Imagefaktor für Marketingstrategen geworden. Auch hätten Kopenhagen, Cancún und Rio gezeigt „dass wir die Welt nicht den Experten aus Politik und Wirtschaft überlassen können", so Goehler. Für einen innovativeren Umgang mit der Zukunft müssen wir Kunst miteinbeziehen. Was man von ihr lernen könne? „Das Denken in Übergängen, Provisorien, Modellen und Projekten", empfiehlt sie.

Nicht belehrend, nie mit erhobenem Zeigefinger bahnt die Ausstellung einen sinnlichen Zugang zum Thema. Mit Moral und Verzicht kämen wir nicht weit, ist Goehler überzeugt: „Wir brauchen Visionen eines zukunftsfähigen Lebens, die sich mit Sinnlichkeit, Lust und Leidenschaft des eigenen Handelns verbinden".

Kunst, Aktivismus und Erfindungen sollen Hand in Hand gehen, die Synergien künstlerischer und technischer Kreativität genutzt werden. Dabei wird auch nach praktischen Lösungsvorschlägen gesucht. Olafur Eliasson und Frederik Ottesen zum Beispiel entwickelten kleine Solarlichter, die „Little Suns", als Alternative zu den giftigen Kerosinlampen, von deren dumpfem Licht viele Regionen ohne Strom abhängig sind. Gerd Niemöller (sein Werk ist in Beijing leider nicht vertreten) wandte sich der Bionik zu und fand ein Verfahren, um Waben aus in Harz getränktem Altpapier herzustellen. Diese Waben lassen sich zu stabilen Bauelementen, bis hin zu witterungsfesten Häusern zusammenfügen und könnten zum Beispiel in Katastrophengebieten von Nutzen sein - wohl zum Missfallen der internationalen Zeltlobby.

Die Arbeit „Heteroptera – Bilder einer mutierenden Welt" von Cornelia Hesse-Honegger, naturwissenschaftliche Zeichnerin und bildende Künstlerin, zeigt die Folgen radioaktiven Fallouts. Ein Jahr nach Tschernobyl begann sie mit dem Sammeln von 16 000 Wanzen, die, nuklearer Strahlung ausgesetzt, Mutationen ausbildeten. Mithilfe von Binokularlupen fertigte sie minutiöse Aquarelle an, auf denen die morphologischen Schäden deutlich zu Tage treten. Der Eindruck, den die Bilder hinterlassen ist ebenso schön wie schaurig und würde, so vermutet Goehler, selbst „abgebrühten Ökos" unter die Haut gehen.

Dazwischen finden sich auch Projekte, die einem ein Lächeln abgewinnen. „Adopted" ist so eines, weil es auf eine ironische Art und Weise mit gängigen Wahrnehmungsmustern bricht. Gudrun F. Widlok versucht, Familien in Afrika davon zu überzeugen, vereinsamte, familienlose Europäer zu adoptieren. Was 1997 als Konzeptkunstwerk begann, setzte sie in die Tat um, so groß war das Interesse.

Sieben chinesische Künstlerinnen und Künstler nehmen an der Ausstellung teil. Durch einige ihrer Arbeiten ziehen sich wie ein roter Faden Landschaften. He Xiangyu schuf eine furchteinflößende schwarze Landschaft aus Rückständen von tonnenweise verkochter Coca Cola, in Xu Bings Auseinandersetzung mit der traditionellen chinesischen Landschaftsmalerei zeigen sich Ansätze eines Umweltbewusstseins für die Gegenwart und Wang Jiuliang filmt „neue" Landschaften rund um Beijing, die sich aus riesigen Mengen Abfalls gebildet haben, der auf Mülldeponien „entsorgt" wird. Um Abfall geht es auch bei Xing Danwei. Entlang der Küste Guangdongs, Chinas wirtschaftlich stärkster Provinz, türmen sich ausgemusterte und zerlegte Computer, Monitore und Mobiltelefone zur größten Elektroschrottdeponie der Welt. Hier bestreiten 100 000 Arbeiter ihren Lebensunterhalt. Sie greifen mit bloßen Händen nach den Kabeln, Drähten und Chips aus Hightech-Geräten, die Länder wie die USA, Japan und Südkorea dort zu günstigen Konditionen aus der eigenen Umwelt schaffen. Mit dessen „Export" wälzen die Industrienationen auch die gesundheitsschädigenden ökologischen Folgen des Elektroschrotts ab. Xing Danwei dokumentiert diese „Exzesse der Moderne" in kontrast- und detailreichen Fotografien.

Schließlich sind es Ma Yongfengs Graffitis, auf denen aus dem Alltag in einer Fabrik herausgelöste Sätze zu lesen sind, die zeigen, wie Kunst oft durch sehr einfache Statements Dinge ins Bewusstsein rücken kann und so unsere Alltagswahrnehmung hinterfragt und kreatives Denken und Handeln zu stimulieren vermag.

„Zur Nachahmung empfohlen!" ist in Beijing noch bis zum 14. September 2012 im Iberia Center for Contemporary Art zu sehen. Die Ausstellung ist ein Projekt des Goethe-Instituts, der GIZ, der Kulturstiftung des Bundes und der Heinrich-Böll-Stiftung. Begleitend dazu finden Gesprächsforen, Workshops und Filmvorführungen statt.