14-02-2012
Im Focus
Substanzverlust: Liang Sichengs Siheyuan abgerissen
von Yu Yan

 

Heftige Debatten

Die Aktivitäten der Behörden haben den Zorn der Denkmalschützer bislang nicht besänftigen können. Der Abriss des historischen Gebäudes stelle die Grundfeste der Zivilisation in Frage, erklärte Denkmalschützerin Zeng Yizhi, die sich für den Erhalt historischer städtischer Bauwerke engagiert. Derartige Abrisse dürften in Zukunft nicht mehr vorkommen, forderte sie.

Zeng war lange Jahre als Redakteurin für die nordostchinesische Tageszeitung „Heilongjiang Daily" tätig. 1998 brachte sie das Sonderheft „City and People" heraus, das sich schwerpunktmäßig dem Schutz historischer Gebäude widmete. Seither hat sich die Journalistin dem Erhalt des kulturellen Erbes des Landes verschrieben. 

Laut den Denkmalschutzvorschriften hätte das Hofhaus, selbst wenn es sich in einem gefährlich baufälligen Zustand befunden haben würde, umgehend durch entsprechend qualifizierte Bauunternehmen befestigt werden müssen, so Zeng. „Es durfte aber nicht einfach abgerissen werden." Die Begründung, es handele sich um eine „Sanierungsmaßnahme", sei vollkommen unglaubwürdig, kritisiert die Journalistin. „In den Gesetzen und Vorschriften zum Schutz des kulturellen Erbes gibt es an keiner Stelle einen entsprechenden Passus." Die für den Abriss Verantwortlichen müssten deshalb rechtlich belangt werden, forderte Zeng.

Der „Preis", den man für die Zerstörung unbeweglicher kultureller Relikte zu zahlen habe, sei derzeit einfach zu gering, kritisiert die Denkmalschützerin. Für Gesetzesverstöße in diesem Bereich sei derzeit eine Geldstrafe von maximal 500 000 Yuan fällig, umgerechnet rund 60 000 Euro. Und bisher sei noch niemand für die Zerstörung unbeweglicher Kulturrelikte verurteilt worden.

Zahlreiche ehemalige Studenten des berühmten Architektenpaares sprachen sich außerdem gegen die Pläne der Kulturkommission des Stadtbezirks aus, die alte Residenz aus den Trümmern des Gebäudes wieder aufzubauen.

Bereits zerstörte kulturelle Relikte könnten nicht einfach wieder errichtet werden, das sei international unüblich. Bei der Zerstörung des historischen Bauwerkes habe es sich bereits um einen großen Fehler gehandelt, sagte etwa der 83-jährige Chen Zhihua, Professor an der Beijinger Tsinghua Universität und Schüler von Liang und Lin. „Das Hofhaus als gefälschte Antiquität wieder zu errichten, wäre nur ein weiterer fataler Fehler."

Einige ihrer ehemaligen Studenten sprachen sich dafür aus, einen Ruinenpark am Originalstandort der alten Residenz zu errichten. Entscheidend sei letztlich, dem Ehepaar ein Denkmal zu setzen, so ihre Begründung. Außerdem könnte der Erhalt der Trümmer künftigen Generationen als Warnung dienen.  

Wenn die Regierung etwas bauen wolle, so könne sie eine Gedenkstätte errichten, die das Prinzip der Unterscheidbarkeit verwirkliche, so Chen. Sprich, das Denkmal müsse sich vom Originalgebäude in seiner architektonischen Form unterscheiden, um die Menschen nicht in die Irre zu leiten.

Lehren aus der Vergangenheit

Das traurige Ende der historischen Residenz ist letztlich Spiegel einer traurigen Realität: Im Zuge von Chinas wilder Immobilienspekulation werden viele historisch und kulturell wertvolle Bauwerke aufgegeben und zerstört.

Im Zuge der dritten Bestandsaufnahme nationaler Kulturrelikte wurden bis Ende 2011 insgesamt 766 722 unbewegliche Kulturrelikte auf dem chinesischen Festland aufgelistet, darunter 536 001 Neueingänge. Rund  44 000 von ihnen sind im Zuge der Urbanisierung bereits verschwunden. In Beijing wurden 3840 unbewegliche Kulturrelikte gezählt, von denen es bereits 969 nicht mehr gibt.

„Eine Stadt wächst Stück für Stück. Historische Gebäude sind wichtige Zeitzeugen, wir dürfen sie nicht einfach leichtfertig zerstören. Selbst wenn ein Abriss unausweichlich ist, muss er doch im Einklang mit den Gesetzen erfolgen", erklärt der berühmte Architekturkritiker Fang Zhenning.

Es gibt viele unscheinbare Details an alten Gebäuden, die es zu schätzen und behutsam zu studieren gilt, erklärt der Experte für alte Bausubstanz Luo Zhewen, ebenfalls ein ehemaliger Student von Liang Sicheng. Beim Ausarbeiten von Plänen zum Schutz ehemaliger Wohnhäuser berühmter Persönlichkeiten sollten die Verantwortlichen die Geschichte der historischen Gebäude berücksichtigen, rät Luo.

„Einige Leute sehen nur die unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile, die der Abriss eines historischen Gebäudes mit sich bringt", erklärt Ruan Sanyi, ebenfalls ein renommierter Experte in Sachen Denkmalschutz. „Sie reißen die alten Bauten ab, nur um einige Immobilienprojekte verwirklichen zu können. Das ist ein sehr kurzsichtiges Denken."

Noch schlimmer als die bestehenden Versäumnisse in Sachen Denkmalschutz sei, dass es in der Hauptstadt generell am Bewusstsein für den Erhalt historischer Gebäude mangele. Außerdem seien die Schutzkonzepte äußerst rückständig, bemängelt Ruan.

Natürlich bedeute der Wille zum Schutz historischer Bauwerke nicht, dass diese grundsätzlich nicht angetastet werden dürften, betont er. „Schutz und Entwicklung müssen Hand in Hand gehen, damit die historischen Gebäude in einer modernen Gesellschaft in neuem Licht erstrahlen können." 

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