18-04-2012
Im Focus
Morphologie des Kunstsammelns -Aufklärung im Dialog
von Matthias Mersch

 

 

 Warum man Kunst kaufen muss

Es ist die Neugier eines Sammlers, und die hat mit Gier zu tun. Diese Gier ist maßlos. Beobachtet man kleine Kinder, so fällt auf, dass sie alles, was ihnen besonders gut gefällt, in den Mund nehmen. Dem Sammler geht es ähnlich: Wir können die Kunst nicht wie Legosteine runterschlucken. Wir können sie uns nicht anders einverleiben als durch den Kaufakt. Man denkt dabei nicht an eine Kapitalanlage. Man kann doch nicht immer nur Geld verdienen, den ganzen Tag und am Abend auch noch! Ich sammle meist Künstler meiner Generation. Für mich zählt nur, dass der Künstler gut ist, egal welche Staatsbürgerschaft er hat.

Ist eine Dame schön, sind sich darüber fast alle einig. Kunst ist individueller. Wenn sie zu mir passt, muss ich sie einfach besitzen. Heute interessieren sich mehr Leute für Kunst. Wir müssen mit dem Markt mit der größten Vorsicht umgehen. Die Sammler wollten Geld verdienen. Wir haben eine hohe Informationsdichte. Der Kunstmarkt erweckt den Eindruck, dass man sich beeilen muss, denn sonst bekommt man nichts mehr. Ich möchte dazu aufrufen, nur das zu kaufen, was einem wirklich gefällt. Kunst ist aber auch eine Haltung, dies führt zu unserem Marktverhalten. Dabei gibt es einen großen Unterschied zwischen Kunstkäufer und Kunstsammler. Beim Sammeln behält man. Ein Kunstsammler stört sich immer an hohen Preisen. Er kann darüber nicht glücklich sein. Vor den Chinesen und den Russen waren es die Amerikaner, die die Preise verdarben. Irgendwer ist immer schuld!

Man kauft mit den Ohren und den Augen, aber auch mit dem Gehirn. Kunstsammeln dient auch als Unterscheidungsmerkmal, denn das Angeben ist heute nicht mehr so leicht, viele Statussymbole sehen sich wachsender Kritik ausgesetzt. Kunst als Prestigeobjekt ist aber zu wenig, das kann auf Dauer nicht ausreichen. Die Gespräche mit den Künstlern sind das Wichtigste. Erst anschließend gab man der bürgerlichen Raffgier nach und erwarb Objekte, wenn man merkte, dass die Künstler Kaufinteresse gut fanden. Heute ist es mir lieber, die Künstler erst kennen zu lernen, nachdem ich ihre Arbeiten entdeckt habe.

Wissenschaft und Kunst sind beide sehr interessant. Kunst erstreckt sich auf immer mehr Gebiete. Steve Jobs hat beides miteinander verbunden und in einem diffizilen Gleichgewicht gehalten. Daher ist es ihm gelungen, die Welt zu verändern. Langsam fühle ich mich auch als Künstler. Ich handele wie ein Künstler. Alles, was ich tue, hat einen Zusammenhang mit Kunst und Künstlern. Sie sind meine Freunde und Lehrer. Ich möchte gerne mit Künstlern meiner Generation zusammen sein, nicht nur mit deren Werken.

Meine Sammlung ist wie ein Text, der mir gefällt. Die Einzelwerke sind wie die gelungenen Zeichen in einer Kalligraphie, die sich zu einem Text verwandeln.

 

Nach dem Horten das Hüten der Schätze

Ich habe noch kein Zeichen dieses Textes verloren.

Die Werke sind Teil meiner Biographie, bei uns kommen sie in den Keller. Wir haben sogar schon wieder welche heraufgeschafft. Manche erscheinen mir heute als langweilig. Aber wenn man eine Arbeit fünfzehn Jahre lang nicht gesehen hat, gibt es vielleicht neue Aspekte. Andere Generationen haben andere, neue Kommunikationsmuster. Ob wir sie nun für wichtig halten oder kitschig, ist interessant. Manche sind langweilig geblieben, aber nicht alle. Ich zeige nicht nur das, was gerade erworben wurde oder was ich einfach großartig finde. Meine Kriterien haben sich geändert. Ein Werk muss neuartig sein, Gehalt muss der Gestalt entsprechen. Man darf sich die Idee nicht in einer anderen Form vorstellen können. Eine Skulptur ist eine Skulptur, weil sich die Idee, die den Anlass des Werkes liefert, nicht in einer anderen Form ausdrücken ließe. Das Gleiche gilt für ein Video. Es soll meine eigene Erfahrung erweitern. Ich möchte darin etwas finden, das an meine Erinnerungen anknüpft. Eine neue Erfahrung, aber zugleich etwas, wofür ich bereits Voraussetzungen mitbringe.

Man soll nicht Namen sammeln, dann sehen irgendwann alle Sammlungen gleich aus. Das wäre grausam. In einer Sammlung soll man auch den Sammler erkennen. Wenn wir einen Künstler gut finden, verfolgen wir sein Schaffen über Jahre. Der private Sammler kann etwas ganz Individuelles und Spezielles machen. Einen Museumsdirektor würde man hinauswerfen, wenn er alles von einem Künstler sammeln würde. Er muss nach anderen Kriterien sammeln. Es muss beides geben: Privatsammlungen und staatliche Sammlungen. Ein staatlicher Auftrag zur Sammlung von Kunst ist unabdingbar. Wahrscheinlich werde ich meine Sammlung spenden.

 

Summa summarum

Wir sind uns alle einig, dass wir von Künstlern lernen. Die Kunst hilft uns, darüber nachzudenken, welche Fehler wir machen und wie wir sie vermeiden können.

Das haben wir von Künstlern gelernt. Etwas zu tun, was möglicherweise zu Erkenntnis führt. Wenn die Gesellschaft von Kunst lernen soll, so wie wir von Kunst lernen, sichert das unser Überleben in einer komplexen Gesellschaft.

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