20-04-2012
Im Focus
Privater Kreditdschungel soll sich lichten
von Liu Xinlian

In China boomt das illegale Geschäft mit Privatkrediten. Vor allem kleinere Unternehmen flüchten sich ins Haifischbecken privater Darlehensgeber, da ihnen die großen Banken noch immer häufig die dringend benötigte Finanzierung verwehren. Doch das Kartenhaus wankt: Nicht zuletzt die Kreditkrise im südostchinesischen Wenzhou im letzten Jahr hat in Beijing die Alarmglocken schrillen lassen. Nun startet die Regierung genau dort ein Pilotprojekt, um der illegalen Vergabe von Privatkrediten ein Ende zu setzen.

Ans Tageslicht geholt: Ein Arbeiter enthüllt den Schriftzug des ersten Wenzhouer Zentrums zur Registrierung von Privatkrediten. Es ist das erste seiner Art in ganz Zhejiang. Mit dem Pilotprojekt hofft die Regierung, das illegal florierende Geschäft mit Privatkrediten aus dem Untergrund zu holen.

Geschäfte mit der Vergabe von Privatkrediten sind in China zu einem lukrativen Wirtschaftszweig geworden. Zwar ist es offiziell nicht erlaubt, im privaten Rahmen Kredite zu vergeben, trotzdem floriert das Geschäft, oft mit dem Wissen der Behörden. Im vergangenen Jahr dann der Warnschuss, der in Beijing die Alarmglocken läuten ließ: In der ostchinesischen Stadt Wenzhou, Provinz Zhejiang, die als Drehscheibe für Privatfinanzierung gilt, kam es zum großen Knall. Angesichts der angespannten Wirtschaftslage waren viele Besitzer kleinerer Unternehmen nicht mehr fähig, ihre privat geliehenen Gelder bzw. die Zinsen an ihre Gläubiger zurückzuzahlen und machten sich kurzerhand aus dem Staub.

Beijing hat reagiert und nimmt den privaten Kreditmarkt ins Visier. Derzeit laufen die Vorbereitungen für ein groß angelegtes Pilotprojekt in Wenzhou. Hier sollen Modelle für eine landesweite umfassende Finanzreform erprobt werden, das kündigte Ministerpräsident Wen Jiabao am 28. März auf einem Treffen des Staatsrates an.

Das Projekt sieht vor, private Kreditgeber zu ermutigen und dabei anzuleiten, den Gang aufs Parkett der offiziellen Finanzdienstleistungen zu wagen. Ziel sei es, den Unternehmen in Zukunft einen reibungslosen Zugang zu den privaten Investitionskanälen zu ermöglichen, sagt Zhou Xiaochuan, Präsident der chinesischen Zentralbank. Außerdem wolle man das Angebot an Finanzdienstleistungen für Klein- und Kleinstunternehmen vor allem in den ländlichen Gebieten verbessern, so Zhou. „Durch die Reform wird es in Wenzhou wesentlich einfacher werden, privates in gewerbliches Kapital umzuwandeln."

Warum nun ausgerechnet Wenzhou? Die 9-Millionen-Metropole im Süden der Provinz Zhejiang ist ein Zentrum der chinesischen Konsumgüterproduktion mit vielen kleinen und mittelständischen Betrieben, sie machen rund 99 Prozent aller Unternehmen aus. Hinzu kommt, dass sich in der Stadt zahlreiche aktive private Kreditgeber finden. Offiziellen Statistiken zufolge verfügte Wenzhou im vergangenen Jahr über privates Kapital in Höhe von 600 Milliarden Yuan, umgerechnet rund 72 Milliarden Euro. Die Privatkreditkrise 2011 traf deshalb die Seele der lokalen Wirtschaft der Stadt.

„Das Reformprojekt wird Wenzhous Realwirtschaft helfen, sich aus ihrer derzeitigen Schieflage zu befreien und auch das Ansehen der privaten Unternehmen der Stadt wieder herzustellen", ist sich Zheng Chen'ai, Vorsitzender des Verbands der Modehersteller Wenzhous, sicher. Und auch andere Regionen könnten vom Pilotprojekt profitieren. „Die Regierung will in Wenzhou die Lage ausloten und Erfahrungen sammeln, die später bei einer landesweiten Reform von großem Wert sein werden", sagt Guo Tianyong, Leiter des Forschungszentrums für chinesische Bankwirtschaft der Zentraluniversität für Finanzen und Wirtschaft in Beijing.

 

Wenzhou – Mitten im Haifischbecken

Die Entscheidung für Wenzhou kommt also nicht von ungefähr. Und auch die Hoffnungen, die die Regierung in das Projekt setzt, seien schnell ausgemacht, sagt Zhang Zhenyu, Leiter des Wenzhouer Finanzamtes. Durch die Reform soll das seit langem im Untergrund florierende Geschäft mit privaten Darlehen ans Tageslicht geholt und reguliert werden.

Ein Forschungsbericht des Unternehmens CITIC Securities macht das ganze Ausmaß der Misere deutlich: Im vergangenen Jahr, so der Report, habe das nationale Gesamtvolumen der illegalen privaten Kreditwirtschaft stattliche vier Billionen Yuan (rund 480 Milliarden Euro) betragen. Allein in Wenzhou erwirtschaftete 2011 dieser schwarze Geldmarkt rund 180 Milliarden Yuan (22 Milliarden Euro). Laut Angaben der Bank von Wenzhou, der größten Geschäftsbank der Stadt, sind fast 90 Prozent der Einwohner in Geschäfte der illegalen privaten Kreditwirtschaft verwickelt.

Der monatliche Zinssatz für Privatkredite sei mittlerweile auf drei Prozent gestiegen, so Fang Peilin, Vorsitzender von Wenzhou Gang Xing Guarantee. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, kleineren Unternehmen durch Bürgschaften Darlehen zu verschaffen.„Der außergewöhnlich hohe Zinssatz ist für viele Unternehmen heute kaum mehr zumutbar, vor allem in Anbetracht dessen, dass die Gewinnspanne in der Regel höchstens 15 Prozent beträgt", analysiert der ehemalige Leiter des Staatlichen Forschungszentrum für Wirtschaftsfragen Ma Jinlong.

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