Kultur als Werbemittel: Der Pharmakonzern Tongrentang vermittelt Grundschülern in einer Filiale im australischen Brisbane den Zauber der traditionellen chinesischen Kultur.
Wirft man einen Blick in den Arzneischrank von Haushalten in den USA oder anderen westlichen Ländern, bietet sich fast überall das gleiche Bild: Paracetamol und andere Schmerzmittel, Schlaftabletten, Hustensirup, Erkältungsbrause und Vitaminpräparate – ein ganzes Sortiment an Fläschchen und Packungen quillt einem entgegen. Was man hingegen kaum finden wird, sind Kräuter und natürliche bErgänzungsmittel der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).
Das könnte sich in Zukunft ändern, zumindest wenn es nach dem Pharmakonzern Tongrentang geht, dem wohl traditionsreichsten chinesischen TCM-Anbieter. Immer mehr Hersteller von TCM-Produkten weiten ihre Geschäfte auf den internationalen Markt aus. Und auch das Interesse der ausländischen Kundschaft an den jahrhundertealten Heilmitteln wächst.
Einer dieser neuen TCM-Anhänger ist der Student Simon Coburn aus Sydney. Der 20-jährige Australier studierte zwei Jahre Chinesisch in Beijing. Er begeistert sich nicht nur für die chinesische Sprache, sondern auch fürs Reisen. Bei seinen ausgedehnten Rundtrips durch China dürfen Baiyao-Bandagen aus Yunnan und auch Banlangen-Erkältungsgranulat von Tongrentang in der Reiseapotheke nicht fehlen.
„Ich habe die TCM über meine chinesischen Zimmergenossen kennen und lieben gelernt, vor allem weil die Präparate weniger Nebenwirkungen haben als westliche Medizin", erzählt Coburn. Auch seine Eltern hat der 20-Jährige von den Vorzügen der Präparate überzeugt. „Mein Vater ist mittlerweile Stammkunde der Tongrentang-Filiale in Sydney. Dort lässt er seine Nackenschmerzen mit Akupunktur behandeln", sagt Coburn.
Tongrentang kennt in China jedes Kind
Tongrentang ist Chinas ältester und größter TCM-Hersteller und eine etablierte Marke, die jedem Chinesen ein Begriff sein dürfte. Nun will das Unternehmen auch über die Landesgrenzen hinaus expandieren und die ausländische Kundschaft von der Qualität seiner Produkte überzeugen, ganz wie im Falle von Simon Coburn.
Das prestigeträchtige Familienunternehmen wurde 1669 zu Zeiten der Qing-Dynastie (1644-1911) gegründet. 1723 erkor der Kaiserhof das Unternehmen zu seinem alleinigen Lieferanten für Heilkräuter. Heute ist Tongrentang Chinas TCM-Produzent mit der größten Produktpalette, über 1000 Präparate hat die Firma im Sortiment und stellt damit all seine Konkurrenten in den Schatten. „Alle Kräuter, die wir verwenden, sind zu hundert Prozent naturbelassen, haben allesamt Zertifikate von international anerkannten Labors und entsprechen den Standards der Weltgesundheitsorganisation", erklärt Ding Yongling, stellvertretende Geschäftsführerin des Unternehmens gegenüber der Beijing Rundschau.
Den heimischen Markt hat Tongrentang bereits fest in seiner Hand, nun schickt sich das Unternehmen an, auch den internationalen Markt zu erobern. Bereits 1993 wurde hierfür ein Joint Venture mit einem Hongkonger Konzern gegründet. Dessen Finanzkraft und Erfahrung in Sachen Logistik und die Rechtssicherheit in der ehemaligen Kronkolonie erleichtern Tongrentang den Zugang zum Weltmarkt.
2011 unterhielt der Pharmakonzern bereits 64 Filialen in 16 Ländern und Regionen und zählte insgesamt 18 hundertprozentige Tochterunternehmen bzw. Joint Ventures, die das Exportgeschäft abwickeln.
In seinem jüngsten Vorstoß hat das Unternehmen eine Filiale in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten eröffnet. Es ist die erste Repräsentanz des Konzerns in der Nahostregion. „Das Dubaier Geschäft stellt einen bedeutenden Meilenstein für unsere Auslandsexpansion dar, auch wenn noch immer ein langer Weg vor uns liegt, bis wir uns auf dem internationalen Markt etabliert haben werden", sagt Ding. „Unser Ziel ist es, bis 2015 mindestens 100 Filialen im Ausland zu betreiben und das Ansehen der TCM in der ganzen Welt zu heben."
Interkulturelle Stolpersteine
Während sich Tongrentang auf dem asiatischen Markt gut behaupten kann, war die Reise des Unternehmens gen Westen von zahlreichen Stolpersteinen gepflastert. In den USA stufte die Behörde für Nahrungs- und Arzneimittel viele der TCM-Produkte als „Nahrungsergänzungsmittel" ein, in Australien werden nur einige wenige Präparate als Produkte der Gesundheitsfürsorge anerkannt. Für Tongrentang bedeutet dies, dass die Kosten für seine Produkte im Ausland nicht von den Krankenversicherungen rückerstattet werden, was ein akutes Hemmnis für Akzeptanz und leichte Verfügbarkeit bedeutet.
Am härtesten traf die Branche jedoch die harten Auflagen der EU für den Verkauf von TCM-Produkten. Im Mai 2011 wurden europaweit alle nicht zugelassenen TCM-Präparate aus den Regalen geräumt. Das kam nicht überraschend: Bereits 2004 hatte die EU eine entsprechende Richtlinie erlassen, den Herstellern von pflanzlichen Arzneimitteln aber eine siebenjährige Übergangsfrist eingeräumt, in der sie ihre Produkte gemäß europäischer Arzneimittelrichtlinien zur Zulassung anmelden konnten. Offenbar aber scheuten Chinas Pharmazeuten die damit verbundenen Kosten, denn keinem einzigen TCM-Hersteller aus China ist es gelungen, eine entsprechende Lizenz zu erhalten.
Als weltweit größter Markt für Arzneimittel macht die EU einen Anteil von 40 Prozent aller Verkäufe von pflanzlichen Heilpräparaten aus. „Dank unserer beschränkten EU-Präsenz war unser Unternehmen weniger betroffen," so Ding. Warum sich auch die Renommiermarke aus China keinen Zugang zum europäischen Markt erschließen konnte, hält Ding offen. Stattdessen Stellungswechsel im Krieg der Meinungen über TCM: „Das wahre Dilemma besteht darin, dass viele Menschen im Westen fast nichts über die Wirkungsweise der TCM wissen", meint die Pharma-Managerin. In China hingegen fänden die traditionellen Arzneien seit Jahrhunderten Anwendung.
|