07-03-2012
Im Focus
Muss China größere militärische Transparenz zeigen?
von Teng Jianqun

Seit Jahren kritisiert der Westen Chinas mangelnde Transparenz bei der Modernisierung seiner Streitkräfte und fordert Klarheit über das Militärbudget sowie das Atomwaffenprogramm des Landes. Dabei legt China bereits seit 2007 seine Militärausgaben nach den Anforderungen der Vereinten Nationen offen. Die Transparenzstandards, für die der Westen eintritt, in vollem Umfang von China zu erwarten, sei unrealistisch, erklärt Teng Jianqun, Experte für internationale Studien, in einem Gastbeitrag für die Beijing Rundschau und bemüht dabei sogar die Geschichtsschreibung der Tang-Dynastie.

Terroristenjäger: Chinesische Soldaten am 24. September 2010 bei einem out-of-area-Auftritt in Matybulak in Kasachstan im Rahmen eines Manövers der Shanghai Cooperation Organization zur Terrorbekämpfung

Die Wacht auf hoher See: Chinesische Marineeinheiten begleiten Handelsschiffe durch den Golf von Aden, dessen Gewässer von Piraten unsicher gemacht werden.

Seit Jahren kritisieren die westlichen Länder China für seine militärische Modernisierung und angeblich mangelnde Transparenz im militärischen Bereich. Die Kritik des Westens zielt letztlich darauf, den Einfluss der aufsteigenden Macht einzudämmen. Gleichzeitig zeigt sie, dass im Westen noch immer blinde Flecken bezüglich der chinesischen Denkweise bestehen. Um China umfassend verstehen zu können, müssen die westlichen Staaten ihr Verständnis für Geschichte und Kultur des Landes vertiefen.

Die Frage militärischer Transparenz lässt sich nicht diskutieren, ohne dabei einen Blick auf Geschichte und Kultur Chinas zu werfen. Um zu beurteilen, ob ein Land eine Bedrohung darstellt, sollte nicht nur seine militärische Stärke, sondern auch die Innen- und Außenpolitik betrachtet werden, einschließlich der Verteidigungspolitik. Am wichtigsten ist die Transparenz der Absichten. China verfolgt konsequent eine defensive Militärpolitik sowie eine unabhängige Außenpolitik des Friedens und hat keinerlei Absichten, andere Länder herauszufordern, geschweige denn einzuschüchtern. In diesem Sinne war und ist China stets offen, was seine militärische Strategie betrifft. Auf strategischer Ebene ist Chinas Militär also transparent.

 

Verdächtigungen des Westens

Dem Westen erscheinen Chinas Militärausgaben jedoch seit jeher rätselhaft. Obwohl sich das Land aktiv an internationalen militärischen Transparenzmechanismen beteiligt und regelmäßig Weißbücher zur nationalen Verteidigungspolitik herausgibt, reagiert der Westen mit Skepsis und Misstrauen.

Dabei ist militärische Transparenz immer relativ. Kein Land dieser Welt kann seine militärischen Angelegenheiten völlig transparent machen. Beispielsweise wissen nur sehr wenige Leute, wie hoch die Ausgaben der Vereinigten Staaten für Forschung und Entwicklung ihres Nuklearwaffenprogramms tatsächlich sind. Auch die Entwicklung des US-Tarnkappenjägers F-117 war streng geheim, nicht nur aus Gründen der technischen Sicherheit, sondern auch, um das Kampfflugzeug zu einer Trumpfkarte der US-Truppen zu machen. Sowohl bei der US-Invasion in Panama 1989 als auch im Golfkrieg 1991 kam dem F-177 eine entscheidende Rolle zu.

In den ersten beiden Jahrzehnten nach Einführung der Reform- und Öffnungspolitik hielt China seine Militärausgaben zunächst gering. Erst ab Ende der 1990er Jahre begann die Regierung, das Militärbudget im zweistelligen Prozentbereich aufzustocken. Zum einen, um die Wiedervereinigung des Landes zu sichern, die die Regierung angesichts der wachsenden Bedrohung durch die „Kräfte, die  für eine Unabhängigkeit Taiwans" eintreten, sowie neue Sicherheitsprobleme in den 1990er Jahren bedroht sah. Zum anderen machten Veränderungen in der modernen Kriegsführung eine Modernisierung des Militärs erforderlich. Die Förderung der verstärkten Anwendung der Informationstechnik in der Volksbefreiungsarmee machten eine Aufstockung des Budgets unumgänglich. In den vergangenen Jahren betrug Chinas Militärbudget durchschnittlich 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der internationale Durchschnitt liegt hier bei 3 Prozent. Auch pro Kopf gerechnet gibt China weniger für sein Militär aus als die meisten anderen Länder.

Chinas Militärbudget ist Teil des Haushaltsentwurfs der Regierung und wird dem Nationalen Volkskongress zur Prüfung und Bewilligung vorgelegt. Dieser Prozess ist vollkommen transparent. Um die Verdächtigungen anderer Staaten zu reduzieren, bringt die Regierung seit 1998 außerdem alle zwei Jahre ein Weißbuch zur nationalen Verteidigungspolitik heraus. Darin werden die Militärausgaben des Landes detailliert aufgeführt. Die Weißbücher stellen eine zeitnahe Ausarbeitung der neuesten Informationen zu Verteidigungspolitik und Militäraufwendungen des Landes dar.

Seit 2007 beteiligt sich China außerdem am „standardisierten internationalen Berichtssystem über Militärausgaben" der Vereinten Nationen. Seither hat es seine Militärausgaben stets entsprechend der Anforderungen der UN offen gelegt, was die Entschlossenheit der chinesischen Regierung unterstreicht, die militärische Transparenz noch zu verstärken.

Auch Chinas Kernwaffenarsenal schürt immer wieder Bedenken und Ängste der westlichen Nationen. Sie wollen wissen, über wie viele atomare Sprengkörper China verfügt, wo genau diese stationiert sind und wie das Land sein Nuklearwaffenprogramm vorantreibt. Dabei verfügt China lediglich über eine minimale Kapazität an Kernwaffen zu Abschreckungszwecken. Alle Details über seine Nuklearwaffen offen zu legen, würde deren Abschreckungswirkung eindeutig zunichte machen. 

Der Westen scheint das eigentliche Grundproblem aus den Augen zu verlieren: China legt Wert auf die Transparenz seiner Kernwaffenpolitik als solches, nicht auf die Transparenz der Zahl und Positionierung seiner Nuklearwaffen. Unmittelbar nach seinem ersten erfolgreichen Atomwaffentest 1964 erklärte China, dass man unter keinen Umständen zu einem nuklearen Erstschlag ausholen werde. Angesichts dieses Versprechens ist die Frage nach der genauen Zahl der chinesischen Kernwaffen sowie ihrer Stationierung von untergeordneter Bedeutung.

Die Kontroverse über die Militärtransparenz ist ein unvermeidliches Resultat des internationalen politischen Kräftemessens. Einflussreiche und schwache Staaten sollten in diesem Bereich nicht über einen Kamm geschoren werden. Militärisch starken Ländern nützt die Offenlegung ihrer militärischen Kapazitäten als strategische Abschreckung. Schwächere Länder dagegen werden noch verwundbarer, wenn sie ihre ohnehin begrenzten militärischen Ressourcen transparent machen. Deshalb sollten die Forderungen starker Länder zur Militärtransparenz in schwachen Ländern die Alarmglocken schellen lassen.

 

Historische und kulturelle Hintergründe

Historisch wie kulturell betrachtet, war und ist China seit jeher eine bescheidene und friedliebende Nation. Die traditionelle chinesische Philosophie – von der „Goldenen Mitte" des Konfuzius über das daoistische Prinzip des „den Dingen ihren Lauf lassen" – fordert von den Menschen, Extreme zu vermeiden. Der chinesische Philosoph und Begründer des Daoismus Laozi, der zu Zeiten der Frühlings- und Herbstperiode (770-221 v. Chr.) lebte, rief zu Bescheidenheit bei der Herrschaft und einer maßvollen Herangehensweise auf. Sein Zeitgenosse Sunzi, berühmter Stratege und Verfasser des Klassikers „Die Kunst des Krieges", sagt, alle Kriegsführung beruhe auf Täuschung. All diese philosophischen Ideen haben das Denken und das Wertesystem der Chinesen in großem Maße beeinflusst.

In ihrem Buch „Die große Mauer und die leere Festung: Chinas Suche nach Sicherheit" (Originaltitel: The Great Wall and the Empty Fortress: China's Search for Security") aus dem Jahr 1997 zitieren die amerikanischen Politikwissenschaftler Andrew Nathan und Robert S. Ross aus dem klassischen chinesischen Roman „Die Geschichte der drei Reiche", in dem Zhuge Liang, Kanzler im Reiche Shu (221-263 n. Chr.), seine Feinde mit der „Strategie der leeren Festung" besiegt. Die Strategie bedient sich des psychologischen Tricks, den Feind glauben zu machen, eine leere Festung stecke voller Fallen und Hinterhalte.

Die Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie Chinas Militärstrategen mit Transparenz und Undurchsichtigkeit umgehen. Und sie beweist, dass militärisch schwache Staaten ihre strategischen Ziele verwirklichen können, in dem sie sich bedeckt halten. Diese Taktik ist von entscheidender Bedeutung für schwächere Länder, um sich vor Angriffen starker Nationen zu schützen.

Auch das traditionelle Konzept des „Sich-in-Zurückhaltung-Übens" hat Chinas Haltung zur Militärtransparenz bedeutend geprägt. Die Idee entstammt dem „Alten Buch der Tang", einem Historienband aus der Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.). Gemeint ist, sich so zu verhalten, dass man keine Aufmerksamkeit erregt. In den 1980er Jahren unterstrich der große chinesische Reformer Deng Xiaoping die Bedeutung dieser Idee für Chinas künftige Entwicklung. In den vergangenen dreißig Jahren hat dieses traditionelle Konzept die In- und Außenpolitik des Landes erheblich beeinflusst, und erklärt zumindest teilweise, warum China sich in Fragen seiner militärischen Stärke so bedeckt hält.

Angesichts der tief verwurzelten Einflusskraft dieser traditionellen Konzepte ist es für China unmöglich und auch unrealistisch, die Transparenzstandards, für die der Westen eintritt, in vollem Umfang zu akzeptieren.

Der Autor ist Forschungsrat am China Institute of International Studies (CIIS), der traditionsreichen Denkfabrik des chinesischen Außenministeriums.