07-12-2011
Im Focus
China kämpft weiter um Anerkennung als freie Marktwirtschaft
von Hu Yue

Nach 30 Jahren marktorientierter Reformen und zehn Jahren WTO-Mitgliedschaft kann China beachtliche Erfolge bei der Öffnung seiner Märkte vorweisen. Trotzdem sprechen Chinas wichtigste Handelspartner – darunter die EU, die USA, Japan und Indien – dem Land noch immer den Status einer freien Marktwirtschaft ab. Die Folge: China wird vermehrt Ziel von Dumping- und Subventionsvorwürfen. Vor allem Chinas Exportunternehmen leiden unter der Situation.

Freier Handel: Kunden kaufen Gemüse in einem Supermarkt in Yinchuan, im Autonomen Gebiet Ningxia der Hui-Nationalität. Die Preise der meisten Produkte werden in China mittlerweile durch den Markt reguliert.

 

Aktienboom: Investoren handeln mit Wertpapieren an der Shanghaier Börse. Die schnelle Entwicklung des Aktienmarktes hat Chinas Unternehmen auch dabei geholfen, ihre Unternehmensführung zu reformieren und besser auf dem Markt zu agieren.

30 Jahre nach der Einführung marktorientierter Reformen und zehn Jahre nach seinem WTO-Beitritt kämpft China international noch immer um die Anerkennung seines Status als Marktwirtschaft. Dabei hat China die Weltgemeinschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten mit beachtlichen Fortschritten bei seinen marktwirtschaftlichen Reformen verblüfft. Bis heute haben bereits 97 der insgesamt 153 Mitglieder der Welthandelsorganisation Chinas Status als Marktwirtschaft anerkannt. Die wichtigsten Handelspartner des Landes aber – darunter die EU, die USA, Japan und Indien – zögern noch immer nachzuziehen.

Und das, obwohl die Anerkennung des Status letztlich nur eine Frage der Zeit ist: Spätestens 2016 wird China international automatisch als Marktwirtschaft eingestuft werden, so sehen es die Regelung der WTO vor. Eine frühere Anerkennung allerdings würde vor allem Chinas Exporteuren viele der derzeitigen Sorgen ersparen. Sie kämpfen mit einer steigenden Zahl von Handelsstreitigkeiten.

„Der Westen hat die Frage von Chinas Status als Marktökonomie bisher genutzt, Handelsprotektionismus zu betreiben", sagt Song Hong, Forscher am Institut für globale Ökonomie und Politik der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften.

Und offizielle Zahlen scheinen den Vorwurf zu untermauern: Bereits 16 Jahre in Folge ist China Ziel der meisten Anti-Dumping-Maßnahmen weltweit, wie Zahlen des chinesischen Handelsministeriums belegen. Allein 2010 wurde dem Land in 23 Fällen Dumping vorgeworfen und wurden entsprechende Untersuchungen eingeleitet. China ist damit Ziel von rund 33 Prozent aller Anti-Dumping-Investigationen weltweit.

Von Dumping wird in der Regel dann gesprochen, wenn ein Produkt im Ausland entweder zu einem niedrigeren Preis als im Ursprungsland angeboten oder unter seinem eigentlichen Produktionspreis gehandelt wird.

Das Problem: Gerade weil viele westliche Länder China den Status einer Marktwirtschaft absprechen, betrachten sie die Preise auf dem chinesischen Markt als unzuverlässige Größen und ziehen sie nicht zur Berechnung von Dumpingspannen heran. Stattdessen dienen Preise anderer Länder, so genannter „Ersatzstaaten", in denen die Produktionskosten oft wesentlich höher liegen als in China, als Berechnungsgrundlage. Auf diese Weise wird China leicht zum Ziel von Dumping- und Subventionsvorwürfe.

„Die niedrigen Preise, die von chinesischen Exporteuren veranschlagt werden, spiegeln tatsächlich die realen Marktbedingungen im Billig-Land China wider. Sie sind kein Resultat von Subventionen oder anderen Verzerrungsmechanismen, wie man sie üblicherweise in planwirtschaftlichen Systemen findet", erklärt Song.

Vize-Außenministerin Fu Ying bemängelt, dass die von der EU, den USA und anderen westlichen Ländern angelegten Kriterien mittlerweile zu einem großen Hemmnis für die chinesische Wirtschaft geworden seien. Streng genommen erfüllten auch zahlreiche andere Länder, die von der EU aber im Gegensatz zu China als Marktwirtschaften anerkennt würden, die von den westlichen Staaten angelegten Kriterien nicht, so Fu. Die EU solle China in Sachen Anerkennung des marktwirtschaftlichen Status fair behandeln, fordert die Ministerin.

„Die USA nutzen den Marktwirtschaftstatus derzeit als Feilschinstrument, um China zu Zugeständnissen etwa bei der Frage der Wechselkursrate des Yuan gegenüber dem Dollar oder US-Schatzbriefen zu zwingen", sagt He Weiwen, Leiter der Chinesischen Gesellschaft für WTO-Studien.

Russland sei bereits 2002 von den Vereinigten Staaten als Marktwirtschaft anerkannt worden, obwohl das Land noch immer kein WTO-Mitglied sei, so He. Auf dem vom Washingtoner Forschungsinstitut Heritage Foundation erstellten Index für Wirtschaftsfreiheit rangierte China 2011 aber klar vor Russland.

„Die undurchsichtigen Standards westlicher Nationen in dieser Frage behindern unseren Außenhandel massiv", sagt Mei Xinyu, Außerordentlicher Forschungsrat der Akademie für Internationalen Handel und Wirtschaftskooperation. „Ob die EU China den Status einer freien Marktwirtschaft zuspricht, ist meiner Meinung nach eher eine politische und keine substantielle Frage", fügt Mei hinzu.

Zhang Yansheng, Leiter des Instituts zur Erforschung ausländischer Wirtschaftssysteme, das der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform untergeordnet ist, erklärt, dass bis heute kein Land der Welt als reine Marktwirtschaft definiert werden könne. „Wenn die EU und die Vereinigten Staaten China allerdings schon vor Ablauf der offiziellen Frist 2016 als Marktwirtschaft anerkennen würden, könnte das unsere Zusammenarbeit im Bereich Handel und Investitionen entscheidend vertiefen", so Zhang.

 

Chinas Reformen tragen Früchte

Eine Marktwirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass Angebot und Nachfrage über die Verteilung von Ressourcen sowie die Preise von Waren und Dienstleistungen bestimmen. In nicht-marktwirtschaftlichen Systemen hingegen entscheidet die Regierung über Produktionsgüter und Produktionsmengen sowie die Preisgestaltung für Waren und Dienstleistungen.

Sowohl die USA als auch die EU verweisen im Falle Chinas auf Überbleibsel vermeintlicher planwirtschaftlicher Strukturen, die es nicht zuließen, China als Marktwirtschaft anzuerkennen. Das US-Handelsministerium erklärte beispielsweise, die chinesische Regierung übe noch immer auf allen Ebenen starken Einfluss auf die Ressourcenverteilung aus. Vor allem bei der Verteilung finanzieller Ressourcen spiele die Regierung noch immer eine zentrale Rolle. Dies zeige, dass der Staat auch gesamtökonomisch betrachtet noch immer signifikanten Einfluss auf die Ressourcenverteilung nehme, so die Argumentation.

2008 erklärte auch die Europäische Kommission in einem Bericht, dass vor allem die Fortschritte bei der Reduzierung des staatlichen Einflusses auf die Preissetzung, besonders im Energiesektor, in China noch hinter den Erwartungen zurückblieben.

China und der Westen hätten unterschiedliche Ansichten, was die makroökonomische Kontrolle betreffe, erklärt hingegen Handelsminister Chen Deming. „Das ist vor allem damit zu begründen, dass sich China und die westlichen Staaten in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Wir verfügen über ganz unterschiedliche Ausgangsbedingungen", so Chen.

Nicht von der Hand zu weisen ist, dass der staatliche Einfluss sowie planwirtschaftliche Mechanismen in China in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind. 2008 machten die Einnahmen der chinesischen Regierung nur noch rund 21,8 Prozent des BIP des Landes aus. Das geht aus dem „Bericht über die Entwicklung der chinesischen Marktwirtschaft 2010" hervor, der vom Institut für Ökonomie und Ressourcenmanagement der Beijing Normal University veröffentlicht wurde. Der Anteil lag damit unter dem weltweiten Durchschnitt von 26,9 Prozent.

Der einst dominante, staatliche Sektor schrumpft verhältnismäßig, wohingegen der private Sektor zunehmend wächst und immer produktiver und profitabler wird. Unter anderem in den Bereichen Telekommunikationsausrüstung, Haushaltsgeräte und Bergbau dominieren mittlerweile private Unternehmen den Markt. „Der private Sektor macht heute mehr als die Hälfte der chinesischen Wirtschaft aus und stellt mindestens 70 Prozent aller Arbeitsplätze", erklärt Huang Mengfu, Vorsitzender des Gesamtchinesischen Dachverbandes für Industrie und Handel.

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