10-08-2012
Im Focus
Rettung der Eurozone nicht in Sicht
von Fraser Cameron

Auch wenn Europas politische Führer auf die Ängste der Bevölkerung hinsichtlich der Zukunft des Euros reagieren, eine rasche Lösung der Krise ist höchst unwahrscheinlich

Helfende Hände: Deutsche Parlamentarier stimmen auf einer Sondersitzung des Bundestages am 19. Juli 2012 einem 100-Milliarden-Euro-schweren Rettungspaket für spanische Banken zu.

Während die meisten Europäerinnen und Europäer zurzeit im Urlaub sind oder gespannt die Olympischen Spiele in London verfolgen, ist die Politik nach wie vor fieberhaft mit der Staatsschuldenkrise in der Eurozone beschäftigt. In der letzten Juniwoche schien die Krise olympische Ausmaße anzunehmen. Es sah ganz danach aus, als werde die spanische Regierung nach dem Hilfsantrag für den heimischen Bankensektor bei der EU um eine zweite Bailouttranche für den Gesamtstaat Spanien ansuchen. Griechenland ist ein Problem für sich. Aber Spanien, möglicherweise auch Italien, bergen Probleme, die sich in einer ganz anderen Größenordnung abspielen. Als die Gerüchte über einen Bailout Spaniens sich verdichteten, stürzten die Aktienkurse und der Euro verlor gegenüber dem Dollar an Wert.

 

Super Mario

Dann ergriff der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, das Wort und die Märkte waren beruhigt. In einer Rede in London sagte er, die EZB werde „im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, das wird ausreichen."

Die Investoren zeigten sich beeindruckt von "Super Mario". Die Renditen spanischer und italienischer Staatsanleihen gingen – nach einem gefährlichen Höhenflug – zurück. Die Aktienmärkte und der Euro erholten sich gleichermaßen.

In einer gemeinsamen Erklärung betonten auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande, sie seien "der Bewahrung der Eurozone zutiefst verpflichtet" und fest entschlossen, alles zu tun, um diese zu schützen.

Es ist also wieder Ruhe eingekehrt. Nur, reichen diese Erklärungen, um der Eurozone durch den Sommer zu helfen? Das Problem besteht darin, dass die Märkte der europäischen Politik nicht zutrauen, die Krise in den Griff zu bekommen. Mehr als zwanzig EU-Gipfel haben seit der Insolvenz der Lehmann Brothers 2008 stattgefunden. Auf jeden dieser Gipfel folgte die kurzzeitige Erholung der Märkte, ehe die Zweifel erneut wuchsen.

Manche Experten meinen, die vom Europäischen Rat im Juni beschlossene Aufstockung des Bailout-Fonds auf 500 Milliarden Euro (615 Milliarden US-Dollar), sei zu bescheiden ausgefallen und zu spät gekommen.

Griechenland, Irland, Portugal und Zypern – alle vier haben auf den Stabilitätsfonds zurückgegriffen. Nur noch 160 Milliarden Euro (197 Milliarden US-Dollar) liegen in der Kasse.

Im Juni wurden die spanischen Banken gestützt. Befürchtungen, dass der sich abzeichnende Bankrott mehrerer Regionalregierungen Madrid dazu zwingen könne, um massive Hilfsleistungen der EU anzusuchen, veranlasste die Ratingagentur Moody's, auch Deutschland herunterzustufen, da Europas größte Volkswirtschaft den Löwenanteil der Last auf sich nehmen müsste.

 

Die Ängste der Deutschen

In Deutschland macht sich indes eine Stimmung gegen weitere Bailouts breit. Am vehementesten ist der Widerstand in den Reihen von Kanzlerin Merkels Koalition. Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler tat seine Zweifel darüber, ob Griechenland seine Auflagen abarbeiten und so Zugang zu weiteren Hilfszahlungen bekommen könne, öffentlich kund. Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone, fügte er hinzu, habe „längst seinen Schrecken verloren".

Der offiziellen EU-Linie zufolge solle Griechenland alles Mögliche tun, um in der Eurozone zu bleiben. José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, hielt Griechenland anlässlich seines Besuchs im Juli dazu an, mit dem Sparprogramm voranzuschreiten. Taten, so Barroso, zählten mehr als Worte, und: er wolle „Resultate, Resultate, Resultate" sehen. Neben Barroso reiste auch eine Gruppe von Vertretern der EU, des IWF und der EZB nach Athen, um sich ein Bild von den Sparfortschritten zu machen.

Antonis Samaras, dem neuen Premierminister einer fragilen Koalitionsregierung aus rechten und linken Parteien, bleiben nur ein paar Wochen, um Griechenlands Gläubiger davon zu überzeugen, dass er es vermag, den stockenden Reformprozess wieder in Gang zu bringen. Sollte Athens jüngster Plan, die Staatsausgaben über die nächsten zwei Jahre um 14,5 Milliarden Euro (17,8 Milliarden US-Dollar) zu kürzen, für unrealistisch befunden werden, würde die Freigabe der nächsten Hilfsgelder in Höhe von 31,2 Milliarden Euro (38,3 Milliarden US-Dollar) blockiert. In diesem Fall wäre die griechische Regierung außerstande, Pensionen und Gehälter im öffentlichen Sektor auszuzahlen. Ein „Grexit" aus dem Euro könnte binnen weniger Wochen eintreten.

Die Deutschen blicken nicht nur angstvoll auf Griechenland. Das Parlament wartet auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Fiskalpakt, auf den sich die EU im Juni geeinigt hatte. Sobald dieser in Kraft trifft (dazu ist die Ratifizierung durch 12 der 17 Mitglieder der Eurozone erforderlich), müssen Regierungen die Neuverschuldung der Staatshaushalte auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzen, in Zeiten der Rezession sind weitere 0,5 Prozent gestattet. Solche Regeln sollen verhindern, dass Regierungen Schulden anhäufen und eine weitere Finanzkrise ausgelöst wird. Der neue permanente Fonds, Teil des Fiskalpakts, wird 500 Milliarden Euro (615 US-Dollar) schwer sein, doch ist keineswegs gewiss, ob selbst eine dermaßen große Summe ausreichen würde, um gleichzeitig Spanien und Italien Hilfszahlungen zukommen zu lassen.

 

Keine rasche Lösung in Sicht

Die aktuelle Krise hat wenig mit Staatsschulden zu tun. Der Großteil der Schulden in Spanien und Italien ist das Ergebnis von Kreditaufnahmen in der Privatwirtschaft. Als diese Länder vor gut einem Jahrzehnt den Euro eingeführt hatten, purzelten die Zinsen auf einen historischen Tiefpunkt. Das führte zu einem Boom, der durch Schulden ermöglicht wurde. Konsumenten kauften immer mehr deutsche Autos und chinesische Waren. Deutschland legte Geldreserven an und lieh Spanien, Italien und Griechenland beträchtliche Summen.

Die Schulden sind jedoch nur ein Teil des Problems der Mittelmeerländer. In den Jahren des Booms stiegen die Löhne dort stetig, womit ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit in Spanien, Italien und auch Frankreich einherging. Sämtliche Mittelmeerländer haben nun mit bösen Rezessionen zu kämpfen, weil niemand mehr bereit ist, Geld auszugeben. Unternehmen, Bürger und Bürgerinnen sind zu sehr damit beschäftigt, ihre Schulden abzutragen, die Regierungen streichen öffentliche Ausgaben. Das alles mündet in noch größere Arbeitslosigkeit (in Spanien sind davon bereits 20 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter betroffen), welche wiederum die Rückzahlung der Schulden erschwert.

Die Märkte reagieren auf diese unerfreulichen Fakten mit Unsicherheit, steigende Renditen von Staatsanleihen spiegeln diese Unsicherheit wider. Einige Experten argumentieren, die Krise wäre mit einem Schlag vorbei, würde die EZB der Einführung von Eurobonds zustimmen. Gegen diesen Schritt wehren sich aber die deutsche Kanzlerin Merkel und fiskalpolitisch eher konservative Länder, wie Finnland und die Niederlande.

Es gibt mindestens drei Maßnahmen, die von der EZB ergriffen werden könnten: Zinssenkungen, der Ankauf von Staatsanleihen, der ein Zeichen der Unterstützung der schwächeren Wirtschaften setzen würde, und die Ausstellung einer Banklizenz für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), den im Rahmen des Fiskalpakts geschaffenen Krisenfonds. Das würde dem ESM ermöglichen, die Anleihen, die er kauft, bei der EZB als Pfand zu hinterlegen, die Liquidität zu erhöhen und somit seine Reichweite auszubauen.

Den beiden letzteren Maßnahmen würde sich die Deutsche Bundesbank mit großer Wahrscheinlichkeit entgegenstellen, zumindest solange, bis die Regierungen sich entschlossener zeigten, die Sparprogramme umzusetzen.

Unterdessen warnt der IWF davor, dass die andauernde Eurokrise ein großes Risiko für Chinas Wachstumsaussichten darstellt. Der größte Teil chinesischer Exporte geht nach Europa. Ein Anhalten der Schuldenkrise würde negative Rückwirkungen auf Verbraucherstimmung und Nachfrage in Europa haben, die Konsequenz daraus wäre ein Absturz der Importe. Aus Furcht, die Folgen der Krise für die amerikanische Wirtschaft könne seine Chancen auf eine Wiederwahl im November trüben.

Es sieht so aus, als wolle die Euro-Krise kein Ende nehmen. Eine rasche Lösung ist nicht in Sicht. Die Regierungen suchen nach der Quadratur des Kreises, was zugleich Wirtschaftswachstum und eine strikte Begrenzung öffentlicher Ausgaben zuließe. Diese Suche dürfte wohl noch eine Weile dauern.

 

 

Der Autor ist britischer Diplomat und Direktor des EU-Asia Center in Brüssel