01-12-2011
Im Focus
Streit ums digitale Erbe
von Li Li

Schluss mit lustig: Nutzer von Onlinespielen verfügen mitunter über erhebliches virtuelles Vermögen, dessen Rechtsgrundlage ungesichert ist. Da wird das Erben schwierig.

 Schutz der Privatsphäre

Zwar hat sich die große Mehrheit der chinesischen Internetnutzer auf die Seite von Frau Wang gestellt und Anbieter Tencent für das Zurückweisen ihrer Anfrage verurteilt. Es gab aber auch einige Stimmen, die sich mit dem Vorgehen des Unternehmens solidarisierten. Es sei richtig, dass die Betreiber sozialer Onlinenetzwerke nicht leichtfertig und ohne strenge Identitätsprüfung beliebig Zugriff auf Nutzerkonten gewährten, so die Argumentation.„Der Schutz der Privatsphäre der Kunden ist auch eine Form des Respekts gegenüber den Verstorbenen", schrieb ein Mikroblogger.

Die richtige Balance zwischen der Anerkennung des Wertes von digitalen Besitztümern und dem Schutz der Privatsphäre der Nutzer zu finden, sei keine leichte Aufgabe, räumt Internetexperte Zhang ein: „Es mag durchaus Momente geben, in denen ein Internetuser nicht einmal seinen engsten Angehörigen Einblick in seine Onlinedateien gewähren mag." Die öffentliche Debatte um die Verwaltung von Online-Erbe lässt viele Internetnutzer darüber nachsinnen, wie die eigene Cyberspace-Identität nach ihrem Tod bewahrt und weitergegeben werden soll. Viele Netizens erklärten, wichtige Zugangsdaten und Passwörter zukünftig in ihrem Testament vermerken lassen zu wollen.

Mittlerweile haben einige findige Geschäftemacher das Dilemma als Marktlücke entdeckt. Sie wandeln den Wunsch der Internetuser, die eigene Online-Existenz auch nach dem Tod zu managen, in bare Münze um. Servicedienste, die sich um die Verwaltung des Online-Nachlasses ihrer Kunden kümmern, sind zu einem lukrativen Geschäft geworden. Einige dieser Dienste bieten ihren Kunden an, persönliche Passwörter und Zugangsdaten zu verwalten und im Falle des Ablebens den Willen der Verstorbenen darüber, wer im Todesfall Zugang zu welchen Dateien erhalten soll, zu vollstrecken. Die Anbieter senden ihren Kunden in regelmäßigen Abständen E-Mails zu, deren Empfang zu bestätigen ist. So soll sichergestellt werden, dass der Kunde noch unter den Lebenden weilt. Werden die Mails nicht beantwortet, leitet das Unternehmen die vereinbarten Schritte ein; die hinterlegten Zugangsdaten werden an die vorgesehenen „Erben" weitergegeben.

Ein Anbieter aus Nanjing in der ostchinesischen Provinz Jiangsu setzt auf den Einsatz einer Überwachungssoftware, die auf dem Computer des Kunden installiert wird. Stellt das Programm fest, dass der Kunde seinen Chat- oder E-Mail-Account  über einen längeren Zeitraum nicht genutzt hat, kontaktiert das Unternehmen die vom Kunden festgelegten Erben und übermittelt ihnen die Details zu dessen digitalem Nachlass. Auch einen „Account-Friedhof-Dienst" hat das Unternehmen im Angebot: Für eine Gebühr von 10 Yuan im Monat, umgerechnet rund 1,20 Euro, kann sich der besorgte Internetnutzer ein „Onlinegrab" reservieren. Verstirbt der Kunde, löscht das Unternehmen zuvor vom Kunden festgelegte Daten und Onlineinhalte, die der Betroffene nach seinem Tod lieber mit ins Grab nehmen möchte.

Für die jungen Start-up-Unternehmen stellt Chinas riesige Internetgemeinde mit ihren über 500 Millionen Nutzern, rund 40 Prozent der Bevölkerung des Landes, einen viel versprechenden Absatzmarkt dar. Die Serviceanbieter sehen sich aber auch mit großen Herausforderungen konfrontiert. So ist es nicht immer einfach, die potentiellen Kunden davon zu überzeugen, dass das jeweilige Unternehmen zum Zeitpunkt ihres Ablebens überhaupt noch existiert. Das eigene Ableben mag eine todsichere Angelegenheit sein, die Lebensdauer junger Online-Start-ups dagegen nicht. Außerdem besteht für die Betreiber das Risiko, dass es zu Schadensersatzforderungen kommt, sollten die ihnen anvertrauten Konten und Zugangsdaten bei einem Hackerangriff gestohlen werden. 

 

Infokasten: Regelungen für das digitale Erbe von Internetnutzern

Facebook, Twitter, Yahoo – so gut wie alle etablierten Größen der Onlinebranche haben mittlerweile eigene Konzepte und Regelungen ausgearbeitet, um für den Todesfall ihrer Nutzer gewappnet zu sein. Beim Onlinenetzwerk Facebook kann der Account eines Nutzers nach dessen Tod auf den so genannten „Denkmal"-Modus umgestellt werden. Hierzu muss zunächst eine Anfrage an die Betreiber gesendet werden. Daraufhin werden bestimmte Funktionen des Accounts deaktiviert und die Kontrollfunktionen zur Privatsphäre des Nutzers zurückgesetzt. Das Profil des Verstorbenen verwandelt sich so in eine Plattform, auf der Freunde und Angehörige Trauerbekundungen hinterlassen können.

Im August 2010 hat auch das Mikroblog-Portal Twitter Regelungen für den Todesfall seiner Nutzer veröffentlicht: Wird das Unternehmen über das Verscheiden eines Nutzers informiert, wird der jeweilige Account entweder gelöscht oder in Abstimmung mit den Hinterbliebenen eine Datensicherung aller öffentlichen Einträge vorgenommen.

Drittens gewährt Twitter dabei keinen Zugang zum Account des Verstorbenen. Auch gelangen keine der nicht offen zugänglichen Informationen, die im Zusammenhang mit dem Account des Nutzers stehen, nach außen.

Internetriese Yahoo gewährt Angehörigen nur mit richterlicher Verfügung Zugang zum Nutzerkonto von Verstorbenen. In seinen Nutzungsbedingungen schreibt das Unternehmen fest, dass die Accounts des Anbieters nicht übertragbar sind und alle Rechte an der Yahoo-User-ID sowie den auf dem Konto gespeicherten Inhalten im Todesfall verfallen. Mit dem Erhalt einer Kopie der Sterbeurkunde werde das Nutzkonto gesperrt und alle Inhalte dauerhaft gelöscht. Google gab an, dass in „seltenen Fällen" Inhalte eines Gmail-Accounts für autorisierte Stellvertreter eines Verstorbenen zugänglich gemacht werden könnten. Bei dem dafür notwendigen Antragsverfahren handele es sich aber um einen langwierigen Prozess.

Beim E-Mail-Dienstleister Hotmail können Hinterbliebene zunächst einen Antrag auf das Einfrieren aller E-Mail-Inhalte des Nutzerkontos eines Verstorbenen stellen. Bis alle notwendigen Formalitäten zur Erlangung einer Zugangsberechtigung abgewickelt sind, bleiben alle Inhalte für eine Dauer von bis zu sechs Monaten gespeichert. Sind bis dahin die nötigen Formulare nicht beim Unternehmen eingegangen, wird der Account unwiederbringlich gelöscht.            

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