30-12-2011
Im Focus
Fünf wichtige Merkmale der internationalen Lage
von Chen Xiangyang

Das dritte Merkmal liegt im Entstehen zweier großen Staatengruppen, nämlich der Schwellenländer und der westlichen Großmächte. Die beiden Gruppen konkurrieren gegeneinander, kooperieren aber auch in vielen Bereichen miteinander. Die Wachstumsrate der Bruttoinlandsprodukts der Schwellenländer liegt im ein Mehrfaches höher als die der Industriestaaten. Der Anteil der Volkswirtschaften der Schwellenländer am weltweiten BIP nimmt stabil zu, wohingegen sich die westlichen Großmächte tief in Sozial- und Finanzkrisen verstrickt haben und sich ihre führende Stellung in der Welt abwärts bewegt. Infolge der Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen beiden Seiten setzt ein allgemeiner Wandel der Strategien ein. Westliche Großmächte benutzen die NATO als Mittel zur Durchsetzung ihrer Politik und ringen mit den Schwellenländern, die unter den Kürzeln BRIC oder BASIC auftreten, vor allem um drei Themen: Die Veränderung der Lage in Nordafrika und dem Nahen Osten. Die BRIC-Staaten hielten an den Prinzipien der Wahrung der staatlichen Souveränität und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten fest, während die USA und Europa die UN-Resolution Nr. 1973 missbrauchten, um mit Waffengewalt in den Bürgerkrieg in Libyen einzugreifen. Dabei traten sie hartnäckig dafür ein, die „Schutzpflicht" gegenüber der Bevölkerung  zu erfüllen und „Menschenrechte über Souveränität" zu stellen. Dahinter steckt der Versuch, der neuen Nahen Osten zu führen. Zweitens besteht der Westen darauf, die Vormachtstellung bei der Besetzung wichtiger Posten in internationalen Finanz- und Wirtschaftsgremien zu behalten, während die BRIC-Staaten versuchten, mehr Mitsprecherechte im Management der globalen Wirtschaft zu erlangen. Drittens debattierten beide Seiten in der Frage der Begegnung des Klimawandels. Die BASIC-Staaten traten dafür ein, das Kyoto-Protokoll weiter durchzusetzen, wobei die entwickelten Länder die Hauptlast bei der quantitativen Emissionsreduktion in der zweiten Zusageperiode tragen sollten. Aber die entwickelten Länder entzogen sich mit allen Mitteln dieser Verantwortung.

Blicken wir auf das Jahr 2012, werden beide Staatsgruppen in verschiedenen Bereichen konkurrieren und kooperieren. Aufstrebende Länder werden sich der Abwälzung der Finanzkrise auf andere Länder durch westliche Großmächte entgegenstemmen.

Das vierte Merkmal ist, dass Herausforderungen in den konventionellen und nicht-konventionellen Sicherheitsfragen entstanden sind und das internationale Sicherheitsumfeld komplizierter wurde. Es gibt drei Herausforderungen für die konventionelle Sicherheit. Erstens führten ständige regionale Konflikte und heftige Unruhen in Nordafrika und dem Nahen Osten dazu, dass die Machtpolitik des Westens neuen Aufwind bekommt und der Westen militärische Interventionen unternahm. Es gelang der NATO, Muammar al-Gaddafi zu stürzen, wobei die USA hinter den Kulissen militärische Aktionen der NATO dirigierten und sich auf ihre Verbündeten stützten, was von den USA als „intervention of smart power" oder „skilful power" bezeichnet wurde. 2011 war der zehnte Jahrestag des Ausbruchs des Afghanistankrieges. Amerikanische Drohnen überflogen die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan und griffen zivile und militärische Ziele in Pakistan an, sodass sich die Sicherheitslage in diesen Ländern bedenklich zuspitzte. Zweitens stockten viele Seiten Ausgaben für die Forschung und Entwicklung neuer Rüstungsgüter auf, wodurch das internationale Wettrüsten auf hohem Niveau fortgesetzt wurde. Die USA treiben trotz der Finanzkrise die Entwicklung, Stationierung und Anwendung von Spitzenwaffen voran, um mit allen Mitteln ihre militärische Hegemonie zu bewahren. Russland setzt sich mit den USA in Sachen Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Europa auseinander. Drittens eskalierte die strategische Rivalität im Cyberspace. Die USA veröffentlichten die „International Strategy for Cyberspace" und die „Action Strategy", worin sie den Cyberspace dem Land-, dem See- und dem Luftraum gleichsetzten und forcieren seither den Aufbau eines Offensiv- und Defensivsystems mit dem Ziel, ihre führende Position bei der Ausarbeitung von Regeln für den Cyberspace zu behalten.

Die nicht-konventionelle Sicherheit steht ebenfalls vor drei Herausforderungen. Erstens wurden viele Länder durch häufig auftretende schwere Naturkatastrophen heimgesucht. Dabei zeitigte die verheerende Erdbeben-, Tsunami- und Atomkatastrophe in Japan schwere Auswirkungen auf die globale Industrieproduktion, so dass sich viele Länder um die Sicherheit von Kernkraftwerken sorgten und überlegten, auf die Anwendung der Kernenergie zu verzichten, was zu Verwerfungen auf dem internationalen Energiemarkt führte. Zweitens tritt der Antiterror-Kampf in eine neue Etappe ein. Vor dem zehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September töteten die USA die Anführer der al- Qaida,  Osama Bin Laden und Anwar al-Awlaki. Dennoch lebt der Westen noch immer unter Bedrohung durch Terroranschläge. Auch Südasien wird weiter durch Terroranschläge bedroht. Drittens konnte die Pattsituation in der Atomfrage auf der Koreanischen Halbinsel und im Iran noch nicht überwunden werden: vermutlich, weil das Gedddhadi-Regime in Libyien, das zwar auf eigene Initiative seinen Kernwaffenplan aufgegeben hatte, letztlich doch vom Westen mit Gewalt gestürzt wurde.

Das fünfte Merkmal ist, dass die Rückkehr der USA nach Asien Unruhe im asiatisch-pazifischen Raum auslöste. Das hohe wirtschaftliche Wachstum der asiatischen Schwellenländer trägt zur Verschiebung des geopolitischen Schwerpunktes ostwärts bei. Die wichtigsten Großmächte stockten ihre Investitionen in diesem Raum auf. Die USA gaben bekannt, dass sie ihren strategischen Schwerpunkt auf Asien legen. Sie veranstalteten eine APEC-Konferenz und ihre Vertreter beteiligten sich erstmals am Ostasiatischen Gipfel, missbrauchten die Streitigkeiten über Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und brachten ihre militärische Überlegenheit zur Geltung. Die USA streben die führende Stellung im pazifischen Raum an. Japan folgt den USA auf Schritt und Tritt. Russland versucht, mittels militärischer Kraft, seiner Rohstoffreserven und dem Bau von Pipelines seine Interessen in diesem Raum auszubauen. Indien, das als Großmacht in Südasien auftritt, rückt wirtschaftlich und militärisch weiter nach Osten vor. Vor diesem Hintergrund haben sich die ASEAN-Länder noch enger zusammengeschlossen und treten für die Herstellung des Gleichgewichts zwischen den Großmächten dieses Raumes ein.

Drei Konfliktherde und regionale Kooperationsmechanismen bilden den Schwerpunkt der Rivalität. Erstens ist die Lage in Afghanistan und Pakistan sehr ernst. Nachdem die USA mit dem Truppenabzug aus Afghanistan begonnen haben, fischen extremistische Kräfte im Trüben. Dennoch verdient Afghanistans Wiederaufbau die Aufmerksamkeit aller Seiten. Die Verletzung der territorialen Souveränität Pakistans durch die USA beeinträchtigt die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Zweitens sind die Streitigkeiten über das Seerecht im Südchinesischen Meer besorgniserregend. Die Philippinen und Vietnam treten für die Internationalisierung der Streitigkeiten um Hoheitsrechte im Südchinesischen Meer ein, während die USA diese Streitigkeiten in ihre Strategie der „Rückkehr nach Asien" einbauen und zur Eindämmung des chinesischen Einflusses in der Region zur Anwendung bringen. Unter dem Vorwand der Durchsetzung des Völkerrechtes und der Freiheit der Meere versuchen sie, ihre Ziele zu verwirklichen. Japan und Indien stockten ihre Verteidigungsausgaben auf. Japan verstärkt die Erschließung von Öl- und Gasressourcen in einem umstrittenen Meeresgebiet im Ostchinesischen Meer. Indien arbeitet mit Vietnam bei der Erschließung von Öl- und Gasressourcen im umstrittenen Meeresgebiet im Südchinesischen Meer zusammen. Drittens ist die Frage der atomaren Bewaffnung Nordkoreas und die Sicherheitsfrage auf der Koreanischen Halbinsel ein drängendes Problem. Die Stärkung des Bündnisses zwischen den USA und Südkorea verschärft die Konfrontation zwischen Süd- und Nordkorea. Um die Wiederaufnahme der Sechsergespräche wurde verhandelt. Viertens wurde die Konkurrenz um die führende Stellung in der Frage regionaler Wirtschaftskooperation verschärft. Die USA versuchten, multilaterale Kooperationsmechanismen im asiatisch-pazifischen Raum zu reorganisieren, die Trans-Pacific Strategic Economic Partnership (TPP) und ein Free Trade Agreement (FTA) voranzutreiben, mehr Märkte in diesem Raum zu erobern, den Ostasiatischen Gipfel umzugestalten die ostasiatische Kooperation in die asiatisch-pazifische Kooperation zu verwandeln.

Werfen wir einen Ausblick auf das Jahr 2012, werden die USA in vielfältiger Weise ihre Schritte zur Rückkehr in den asiatisch-pazifischen Raum beschleunigen, während sich verschiedene Akteure für ihre eigenen Interessen in der Frage der drei Konfliktherde und der Art und Weise der Kooperation im asiatisch-pazifischen Raum stark machen werden.

 

 

 

Der Autor ist Vizedirektor des Instituts für Weltpolitik bei der Forschungsakademie für gegenwärtige internationale Beziehungen in Beijing.

 

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