Peter Anders, Leiter des Goethe-Instituts in Beijing über die Bedeutung des Dialogs beim Verständnis von Kunst, die heutige Ausrichtung der chinesischen Kultur und die Frage, warum nur zwei chinesische Künstler an der diesjährigen „documenta" teilnehmen.
Seinen beruflichen Werdegang begann Peter Anders zunächst im Journalismus und berichtete unter anderem für die Fernsehsendung „Titel, Thesen, Temperamente" des Hessischen Rundfunks. Vor zwanzig Jahren trat er dann in die Dienste des Goethe-Instituts und war in der Folge unter anderem in Südafrika, Brasilien und Bulgarien tätig. Seit Mai 2011 ist er Leiter des Goethe-Instituts in Beijing.
Peter Anders, Leiter des Goethe-Instituts in Beijing
Herr Anders, Ihre Tätigkeit hat Sie in viele verschiedene Länder geführt. Was ist in China anders, als in den Ländern, in denen Sie bisher tätig waren?
In China gibt es momentan eine unheimliche Dynamik, die sich nicht nur auf die Wirtschaftsdaten bezieht, sondern auch auf das, was in der Gesellschaft passiert. Dabei treten Fragen der Urbanität auf, Fragen der Nachhaltigkeit und auch die Frage, wie die Kunst darauf reagiert. Diese Themen sind natürlich in vielen Ländern virulent, in China aber kommt ihnen aufgrund der immensen Zahl und Dichte der Betroffenen eine besondere Relevanz zu.
In Südafrika starteten Sie im Jahr 2009 einen Kunstraum in einem Stadtteil, fern von Reichen- und Ausländersiedlungen. Damals erklärten Sie, dass das Goethe-Institut keine exklusive Insel für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe sein will. Gilt das auch für China?
Für uns ist es wichtig auf die unmittelbaren Umstände und den unmittelbaren Kontext zu reagieren. Dieser Raum „Goethe on Main" das war eine unmittelbare Antwort auf die Zustände in Südafrika, einem Land, das immer noch stark durch die Apartheid geprägt ist. Mit dem Projekt wollten wir einen Kunstort dort kreieren, wo es uns als weiße Bevölkerungsgruppe eigentlich nicht hinverschlägt, nämlich mitten in einem schwarzen Ghetto.
Grundsätzlich verfolgen wir auch in China dieses Modell und schauen, wo gesellschaftliche Brennpunkte sind und was wir gemeinsam mit unseren chinesischen Partnern an solchen Brennpunkten tun können. Das hat ganz unterschiedliche Formate und entwickelt sich im Dialog miteinander. Das Ergebnis mag dann aber ein ganz anderes sein.
In welchem Themenbereich sehen Sie hier einen besonderen Schwerpunkt?
Vor allem im Bereich des kulturellen Gedächtnisses. Es dreht sich dabei viel um das Thema Zeit: von der Erinnerungsarbeit über die Bewältigung der rasanten Transformation des Landes bis hin zum Ausblick in die Zukunft. Welche psychologischen Mechanismen wirken in einer solchen Situation? Ich glaube, dass die Kunst darauf einige interessante Antworten hat.
Wir wollen dem auch mit Projekten begegnen, die sehr deutlich zur Kulturgeschichte Deutschlands zurückführen und somit Referenzpunkte der deutschen Kultur bilden. In diesem Zusammenhang entwickeln sich neue Methoden, auch künstlerisch sehr konsequente Methoden, wie etwa der filmarchäologische Ansatz von Alexander Kluge oder die Musik von Stockhausen. Uns geht es dabei darum, ein Bewusstsein zu schaffen, für das kulturelle Gedächtnis in unserem Land.
Jetzt sind Stockhausen und Kluge wohl nicht Künstler, die die Massen anziehen. Warum greifen Sie bei der Repräsentation Deutschlands nicht auf Klassiker wie Heine und Schiller oder Beethoven und Bach?
Ich schließe das nicht aus. Wenn man unser Programm studiert, sieht man, dass wir hin und wieder auch einmal ein Barockorchester präsentieren und in unserer Bibliothek auch Schiller, Heine und Goethe vertreten sind. Wir versuchen auch den Bezug zu der sogenannten Hochkultur herzustellen.
In der Tat interessieren uns aber vielmehr die Schnittstellen zwischen den Gesellschaften, für die Arbeit an den Konfliktlinien. Das hängt mit dem erweiterten Kulturbegriff des Goethe-Instituts zusammen, der sich nicht nur auf die ästhetischen Gebiete fokussiert, sondern Kultur auch als Zivilisationsleistung versteht. Dabei ist die Kunst unter anderem ein kritischer Begleiter der Gegenwart.
Nach der Kulturrevolution sprachen manche von einer Tabula Rasa der chinesischen Kultur. Viele junge Chinesen besinnen sich inzwischen weniger auf ihre eigene Kultur und orientieren sich vielmehr ins Ausland. Steht die chinesische Kultur vor dem Aussterben und wird einfach zu einer Kopie des Westens?
Nach meinen Beobachtungen besteht durchaus ein Interesse am älteren China, also etwa an der Zeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Wir haben bei der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung" in vielen Auseinandersetzungen erfahren, dass die jungen Leute ihren Blick nicht nur in die Zukunft richten. Und es ist meines Erachtens auch richtig und wichtig, sich über die eigenen Wurzeln und Traditionen Rechenschaft abzulegen.
Gleichwohl glaube ich, dass es einer Übersetzung in ein „zeitgenössisches Alphabet" bedarf, damit es nicht nur bei einer kalten Beschäftigung mit der Vergangenheit bleibt. Es reicht nicht, etwas nur zu reproduzieren, man muss es auch neu erfinden und wieder neu erzählen. Das gelingt, finde ich, zu einem großen Teil. Manchmal zugegebenermaßen auf eine Weise, die zunächst einmal sehr offensichtlich rekurriert auf den Methoden und Formen sowie der Sprache des Westens.
Der Präsident des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann kritisierte das Konzept der Ausstellung „Kunst der Aufklärung", die im vergangenen Jahr in Beijing stattfand. Einem Großteil des chinesischen Publikums fehle das Vorwissen, wenn man Kunstwerke aus dem Westen ohne eingehende Erläuterungen ausstelle.
Ich stimme an diesem Punkt ganz mit unserem Präsidenten überein. Aus diesem Grunde machen wir Veranstaltungen wie mit Kluge oder auch mit der Fotografin Hilla Becher. Weil es eben genau darum geht, dass man Kontexte erschließen lernt. Wenn man sich für zeitgenössische Fotografie aus Deutschland interessiert (und es gibt viele chinesische Fotografen, die das mit großem Interesse verfolgen) ist es sehr wichtig, dass man verstehen lernt, aus welcher fotographieästhetischen Tradition das kommt.
Es geht um die Vermittlung von Kontext und Vorwissen. Wir müssen auch zum Gespräch über das einladen, was wir aus Deutschland anbieten. Das Goethe-Institut versteht sich auch in Zeiten einer zunehmenden Kommerzialisierung des Kunstmarktes nicht als Kulturagent. Wir möchten im Dialog Projekte entwickeln, gemeinsam durchführen und langfristig agieren.
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