16-02-2012
Im Focus
Umweltsünder wandern nach Westen
von Wang Hairong
 

Rote Karte für Umweltsünder: Abriss von Kühltürmen in einem Elektrizitätswerk in Changxing in der ostchinesischen Provinz Zhejiang am 16. September 2011. Sie sollen gegen moderne und umweltfreundlichere Anlagen ersetzt werden.

Kirchturmspolitik

"Natürlich ist es unerlässlich, Unternehmen aus den wirtschaftlich entwickelten Regionen des Landes dazu anzuregen, in ärmeren Gegenden zu investieren, aber die lokalen Umweltschutzbehörden sollten nicht ihre Standards absenken, nur damit sie als Produktionsstandort attraktiv werden", meint Tian Weizhao, Leiter der Obersten Umweltschutzbehörde der Provinz Sichuan.

Er macht sich dafür stark, dass die Umweltschutzbehörden ein größeres Mitspracherecht bei der Auswahl der Investoren erhalten, so kämen die größten Umweltsünder gar nicht erst zum Zuge. Die Produktion derjenigen Betriebe, die sich ansiedeln dürfen, sollte streng überwacht werden.

China Umweltschutzgesetz, das im Jahr 2003 in Kraft trat, verlangt eine Umweltfolgenabschätzung bevor ein Industrieprojekt in die Bauphase tritt. Das Gesetz unterstützt die Teilhabe der Öffentlichkeit bei der Entscheidung über eine Industrieansiedlung, und ein Beschluss des Staatsrats aus dem Jahr 2006 schreibt eine öffentliche Anhörung bei Bauprojekten vor, die die Umwelt beeinträchtigen können. Häufig aber wird die Öffentlichkeit nicht ausreichend über Bauvorhaben informiert und findet keine Möglichkeit, potenziell schädliche Projekte zu verhindern. Zahlreich sind die Unternehmen, die trotz ungünstiger Umweltprognosen eine Betriebserlaubnis erhalten haben und in die Produktion eingestiegen sind.

Yang Sujuan, außerordentlicher Professor an der China University of Political Science and Law, vertrat Yu Mingda, ein Umweltopfer aus Pinghu in der Provinz Zhejiang. Fünfzehn Jahre nach Einreichung der Klage gewann Yu schließlich den Prozess. Der Protektionismus vor Ort habe lange Zeit die Entscheidung über Entschädigungszahlungen blockiert, so Yang.

1994 starben alle Kaulquappen in Yus Froschzucht nachdem Abwässer aus fünf Chemiewerken aus der Umgebung in seine Teiche gelangt waren. Der wirtschaftliche Schaden war immens und der Züchter verklagte die Chemieunternehmen beim Amtsgericht. Das Gericht wies die Klage zurück, da kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Einleitung von Abwässern und dem Kaulquappensterben festgestellt werden konnte.

Yang fand heraus, dass vor Errichtung der Chemiewerke keine Umweltstudie erstellt worden war. Auch waren Kläranlagen gar nicht erst eingeplant worden, obwohl deren Betrieb von der Regierung bindend vorgeschrieben ist. Die Aufdeckung dieser   Versäumnisse verhalf Yu schließlich zu seiner Entschädigung. 

Vielerorts sind die größten Umweltverschmutzer zugleich die größten Steuerzahler und als solche gut vernetzt mit der Lokalpolitik. "Obwohl diese Betriebe ganz eindeutig gegen Umweltauflagen verstoßen, können sie ungehindert arbeiten, weil die Lokalregierungen mehr Wert auf die Förderung der Wirtschaft und die Erhöhung der Steuereinnahmen legen, als auf den Umweltschutz und die Lebensqualität der Bewohner", sagt Yang.

"Wenn einfache Bürger Umweltschutzklagen vor Gericht vortragen, werden sie oft unter Hinweis auf mangelnde Beweislage abgewiesen. Sollte es wirklich einmal zu einem Prozess kommen, zieht der Kläger meist den Kürzeren, weil die Unternehmen den Schutz der Regierungen genießen", sagt Peng Defu von der Petitionsabteilung des Umweltministeriums.

Tian Youcheng, Vizepräsident des Oberen Volksgerichts der Provinz Yunnan, sagt, dass Gerichtsfälle, die mit Umweltfragen zu tun haben, von großer gesellschaftlicher Bedeutung und schwierig zu entscheiden seien. Um Einmischung von Seiten der Lokalregierungen zu vermeiden, schlägt er vor, dass die Amtsgerichte schon in erster Instanz derartige Fälle an ein höheres Gericht abgeben sollten.

Der Entwurf zur neuen Zivilprozessordnung, der am 24. Oktober 2011 dem Nationalen Volkskongress (NVK) zur Beratung vorgelegt wurde, sieht vor, dass in Umweltfragen von Behörden und Interessensgruppen Sammelklagen eingereicht werden können. Gemäß den gegenwärtigen Bestimmungen sind nur Regierungseinrichtungen und persönlich von Umweltschäden Betroffene berechtigt, eine Umweltklage einzureichen.

"Sammelklagen von natürlichen Personen, Verbänden oder Bürgerinitiativen werden nur selten von den Gerichten angenommen", sagt Ma Yong, Leiter der Rechtsabteilung des Allchinesischen Umweltverbandes, einer NGO mit Sitz in Beijing. Die meisten von seinem Verband eingereichten Klagen wurden von den Gerichten wegen mangelnder Rechtsgrundlage zurückgewiesen.

Viele Rechtsexperten und Umweltaktivisten sind nun optimistisch: Wenn die Gesetzesnovelle verabschiedet wird, steht der Weg für Sammelklagen im Kampf gegen Umweltsünder offen.

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