China will die Entwicklung der Lebensverhältnisse in den verschiedenen Gebieten des Landes schrittweise angleichen
Guten Perspektiven für Chinas Nordosten: Arbeiter in Dongbeis zweitgrößtem Hafen Yingkou.
Neulich haben Chinas Provinzen ihr BIP im Jahr 2011 veröffentlicht. Das Wachstum des BIP in den westlichen Regionen des Landes ist erneut größer ausgefallen als in den Küstengebieten des Ostens. Die unausgewogene Entwicklung der verschiedenen Landesteile wird allmählich ausgeglichen.
Im Zuge der Reform- und Öffnungspolitik haben sich die Küstengebieten im Osten aufgrund ihrer geografischen Vorteile und der Bevorzugung, die sie von Seiten der Politik erfahren haben, schnell entwickelt. Das Tempo des Aufbaus der Wirtschaft in Zentral- bzw. Westchina war bedeutend langsamer, der Abstand zwischen den verschiedenen Gebieten hatte sich stets vergrößert, weshalb die chinesische Regierung verschiedene Maßnahmen ergriff, deren positive Wirkung mittlerweile sichtbar wird.
Nach den Statistiken liegt das BIP des Ostens natürlich noch weit vor dem des Westens, aber der Abstand verkleinert sich. Im Jahre 2011 erwirtschaftete die größte Volkswirtschaft unter den Provinzen, Guangdong, 5,3 Billionen Yuan. Die stärkste Wirtschaft Westchinas wies die Provinz Sichuan mit einem BIP von 2,1 Billionen Yuan auf. Im Schnitt betrugen die Wachstumsraten der östlichen Provinzen rund zehn Prozent, während das Wachstum im Westen durch die Bank deutlich über zehn Prozent liegt. Spitzenreiter ist die regierungsunmittelbare Stadt Chongqing mit 16,4 Prozent.
Fan Hengshan, Leiter der Abteilung für regionale Wirtschaft bei der Staatlichen Kommission für Reform und Öffnung erklärt, dass ab Ende der 90er Jahre China Initiativen zur Erschließung des Westens, zum Aufbau Zentralchinas und zur Wiederbelebung der Industriestandorte im Nordosten ergriffen habe. Besonders in den letzten sechs Jahren wollte China massiv das Wohlstandsgefälle zwischen den verschiedenen Regionen verkleinern und hat 17 Dokumente und Pläne über regionale Entwicklung herausgeben. Diese Maßnahmen greifen nun.
Der langjährige Trend einer immer weiteren Öffnung der Wachstumsschere zwischen Ost- und Westchina konnte so gestoppt werden. Seit 2007 wächst die Wirtschaft des Westens stärker als die des Ostens, seit 2008 haben alle Provinzen West-, Zentral- und Nordostchinas eine größere Zuwachsrate aufzuweisen als die Wohlstandsprovinzen des Ostens.
„Diese Veränderung ist geradezu revolutionär, das Wachstum in Zentral- und Westchina wird die Grundlage für eine wesentliche Verbesserung der Pro-Kopf-Einkommen und der öffentlichen Dienstleistungen legen", sagt Fan.
Zwar erfolgt das Wachstum im Westen mittlerweile schneller als im Osten, aber der Abstand in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den verschiedenen Regionen des Landes ist nach wie vor gewaltig. An das BIP des Ostens heranzureichen, ist äußerst schwierig. Das Wirtschaftswachstum in Zentral- und Westchina verdankt sich in erster Linie Investitionen. Ganz anders als in den Küstengebieten spielt hier der Konsum noch eine ganz untergeordnete Rolle.
Die Bäume wachsen nicht in den Himmel
Im Jahr 2011 hat das BIP pro Kopf in einigen Provinzen bereits das Niveau des BIPs von mittleren Industriestaaten erreicht. In Shanghai, Beijing und Hangzhou liegt der Wert bereits bei über 80 000 Yuan, nach dem Maßstab der Weltbank markiert dies bereits Verhältnisse eines wohlhabenden Industriestaates.
Mei Xinyu vom Forschungsinstitut für Internationalen Handel und Wirtschaftliche Zusammenarbeit beim Handelsministerium erklärt, es sei ein erwartbares Resultat der chinesischen Wirtschaftsentwicklung, dass in einigen Gebieten des Landes das BIP pro Kopf das Niveau mittlerer Industriestaaten erreicht. Anlass, sich zufrieden zurückzulehnen, bestehe dennoch nicht: denn das BIP pro Kopf sei weder mit dem Pro-Kopf-Einkommen gleichzusetzen, noch gebe es Aufschluss über die Vermögensverteilung.
2011 beträgt das verfügbare Einkommen pro Kopf in Beijing 32 900 Yuan, also lediglich ein Drittel des BIP pro Kopf, während die Inflationsrate bei 5,6 Prozent liegt. Legt man den Immobilienpreis zugrunde, der gegenwärtig durchschnittlich bei 19 000 Yuan pro Quadratmeter liegt, zeigt sich, dass sich mit dem verfügbaren Jahreseinkommen eines Beijingers noch nicht einmal zwei Quadratmeter Wohnraum erwerben lassen! Der Kontrast zu den entwickelten Industriestaaten könnte größer nicht sein.
Außerdem wird das BIP pro Kopf nur auf der Grundlage der mit Niederlassungsrecht (Hukou) ausgestatteten Stadtbewohner berechnet. Würde man das Massenheer der Wanderarbeiter und aller illegal in Beijing lebenden Chinesen einbeziehen, läge das Pro-Kopf-BIP deutlich niedriger.
Künftige Wirtschaftsentwicklung der Regionen
Das Wirtschaftswachstum hat sich in den letzten zwei Jahren verlangsamt, und dieser Trend hält an. Es wächst die Sorge, dass davon auch die Politik zur Angleichung der Lebensverhältnisse betroffen sein wird.
Der stellvertretende Generalsekretär des Zentrums für Internationalen Wirtschaftsaustausch, Zhang Xiang, hält diese Befürchtungen für unbegründet. Die Zentralregierung hat im aktuellen Fünfjahresplan der wirtschaftlichen Entwicklung der unterschiedlichen Regionen die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Es will jedoch wohlüberlegt sein, wie sich die jeweiligen Stärken der einzelnen Landesteile am besten zur Geltung bringen lassen, so dass Ost-, Zentral- und Westchina gleichermaßen von der Entwicklung profitieren können.
China hat detaillierte Pläne über die strategische Entwicklung verschiedener Gebiete vorgelegt. „Gemeinsam ist all diesen Plänen, dass die jeweiligen Vorteile der geografischen Lage für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Stellung gebracht werden sollen. Dies ist die dringendste Aufgabe", sagt Zhang.
Nach Zhang soll die Wirtschaftsentwicklung jeder Region Vorbildfunktion haben. Der Auftrieb für die regionale Wirtschaft kommt vor allem aus der „bevorzugten Politik", also durch Fördermaßnahmen der Zentralregierung. Dies sei richtig und unverzichtbar. Aber nachdem die Wirtschaft in einem Gebiet angeregt worden ist, sollte der Funke auch auf die Nachbarregion überspringen, damit insgesamt ein günstiges Umfeld für nachhaltige Entwicklung geschaffen werden kann. Bedauerlichweise betreiben aber einige Regionen zum vorgeblichen Schutz ihres Wirtschaftsstandortes eine Politik des Protektionismus. Zhang hat dafür kein Verständnis, denn um eine gesunde und langfristige Entwicklung zu verwirklichen, sei es unabdingbar, eine Strategie der Offenheit und Internationalisierung zu betreiben: „Der Erfolg der Küstenregionen ist doch gerade der Tatsache zu verdanken, dass sie seit Beginn der Reformpolitik ihre Wirtschaft vorbehaltlos geöffnet haben." Davon müssten die Gebiete des Binnenlandes lernen.
Dem Nordosten bieten sich die besten Aussichten für eine nachhaltige Entwicklung seiner Wirtschaft. Die Nähe einerseits zu Russland, andererseits zu den entwickelten Regionen Ostasiens und vor sich der Pazifische Ozean, bieten die allerbesten Voraussetzungen. Vor dem Hintergrund des baldigen Beitritts Russlands zur WTO und der Verhandlungen um eine Freihandelszone, die China, Japan und Südkorea umfassen soll, wird es zu strukturellen Veränderungen der ostasiatischen Märkte kommen. Mit diesen goldenen Chancen des Nordostens wird Zentral- und Westchina vorerst nicht konkurrieren können. |