06-07-2012
Im Focus
Stabilität wahren, Veränderungen wagen
von Qiao Zhenqi

Am 7. Juli ist Leung Chun-ying als Verwaltungschef der Sonderverwaltungszone Hongkong vereidigt worden. Leung ist damit der dritte Amtsträger seit Gründung der Sonderverwaltungszone am 1. Juli 1997. Vor seinem Amtsantritt gab Leung dem Hongkong-Korrespondenten der Beijing Rundschau Qiao Zhenqi ein Exklusivinterview.

 

Hongkongs Neuer: Leung Chun-ying nach seiner Wahl zum Verwaltungschef Hongkongs am 25. März 2012.

 

Beijing Rundschau: Was hat Ihrer Meinung nach den Ausschlag für Ihren Sieg bei der Wahl zum Verwaltungschef der Sonderverwaltungszone Hongkong gegeben?

Leung Chun-ying: Wer Verwaltungschef von Hongkong werden will, muss die Unterstützung und Anerkennung der Hongkonger Bevölkerung gewinnen. Ich habe im Vorfeld Menschen aus allen Gesellschaftsschichten besucht und ihnen mein politisches Programm vorgestellt. Gleichzeitig habe ich mir auch ihre Sorgen angehört. Das hat mir bei den Wählern viele Sympathien eingebracht.

Politisch bin ich vor allem für das Prinzip „Veränderungen suchen, Stabilität wahren" eingetreten. Im Zuge der Entwicklung Hongkongs haben sich einige soziale Probleme angehäuft und die Einwohner haben ihre Forderung nach Veränderung artikuliert. Die Veränderungen, von denen ich in meinem Programm spreche, sind keine Veränderungen im Großen, sondern kleine Veränderungen, die in einem stabilen Rahmen stattfinden sollen. Trotzdem bildet die Suche nach Veränderung den Kern des Programms.

 

Beijing Rundschau: Wie sieht denn Ihr Verständnis der Rückkehr Hongkongs zu China aus?

Leung Chun-ying: Für mich hat Hongkongs Rückkehr zu China eine doppelte Bedeutung: Zum einen gibt es die rechtliche Perspektive. Seit dem 1. Juli 1997, dem Gründungstag der Sonderverwaltungszone Hongkong, übt Chinas Zentralregierung rechtlich wieder die Souveränität über Hongkong aus, gleichzeitig ist das Grundgesetz (Basic Law) der Sonderverwaltungszone  als eine Art Miniverfassung in Kraft getreten. Das Prinzip „ein Land, zwei Systeme" wurde somit erfolgreich umgesetzt.

Zum anderen wäre da die psychologische Perspektive. Es ist nun an der Zeit, die Herzen der Menschen zu gewinnen, an einem Ort, der mehr als ein Jahrhundert lang unter kolonialer Herrschaft stand. Bei dieser Arbeit, die auch mit der Bildung von Nationalbewusstsein zu tun hat, haben wir noch einen weiten Weg vor uns.

 

Beijing Rundschau: Hongkong kann bei alledem auf die Unterstützung der Zentralregierung in Beijing zählen, ein großer Entwicklungsvorteil. Wie will die Sonderverwaltungszone mit dieser Rückendeckung zukünftig eine noch rasantere Entwicklung vorlegen?

Leung Chun-ying: Im Grundriss des 12. Fünfjahresplans zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Chinas (2011-2015) heißt es, die Zentralregierung unterstützt die Sonderverwaltungszone Hongkong dabei, ihren Status als internationales Finanz-, Handels- und Transportzentrum zu festigen und weiter zu stärken sowie ihren Einfluss als globales Finanzzentrum auszuweiten. Wir sind für diese staatliche Unterstützung sehr dankbar, die sich in zwei Worten auf den Punkt bringen lässt: Konsolidierung und Stärkung.

Wir müssen uns aber fragen, was es eigentlich bedeutet, Hongkongs Status als internationales Finanz-, Handels- und Transportzentrum zu verbessern? Ich glaube nicht, dass die Lösung darin liegt, einfach das Umschlagsvolumen des Hongkonger Containerterminals zu verdoppeln. Im Vergleich zu Hongkong verfügt beispielsweise London als internationales Transportzentrum nicht einmal über einen eigenen Hafen. Englands Hauptstadt ist nicht unmittelbar in die Frachtabfertigung auf dem Land involviert, befasst sich dafür aber mit technisch anspruchsvolleren Geschäften, beispielsweise mit Handel, Verpachtung, Registrierung und Management sowie der Finanzierung und Versicherung von Schiffen. Wenn es uns gelänge, uns zu einem internationalen Frachtzentrum nach Londoner Vorbild weiterzuentwickeln, würde ich das als eine echte Aufwertung unseres Status' bezeichnen.

 

Beijing Rundschau: Jüngst hat das Phänomen der so genannten „Shuangfei-Babys" (wörtlich etwa „Doppel-Nicht-Babys") für heftige Kontroversen in Hongkong sowie auf dem chinesischen Festland gesorgt. Es geht um Säuglinge, die zwar in Hongkong zur Welt kommen, bei denen aber weder der Vater noch die Mutter einen Hongkonger Pass besitzt. Sie haben damals für eine „Nullquote" solcher Geburten plädiert. Frauen vom chinesischen Festland, die keinen Hongkonger Ehemann haben, sollten keine Kinder in Hongkong zur Welt bringen dürfen, so Ihre Forderung. Wie kam es zu diesem Vorschlag? Und welche Maßnahmen wird es in Zukunft geben?

Leung Chun-ying: Ein derartiger Kurswechsel hat die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf dem Festland auf sich gezogen. Seit 2007 sind in Hongkong jedes Jahr im Schnitt 30 000 Babys von Nicht-Hongkongern zur Welt gekommen. Die Zahl einheimischer Neugeborener lag dagegen im gleichen Zeitraum bei nur rund 40 000 pro Jahr. Man sieht also, dass Neugeborene nicht einheimischer Eltern einen signifikanten Anteil an den Gesamtgeburten ausmachen. Das bedeutet eine enorme Belastung für unser lokales Gesundheitswesen. Das ging soweit, dass einheimische Schwangere nicht selten Schwierigkeiten hatten, einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung zu erhalten oder ein freies Krankenhausbett für die Entbindung zu finden. Das hat zu einer wahren Flut an Beschwerden aus der Hongkonger Bevölkerung geführt.

Die Hongkonger Gesetze sehen vor, dass alle Kinder, die in Hongkong zur Welt kommen, automatisch ein permanentes Aufenthaltsrecht für die Sonderverwaltungszone erhalten. Bisher liegen keine Statistiken über die Gesamtzahl der in Hongkong geborenen Kinder festlandchinesischer Eltern vor. Und auch die Zahl derer, die zurückkommen, um hier den Kindergarten oder eine Schule zu besuchen, ist bisher unklar. Aktuelle Studien gehen allerdings davon aus, dass  rund die Hälfte der Kinder einen Hongkonger Kindergarten oder eine Hongkonger Schule besuchen wird. Darf man diesen Zahlen glauben, müsste jeder Kindergarten in Hong Kong Island, Kowloon und den New Territories seine Kapazitäten um 30 Prozent erhöhen, um dem zusätzlichen Bedarf gerecht zu werden. Das wäre eine unlösbare Aufgabe für unsere lokale Regierung.

Vor dem Hintergrund dieser Bedenken plädiere ich für eine „Nullquote" ab 2013, bis wir absehen können, welche Auswirkungen die „Shuangfei-Babys" für die staatliche Wohlfahrtspflege Hongkongs haben.

 

Beijing Rundschau: Seit der Rückkehr zu China ist Hongkong dem chinesischen Festland wirtschaftlich immer näher gerückt. Inwiefern hat Hongkong von dieser Entwicklung profitiert? Und welche Maßnahmen wird Hongkong ergreifen, um seine Wirtschafts- und Handelskooperationen mit dem Festland künftig noch weiter auszubauen?

Leung Chun-ying: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Festland spiegelt sich vor allem in drei politischen Willenserklärungen: Erstens im „Abkommen zur engeren ökonomischen Partnerschaft zwischen Hongkong und dem chinesischen Festland", das 2003 unterzeichnet wurde. Zweitens darin, dass der zukünftigen Entwicklung von Hongkong und Macao im Grundriss des 12. Fünfjahresplans erstmals ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Drittens hat Vize-Ministerpräsident Li Keqiang im August 2011 während seines Hongkong-Besuchs 36 Maßnahmen bekannt gegeben, die die Zentralregierung zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Hongkongs auf den Weg gebracht hat. Darüber haben wir separate Kooperationsabkommen mit der Provinz Guangdong sowie der Guangdonger Boomtown Shenzhen unterzeichnet. Als nächsten Schritt werden wir uns nun darauf konzentrieren, die Richtlinien und Maßnahmen, die in diesen Dokumenten festgeschrieben sind, in die Praxis umzusetzen.

 

Beijing Rundschau: Herr Leung, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

 

Zur Person:

Leung Chun-ying,  der als CY Leung in Hongkong allgemein bekannt ist, erblickte am 12. August 1954 in der Kronkolonie das Licht der Welt. 1985 wurde er zum Generalsekretär des Beratenden Ausschusses für das Grundgesetz der Sonderverwaltungszone Hongkong ernannt. Ab 1999 stand Leung im Amt des Convenor den Mitgliedern des Hongkonger Regierungsrates (Executive Council, abgekürzt Exco) vor, die kein Verwaltungsamt bekleiden. Diese so genannten "un-official members" stellen vierzehn Mitglieder dieses dreißigköpfigen Gremiums. Im Oktober 2011 trat er von diesem Posten zurück, um für das Amt des Verwaltungschefs für die vierte Regierungsperiode der Sonderverwaltungszone Hongkong zu kandidieren. Am 25. März gewann Leung die Wahl. Er konnte sich 689 der 1132 abgegebenen Stimmen des rund 1200 Mitglieder zählenden Wahlausschusses sichern, dessen Mitglieder nur zu etwa einem Sechstel aus demokratischen Wahlen hervorgehen. Seine Stimmen stammten vor allem aus Gewerkschaftskreisen, dem Ärztestand, aus dem Umfeld der Delegierten zum Nationalen Volkskongress und von Vertretern der Handelskammer sowie der Landwirtschaft und dem Fischereiwesen. Am 28. März ernannte die chinesische Regierung Leung offiziell zum Verwaltungschef der Sonderverwaltungszone. Wahl und Berufung Leungs haben in Hongkong Kontroversen ausgelöst. Seine Kritiker sagen ihm eine allzu große Nähe zur politischen Führung in Beijing nach. Die Anschuldigung, Mitte der achtziger Jahre insgeheim der Kommunistischen Partei Chinas angehört zu haben, wurde von Leung vehement zurückgewiesen.