Die großen Entscheider: Wähler im Stimmkreis Bajiao III melden sich am 2. November zu Wort, um die Kandidaten auf Herz und Nieren zu prüfen. LI WEN
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Am Nachmittag des 2. November, weniger als eine Woche vor dem Wahltag, ist der Versammlungsraum im Gemeinschaftszentrum Bajiao im Beijinger Stadtviertel Shijingshan überfüllt. Kandidaten für die Wahl der Abgeordneten des Stimmkreises Bajiao III treten ihren Wählern gegenüber. Mehrheitlich sind auf dieser Veranstaltung Wähler aus dem Stimmkreis vertreten, mit dabei Interessierte aus anderen Stadtbezirken sowie Medienvertreter aus China und dem Ausland.
Ein pensionierter Lehrer erzählt, dass es früher keine Gelegenheit zu einem Treffen zwischen Kandidaten und Wählern gegeben hat: „Die Wähler, die nur über die Namen der Kandidaten und wenige grundlegende Informationen über sie verfügten, haben mehr oder weniger zufällig ihre Wahlentscheidung getroffen."
Das seit März 2010 geltende Wahlgesetz sieht vor, dass Wahlkomitees Begegnungen zwischen Kandidaten und Wählern organisieren, wenn dies gewünscht wird. Die Kandidaten sollen sich auf solchen Veranstaltungen vorstellen und Wählerfragen beantworten.
Am 2. November um 9.30 Uhr absolvierten die vier Kandidaten des Wahlkreises Bajiao III ihren Auftritt in der Öffentlichkeit. Nach einer kurzen Vorstellung und Darlegung dessen, wofür sie als Abgeordnete eintreten wollen, beantworteten sie Fragen der Wähler.
Eine Kandidatin, Wang Yujuan, arbeitet in der Verwaltung des Stadtteils Bajiao Nord und sitzt schon seit fünf Wahlperioden im Volkskongress des Bezirks Shijingshan. Nachdem sie als stellvertretende Leiterin des Kulturamtes des Bezirks in Pension gegangen war, widmete sie sich zehn Jahre lang der Gemeinschaftsarbeit.
„Unser Wohngebiet ist ziemlich heruntergekommen. Was wollen Sie dagegen unternehmen, wenn Sie gewählt werden?", fragt sie ein älterer Herr, der im Nachbarschaftskomitee aktiv ist.
Wang sagt: "Ich weiß, dass die Wohnsiedlung alt ist und nicht von einer Hausverwaltungsfirma geführt wird. Es liegt daher allein an der Siedlungsverwaltung und den Anliegern, ob sich die Verhältnisse verbessern lassen oder nicht. Wenn ich gewählt werde, will ich die Anlage innerhalb von fünf Jahren nachhaltig umgestalten."
Wang möchte die Infrastruktur des Wohngebiets verbessern, eine Putzkolonne anleiten und die Bewohner zu freiwilligen Aufräumaktionen an Wochenenden bewegen. In den vorangegangenen Wahlperioden hatte sie ihr Augenmerk auf den mangelhaften Zustand der Straßen gelegt und die Verwahrlosung der Umgebung der Grundschule Shijingshan. Die Straßen wurden instand gesetzt und die Umgebung der Schule aufgewertet. Die Anwohner kommentierten die Aktivitäten Wangs.
Nach der Frage-und-Antwort-Runde gab Wang ihre Telefonnummer und Emailadresse heraus und forderte die Bürger dazu auf, sich mit Fragen und Vorschlägen jederzeit an sie zu wenden.
"Die Präsentation der Kandidaten ist eine gute Sache, die uns dazu verhilft, einen genaueren Eindruck von den Kandidaten zu gewinnen", sagt der 76-jährige Zhao Jing aus der Nachbarschaft.
Am gleichen Tag gab es eine weitere Kandidatenpräsentation in einem anderen Stadtviertel: Haidian, Standort von zehn der prestigeträchtigsten Universitäten Chinas, darunter der Tsinghua Universität. Drei der Kandidaten, die auf dem Stimmzettel erscheinen werden, sind Anfang zwanzig. Mit dabei ist Gao Jian, Promovend an der Universität für Verkehrstechnik.
Auf der Veranstaltung wurde Gao gefragt, ob er darauf vorbereitet sei, über sensible Gesellschaftsfragen zu sprechen. Seine Antwort fiel eindeutig aus: „Natürlich! Sowohl als Student wie auch als Abgeordneter eines Volkskongresses muss man dazu bereit sein, seine Stimme für Gerechtigkeit zu erheben."
Derartige Veranstaltungen wurden nicht nur in Beijing abgehalten. In Guangzhou, der Hauptstadt der südchinesischen Provinz Guangdong, trafen sich 8 945 Kandidaten mit Stimmbürgern.
Außer den Präsentationsveranstaltungen gibt es noch andere Möglichkeiten, etwas über die Kandidaten zu erfahren. Das Subkomitee für die Veranstaltung der Wahlen im Finanzviertel im Stadtbezirk Xicheng hat Porträts von über 58 Kandidaten aus 19 Stimmkreisen in Form von Videoclips produziert und ins Netz gestellt. Die 19 Stimmkreise haben insgesamt 130 000 Wähler, von denen 90 Prozent vielbeschäftigte Büroarbeiter sind, die vermutlich keine Zeit haben, den Kandidaten von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Dank der Videoclips können sich die Bürger nun auf der Website ihres Stimmkreises einloggen und jederzeit alles Wissenswerte über die Kandidaten in Erfahrung bringen.
Guo Hao, stellvertretender Geschäftsführer der China Telecommunications, begrüßt diese Neuerungen. Guo befindet sich zum zweiten Mal im Wahlkampf um einen Sitz im Volkskongress des Stadtbezirks Xicheng. Vor zehn Jahren war er bereits einmal aufgestellt, aber nicht gewählt worden. Damals, so erinnert er sich, gab es wenig Austauschmöglichkeiten zwischen Kandidaten und Wählern.
"Nun erleichtern Videoclips und das Internet die Aufgabe, die Botschaft der Kandidaten dem Wähler zu vermitteln. Mehr Leute erhalten so die Chance, aufgrund eigener Meriten gewählt zu werden."
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