30-12-2011
Im Focus
Fünf wichtige Merkmale der internationalen Lage
von Chen Xiangyang

2011 halten Auswirkungen der internationalen Finanzkrise an, die internationale Lage ist durch häufig auftretende Unruhen, schlagartige Veränderungen und überall lauernde Gefahren gekennzeichnet. Wir können hinter dem äußeren Anschein erkennen, dass all dies „Geburtswehen" einer Zeit des Wandels der internationalen Ordnung sind.

 

 

Am 23. Oktober schwenken Bürger in der ostlibyschen Stadt Bengasi die neue Nationalflagge zur Feier der Befreiung des ganzen Landes.

Euro ade? Passanten am 23. September in der spanischen Hauptstadt Madrid an einem durchgestrichenen Symbol der Gemeinschaftswährung.

 

 

Das erste Merkmal besteht darin, dass sich die Wirtschaft der entwickelten Länder und die Wirtschaft der Entwicklungsländer sehr stark voneinander unterscheiden und die Schuldenkrise in Europa und den USA die Wiederbelebung der Weltwirtschaft behindert. Obwohl die USA die Obergrenze ihrer Staatsverschuldung auf 2,1 Billionen Dollar heraufsetzten, wurde ihre Bonität durch Ratingagenturen erstmals herabgesetzt. Die Schuldenkrise in Europa hält an, EU-Länder starteten zögerlich gemeinsame Aktionen zur Begegnung der Krise, die sich als wenig effektiv erwiesen. Wenn die amerikanische Regierung und die Regierungen der EU-Staaten ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten überwinden wollen, sollten sie ihre Staats- und Sozialausgaben kürzen, werden daran aber durch den Widerstand der Bevölkerung und der politischen Opposition gehindert, so dass es ihren Volkswirtschaften an Kraft zum Wachstum mangelt. Dem Internationalen Währungsfonds (IMF) zufolge beträgt die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts der entwickelten Länder im Jahr 2011 nur 1,6 Prozent.

Die wirtschaftlich aufstrebenden Länder sind frische Kräfte für die Wiederbelebung der Weltwirtschaft. Gestützt auf ihre Inlandsnachfrage und ihren gegenseitigen Handel realisierten sie einen relativ hohen Zuwachs. Ihre wirtschaftliche Wachstumsrate liegt schätzungsweise bei 6,4 Prozent, darunter die Chinas bei über 9 Prozent. Diese Länder unternahmen alle Anstrengungen, um die Krise zu überwinden und zu verhindern, dass die Weltwirtschaft zum zweiten Mal in die Talsohle gerät. Dem IMF zufolge liegt die Wachstumsrate der Weltwirtschaft 1911 bei 4 Prozent. Die entwickelten Länder führen hingegen eine lockere Geldpolitik und betreiben Protektionismus, wälzen die Krise auf andere Länder ab, üben damit nicht nur Druck auf die aufstrebenden Länder aus, sondern bereiten ihnen zudem Schwierigkeiten, um ihr Entwicklungstempo zu verlangsamen.

Wenn wir einen Ausblick auf das Jahr 2012 werfen, bieten sich viele Unsicherheiten bei der Wiederbelebung der Weltwirtschaft, wird sich die Wirtschaft der aufstrebenden Länder schnell und die der entwickelten Länder langsam entwickeln.

Das zweite Merkmal ist, dass soziale und politische Konfrontationen weltweit stattfinden. Gravierende Auswirkungen der ausufernden internationalen Krise veranlassten soziale und politische Krisen in unterschiedlichem Maßstab in Nordafrika, dem Nahen Osten, Europa und den USA. „Revolutionen" wurden in vielen Ländern in Nordafrika, dem Nahen Osten vom Zaun gebrochen. In Tunesien, Ägypten und Jemen fanden Machtwechsel statt. Westliche Mächte griffen mit Gewalt in den Bürgerkrieg in Libyen ein, wo Muammar al-Gaddafi ums Leben kam. Der syrische Machthaber Assad ist Druck aus dem Inland und von außen ausgesetzt. Die Machtstrukturen im Nahen Osten verändern sich tief greifend, die dortigen proamerikanischen Kräfte sind einigermaßen geschwächt, Israel ist noch mehr isoliert, die Türkei und der Iran sind auch in Mitleidenschaft gezogen. Die Finanzkrise in Europa und den USA führt dazu, dass sich soziale Widersprüche zuspitzen und extreme Denkströmungen Aufwind bekommen, wie am Massenmord auf der norwegischen Insel Utoya, am Bombenanschlag in Oslo, an Unruhen in London, der Bewegung „Occupy Wall Street" in vielen amerikanischen Städten deutlich wird.

2011 ist ein sogenanntes „zorniges Jahr", in dem die drei größten Konflikte der Gegenwart deutlich zutage treten: Das größte Konfliktpotenzial hält die Polarisierung zwischen Armen und Reichen bereit. Die Finanzkrise führte zur drastischen Wertminderung des Vermögens des Mittelstandes. Die Bevölkerung fühlt, dass sie ihres Wohlstands „beraubt" ist, was dazu führt, dass sie ihrem Zorn Luft macht und protestiert. Die Bewegung „Occupy Wall Street" ist gegen das Finanzkapital und soziale Ungerechtigkeit in den USA gerichtet.

Das zweitgrößte soziale Problem: Die Globalisierung, die verstärkte Anwendung der Informationstechnologie und die Forderung nach Fairness werden zu einer allgemeinen Entwicklungstendenz, der gegenüber verknöcherte traditionelle Systeme nicht mehr existieren können. Die Führung der Charismatiker (leadership of charismatic men) und die patriarchalische Herrschaft in einigen nordafrikanischen Ländern und Staaten des Nahen Ostens wurde gestürzt. Missstände der „Demokratie der Potentaten" in Europa und den USA traten gleichermaßen zutage. Das Internet, Nichtregierungsorganisationen und neue Medien tragen dazu bei, Unruhe von einem Land auf andere Länder auszubreiten. Das drittgrößte soziale Problem ist das demographische Ungleichgewicht und der damit verbundene Konflikt zwischen den Generationen. Die Weltbevölkerung überschritt in diesem Jahr die sieben Milliarden-Marke, zahlreiche junge Leute sind langjährig arbeitslos und „Angry Young Men" stellen weltweit Konfliktpotenzial bereit.

Im Jahr 2012 haben die Regierungen in Nordafrika und dem Nahen Osten, die den vorangegangenen Patriarchen folgen, die schwierige Aufgabe des Wiederaufbaus zu bewältigen. In- und ausländische Kräfte werden sich ein Kräftemessen liefern. Im Nahen Osten gibt es veränderliche Faktoren. Soziale Widersprüche in Europa und den USA werden sich möglicherweise erneut zuspitzen.

1   2   >