07-12-2011
Im Focus
Geringeres Wachstum des BIP kein Grund zur Panik
von Zhou Xiaoyuan

 

Eine angemessene Senkung des Wachstums dient der Regulierung der Wirtschaftsstruktur.

Energieeinsparung: Herstellung neuartigen Baumaterials aus Kohlenasche und Schlacke am 19. Oktober bei Hengyuan New Material Co. Ltd. in Liupanshui in der westchinesischen Provinz Guizhou (XINHUA)

 

Nach Angaben des Staatlichen Statistikamtes ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Chinas im dritten Quartal dieses Jahres um 9,1 Prozent gewachsen. In Vergleich zum Wachstum im ersten Quartal von 9,7 Prozent und dem im zweiten Quartal von 9,5 Prozent ist das Wachstum im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nun das dritte Mal in Folge gesunken.

Wu Xiaoling, der stellvertretende Direktor des Komitees für Finanzen und Wirtschaft beim Nationalen Volkskongress räumt ein, dass das Wachstum zwar gesunken sei, aber der durchschnittliche Jahreswert der Wachstumsrate wird voraussichtlich bei acht Prozent liegen, womit China erneut seine Spitzenposition in der Welt verteidigen kann.

 

Wachstum wird weiter sinken

Zwar ist das Wachstum der Wirtschaft in den ersten drei Quartalen im Jahresvergleich kontinuierlich gesunken, aber von Quartal zu Quartal durchaus jeweils im Bereich von zwei Prozentpunkten angestiegen. Insider halten es für möglich, dass das Wachstum sogar auf einen Wert von 8 Prozent fallen kann, da bei geringerer Inflationsrate die Finanzpolitik nicht so straff bleiben werde. Eine "harte Landung" der Wirtschaft sei dennoch nicht zu befürchten.

Liu Yuhui, Direktor des Zentrums für Einschätzung der chinesischen Wirtschaft bei der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften geht von einem weiteren Sinken der Wachstumsrate aus. Das Wachstum im vierten Quartal wird vielleicht acht bis neun Prozent betragen. Da die Investitionen in der vergangenen zwei bis drei Jahren hauptsächlich aus öffentlichen Projekten der Regierung oder von Staatsunternehmen stammten, ist künftig ein Trend zur Verlangsamung abzusehen.

„Einerseits hat die Zentralregierung zur Kenntnis genommen, dass die Abhängigkeit des Wirtschaftswachstums von der Staatsquote zu kostenaufwändig ist und nicht auf Dauer angelegt sein kann, außerdem können daraus noch weitere Probleme entstehen", erklärt Liu Yuhui. Früher seien viele der negativen Folgen staatlicher Investitionen wie das Entstehen von Überkapazitäten in verschiedenen Branchen, die Realisierung identischer, aber miteinander konkurrierender Projekte, mangelnde Effizienz etc. von einem übergroßen Wachstum der Exporte absorbiert worden. Im Zeitalter der Globalisierung konnte die Konsumblase in den westlichen Industriestaaten in großem Umfang die Produkte aus überschüssigen Kapazitäten in China aufnehmen. Im Zuge der sich verschlimmernden Schuldenkrise in Europa und den USA seien die Schattenseiten dieser "Arbeitsteilung" aber immer sichtbarer hervorgetreten.

Andererseits, so macht Liu deutlich, werden die Impulse zu Investitionen der Lokalregierungen auch durch sinkende Erträge aus den Erlösen der Veräußerung von Bodennutzungsrechten und Kapitalmangels aufgrund der restriktiven Kreditvergabe der Banken negativ beeinflusst.

Seit Mai war die Regierung darum bemüht, das Wirtschaftswachstum zu zügeln, damit die Wirtschaft im vierten Quartal diesen Jahres oder in der ersten Jahreshälfte 2012 noch die Chance zur Schaffung von neuen Produktionskapazitäten und zur Reduzierung von Lagerbeständen hat.

 

Sinkende Wachstumsrate fördert Wirtschaftsentwicklung

Tatsächlich ist die Inflationsrate in China in diesem Jahr dauerhaft hoch. Eine maßvolle Absenkung des Wirtschaftswachstums kann den Druck auf die Warenpreise reduzieren und so einer geordneten Wirtschaftsrechnung dienen.

„Wachstumssenkung ist eine gute Sache, die für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung unabdingbar ist", analysiert Liu. Die Senkung der Rohstoffpreise auf dem internationalen Markt ließ die Kosten der Fertigungsindustrie in China sinken, wodurch sich die Konkurrenzfähigkeit der chinesischen Fertigungsindustrie verbessert hat. Bei einem Schrumpfen der Staatsquote könnten mehr Ressourcen freigesetzt werden und der Kapitalmangel der Regierung, der staatlichen Industrie und öffentlichen Dienstleister sowie der kleinen und mittelständischen Unternehmen gelindert werden.

Ein Absenken der Investitionen kann nicht nur das Wachstum des BIP reduzieren, sondern auch effektiv die Inflation dämpfen. Ein Wandel der Wirtschaftsstruktur, eine Reform des Finanzsystems und strukturellen Steuersenkungen könnte dann Raum greifen.

Zhang Liquan, Forschungsrat für Makroökonomie am Forschungszentrums für Entwicklung beim Staatsrat ist der Meinung, dass eine Reduzierung des Wirtschaftswachstums dem Strukturwandel und der Änderung des Entwicklungsmodus der Volkswirtschaft diene. Für die makroökonomische Steuerung der Zukunft sei es nicht ratsam, an der Politik der Konjunkturanreize durch die Regierung festzuhalten, die stets nach hohem Wachstumsraten strebt. Die Politik sollte ohne große konjunkturelle Schwankungen im Großen und Ganzen stabil gehalten werden. Der Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik sollte auf eine beschleunigte Wandlung der Wirtschaftsstruktur mit dem Ziel liegen, eine bessere Position in der Wertschöpfungskette  zu erlangen. Für ein solides Wirtschaftswachstum bedürfe es eines stabilen Fundaments.

 

Qualität der Wirtschaft berücksichtigen

„Man soll nicht seine ganze Aufmerksamkeit auf das Wachstum des BIP konzentrieren. Die Berechnung des BIP in China ist unwissenschaftlich, denn der Abriss eines Hauses schlägt sich genauso als Beitrag zum Wirtschaftswachstum nieder, wie der Bau eines neuen Hauses. Ohne die Akkumulation von Wohlstand hat das BIP keine Aussagekraft", glaubt Wu Xiaoling. Man solle mehr Gewicht auf die Reform der Verteilung des Volksvermögens legen. Ziel müsse es sein, dass Export, Investition und Konsum gleichermaßen zur Wirtschaftsentwicklung beitragen.

Schwärmerei für rasches Wachstum führt auf den Holzweg und lenkt vom Wesentlichen ab. Derzeit verlagert sich das Wachstumsmodell der chinesischen Wirtschaft von der Betrachtung der Quantität zur Betrachtung der Qualität. Durch ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum versucht man Zugang zu einer balancierten Wirtschaftsentwicklung zu finden.

Der stellvertretende Direktor der Informationsabteilung beim China Center for International Economic Exchanges, Xu Hongcai erklärt, China soll die Chance zur Regulierung der Wirtschaft nutzen, und dabei vor allem Abschied von der traditionellen Weise des Wirtschaftens nehmen, die auf hohe Exportüberschüsse und hohe Investitionen setzte. Dies sei für Chinas Zukunft von ausschlaggebender Bedeutung.

Bleibt die Frage nach dem Wie? Liu Yuhui gibt zu, dass eine Regulierung der  Wirtschaft ein schwieriges Unterfangen sei. Die Regierung solle sich darauf beschränken, einen wirtschaftspolitischen Rahmen zu liefern, die Impulse für den Gang der Wirtschaft müssten hingegen von den Unternehmen bzw. der Privatwirtschaft ausgehen. Dazu sei es erforderlich, staatliche Monopole zu brechen, und komplizierte Regelwerke abzuschaffen. Eingriffe der Regierung in den Alltagsverlauf der Wirtschaft müssten zurückgefahren werden.

Liu Yuhui beurteilt die künftige Entwicklung der chinesischen Wirtschaft optimistisch. Wenn man an der grundsätzlichen Richtung einer Reform der Wirtschaftsstruktur festhält und zusätzlich währungspolitische Maßnahmen ergreift, eine strukturelle Koordinierung und eine vernünftige Industriepolitik ergreift, wird es keine "harte Landung" für Chinas Wirtschaft geben.