23-05-2012
Im Focus
Reform des Finanzmarktes nicht radikal genug
von Lan Xinzhen

Die stetig abkühlende Wirtschaft bedarf schwungvoller Reformen des Finanzsektors, um endlich einen Aufschwung herbeizuführen. Daran hapert es bislang.

Zwar wird allenthalben dem Ausbau marktwirtschaftlicher Strukturen das Wort geredet, aber der staatlich monopolisierte Finanzmarkt zieht dabei nicht nur nicht mit, sondern erweist sich als gefährliche Reformbremse.

Eine moderne Volkswirtschaft steht und fällt mit einem entwickelten Finanzsektor. Gegenwärtig aber hält der Finanzmarkt in China nicht mehr mit den Erfordernissen der Wirtschaftsentwicklung Schritt. Die Nachteile des Systems sind unübersehbar: Staatsunternehmen werden bei der Kreditvergabe bevorzugt, deren Bilanzen gelten als risikolos, während kleine und mittelständige Unternehmen in privater Hand, die dringend Kredite benötigten, um auf Wachstumskurs zu gehen, von der Mittelvergabe weitgehend ausgeschlossen sind. Vor allem den Zukunftsbranchen kann dies das Genick brechen. 

Verschärft wird dieser Missstand durch die Tatsache, dass kleine und mittlere Betriebe auch der Motor des Arbeitsmarktes sind: niemand stellt so viele Leute ein wie Privatunternehmer. Sie haben nicht nur wesentlich zum Aufschwung der chinesischen Wirtschaft beigetragen, sondern sind heute -- in der entscheidenden Phase der Strukturumwandlung -- wichtiger denn je zuvor. Ohne Förderung der Zukunftsbranchen keine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, ohne Reform des Finanzsektors keine Förderung der Zukunftsbranchen. Chinas Wirtschaft muss diesem Teufelskreis entkommen. Eine radikale Reform des Finanzmarktes ist unabdingbar für die Freisetzung von Investitionen.

Privates Vermögen in Höhe von geschätzt vier Billionen Yuan (470,5 Milliarden Euro) ist heute meistens engagiert in Immobilien, illegalem Zinswucher, Kunstsammlungen und im Bereich Wein und Spirituosen. Wenn es gelingt, den privaten Kreditdschungel zu lichten und das Kapital der grauen Märkte zu legalisieren, um es unter vernünftigen Konditionen in die Realwirtschaft zu leiten, kann sich Spekulation in Investition verwandeln - zum Nutzen der gesamten Volkswirtschaft.  Finanzierungsprobleme bei kleinen und mittelständischen Betrieben wären dann ein Ding der Vergangenheit. Zugleich würde sich der Anteil der Privatwirtschaft am gesamten Wirtschaftsaufkommen erhöhen.

Die Botschaft ist klar: Wenn es der Zentralregierung gelingt, die Probleme der Realwirtschaft zu lösen, wird das Wachstum nicht länger von der Währungspolitik abhängig sein. Dies aber geht nur durch eine konzertierte Aktion, die zugleich Strukturumwandlung, Reform des Steuersystems und Reform der Finanzwirtschaft in Angriff nimmt.

Natürlich ist es keineswegs einfach, den Finanzsektor, das Spielfeld staatlichen Bankenmonopols, nachhaltig zu verändern. Eine Reform zu unternehmen unter gleichzeitiger Wahrung der Stabilität des Finanzsektors und der Sicherung eines gesunden Wachstums gleicht der Quadratur des Kreises und klingt nach der klassischen Forderung: "Wasch mich, aber mach mich nicht nass!" Für die Entscheidungsträger ist wesentlich, die Probleme, die in der Reformphase auftreten, in den Griff zu bekommen, aber zugleich flexibel agieren zu können.

Zwei Dinge erscheinen bei der Reform unverzichtbar: Erstens muss das illegal florierende Geschäft mit Privatkrediten aus dem Untergrund geholt werden. Spielregeln für private Investoren müssen ausgearbeitet werden und umsetzbar sein. Hierzu bedarf es eines vernünftigen Gesetzesrahmens. Zweitens geht es nicht nur um die Integration der Privatinvestitionen in den Wirtschaftskreislauf, sondern auch um eine Reform des Zins-Kredit-Mechanismus.

Für das Wechselspiel zwischen Stabilität und Reform des Finanzsektors könnten die Reformen, die derzeit in der ostchinesischen Stadt Wenzhou durchgeführt werden, zum Probelauf für ganz China werden. Man erhofft sich vom Wenzhouer Experiment Aufschluss über den Zusammenhang zwischen Modernisierung der Finanzdienstleistungen und der Fähigkeit zur Eindämmung von Risiken für den Bankensektor.

Bedauerlich ist nur, dass man auch in Wenzhou bislang vor einer Liberalisierung der Zinspolitik und der Gründung von Privatbanken oder von Banken unter der Rechtsform Aktiengesellschaft zurückschreckt. Das muss anders werden, denn ohne diese Maßnahmen ist eine erfolgreiche Umwandlung der Wirtschaftsstruktur unmöglich.