Es sind die Details, die kaum auffallen, aber doch wesentlich für das Funktionieren der Dinge verantwortlich sind, mit denen wir uns umgeben. Welcher Autofahrer denkt schon groß darüber nach, welche Handgriffe nötig sind, bevor er im Auto sitzt und das Fahrzeug ins Rollen bringt? Ein Besuch bei Huf Automotive Lock Co. Ltd., einem Global-Player aus Deutschland, der in Yantai auf der Shandong-Halbinsel den Autofahrern das Denken abnimmt.

Deutsche Autoschlösser aus Yantai: Huf Automotive Lock Co. Ltd
Das kann selbst dem zuverlässigsten Autofahrer passieren: Schlüssel verloren! Das Auto ist zwar rundum vor Diebstahl sicher, aber eben auch vor dem rechtmäßigen Eigentümer, der weder die Türen öffnen noch den Motor starten kann. Früher kam man kaum um das Aufbohren des Schlosses und den aufwändigen Ersatz des Schließsystems herum. Heute gibt es diese Probleme nicht mehr: Schlüssel und digitale Informationen über Schließvorrichtung und Zündung sind zwar Unikate, aber in der Regel vom Hersteller der Automobile gespeichert, so dass die Beschaffung von Ersatz relativ leicht möglich ist. Die Arbeit wird an denjenigen weitergereicht, der in keinem direkten Kontakt zum Kunden steht, dem jedoch als Schlossbauer die Schlüsselrolle bei der Sicherung des Fahrzeugs zukommt. Die Hersteller entgehen als Zulieferbetriebe meist der Aufmerksamkeit der Konsumenten, weil sie anders als die großen Automarken keine Produktwerbung betreiben.
Fahren Sie ein deutsches Auto, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie auf Ihrem Schlüssel den Schriftzug HUF lesen können: In Deutschland werden 78 Prozent aller Schließgarnituren für Automobile von Huf aus dem niederbergischen Velbert geliefert. Dort gründeten 1908 die Herren Hülsbeck und Fürst eine Firma, die sie auf ein Kürzel ihrer Familiennamen tauften. Heute gibt es die Firma nicht nur in Velbert, sondern an 16 Standorten auf allen Kontinenten, alleine in China dreimal: In Shanghai, Changchun und Yantai.
Shanghai und Changchun verstehen sich von selbst: denn in Shanghai werden seit nunmehr fast dreißig Jahren in einem Joint Venture der Volkswagen AG mit der Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) deutsche Automobile gebaut, die inzwischen zu achtzig Prozent aus Bauteilen bestehen, die in China hergestellt werden. In Changchun im Nordosten lässt seit wenigen Jahren die bayerische Nobelmarke BMW bei Chinesen höchst beliebte Autos vom Band rollen. Was aber hat es mit Yantai auf sich, dem idyllisch zwischen dem Golf von Bohai und dem Gelben Meer gelegenen, bedeutendsten Fischereihafen Chinas im Norden der Shandong-Halbinsel? Ausländer müssen den Ort meist erst mühsam auf der Landkarte suchen, weil die Stadt noch immer als ein unbeschriebenes Blatt gilt.
Vom Schlosser zum Mechatroniker
Huf war Anfang der 1990er Jahre von Volkswagen dazu aufgefordert worden, in China eine Produktionsstätte zu errichten, damit die Fabriken der Wolfsburger auf dem Festland versorgt werden konnten. Zugleich erteilte Volkswagen dem traditionsreichsten chinesischen Schlosshersteller Tri-Circle Lieferaufträge für Shanghai Volkswagen. Da lag eine Liaison zwischen Huf und Tri-Circle natürlich in der Seeluft über Yantai. Nach langen Verhandlungen kam das Joint-Venture 1994 zustande: Huf hielt zunächst 79 Prozent der Anteile, drei Jahre später 95 Prozent und übernahm 2009 schließlich das Joint-Venture zur Gänze. Tri-Circle war bereits seit 1930 in Yantai ansässig und ist auch heute noch dort zu finden.
Bei Schließgarnituren für Automobile gehört Huf mit einem Weltmarktanteil von über 20 Prozent zu den ganz Großen der Branche. In den letzten elf Jahren bewegte sich der Umsatz zwischen 700 und 800 Millionen Euro im Jahr weltweit, dazu trug Yantai Huf Automotive Lock Co. Ltd. mit seinen 800 Mitarbeitern gut zehn Prozent bei. In Deutschland gibt es circa 1500 Mitarbeiter, insgesamt arbeiten – über den ganzen Globus verteilt – rund 5000 Menschen für Huf.
Schlüssel werden in den Werkstätten von Huf immer noch gefeilt – allerdings von computergesteuerten Fräsmaschinen. Der Take-off Richtung Zukunft hat dennoch längst stattgefunden, Huf war darin immer schon Frühstarter: 1986 entwickelte das Unternehmen den ersten Fernbedienungsschlüssel, im gleichen Jahr bringt es eine unscheinbare Neuerung auf den Markt, die jedoch das Design der Autos revolutioniert: Außentürgriffe aus Druckguss in Wagenfarbe lackiert; es sind keine 25 Jahre her, da hatte man noch keine andere Wahl als verchromte Türgriffe.
Im 21. Jahrhundert ist der Griff zum Auto noch eleganter geworden, nur die Bezeichnungen sind heute viel sperriger: Car Access, Security and Immobilization (CASIM). Auf Englisch klingt das wenigstens noch ein bisschen schnittiger als auf Deutsch: Fahrzeugzugangs- und Fahrberechtigungssysteme, Tür-, Interior- sowie Sicherheitssysteme. Aber die Sache, die dahintersteckt, ist überaus praktisch und äußerst handlich zu bedienen: der Schlüssel, welcher früher Zugang und Zündung garantierte, ist jetzt ein ID-Geber, mit dem sich alle Funktionen des Sicherungssystems steuern lassen, inklusive James-Bond-würdiger Spezialausrüstung wie Rückfahrkamera, die am Heck des Autos diskret im Emblemverschluss untergebracht ist!
Für mittlerweile achtzehn Modelle der Hersteller Daimler, BMW, Audi, VW, Porsche, Ford und Hyundai bietet Huf diese sogenannten Passiven Entry Systeme an, die eine Vielzahl mechanischer, elektronischer und mechatronischer Komponenten aufeinander abstimmen und zu einem kompletten System computergesteuerter Zugangs-, Zündungs- und Sicherheitsfunktionen verbinden. Alle können vom Unternehmen hergestellt und konfiguriert werden. Kurz: Bei Huf hat sich der Schlosser in einen Software-Ingenieur verwandelt.
Präzise Betriebsführung
Geschäftsführer Lan Yuanhong ist so deutsch wie die Präzisionsarbeit, die sein Werk jeden Tag abliefern muss. Seine Lebensgeschichte spiegelt den Bildungsweg wider, den mittlerweile Zehntausende von Chinesen gegangen sind: Nach einem Maschinenbaustudium in der ostchinesischen Küstenprovinz Zhejiang und einer Zeit als Assistent an der Universität Chongqing kommt Lan Yuanhong 1988 nach Deutschland, wo er sich an der Gesamthochschule Wuppertal in Maschinenbau einschreibt und sein Studium mit der Promotion zum Doktor der Ingenieurswissenschaften krönt. In Velbert wird er Angestellter der Firma Huf, die ihn in der Abteilung Produktionsvorbereitung auf das Chinageschäft ansetzt. 1997 wird er als stellvertretender Geschäftsführer nach Yantai entsandt, seit 2010 ist er Chef in Shandong und damit verantwortlich für die Herstellung von Qualitätsprodukten in großer Stückzahl.
Hauptabnehmer mit 47 Prozent aller in Yantai produzierten Schließsysteme ist noch immer Volkswagen, allerdings nicht in Shanghai, sondern vor allem in der nordostchinesischen Provinz Jilin, wo das Hauptwerk von FAW-Volkswagen Automotive steht, dem anderen großen Joint-Venture der Wolfsburger in China. Elf weitere Autobauer zählt Yantai Huf zu seinen Stammkunden in China, darunter Ford, BMW, Daimler, Chery, Hyundai und Peugeot-Citroën.
Auf dem mittlerweile größten Automarkt der Welt ist die Konkurrenz groß, auch für Marktführer Huf, räumt Lan ein. Es gebe tüchtige heimische Produzenten, gegen die man sich durchsetzen müsse. „Huf entwickelt neue Produkte nicht ins Blaue hinein. Ohne enge Kooperation mit den Automobilherstellern bei der Entwicklung neuer Produkte geht gar nichts. Denn alles, was wir bauen, ist in ganz besonderem Maße auf die jeweils speziellen Ansprüche unserer Kunden zugeschnitten." Dabei versteht es sich natürlich von selbst, dass die Produkte und Dienstleistungen von Huf durch alle bedeutenden Verbände der Automobilhersteller in Deutschland, Frankreich, Italien und den USA zertifiziert sind.
In Yantai werden Produkte von Weltrang mittlerweile fast ausschließlich für den heimischen Markt hergestellt und die Nachfrage wächst stetig. Alte Gewohnheiten sind dennoch nur schwer in den Griff zu bekommen. Aber wo Einsicht nicht vom Himmel fällt, kann kühle Technik weiterhelfen. Für die zahlreichen Gurtmuffel unter den Chinesen gibt es jetzt dank Huf selbst auf den Rücksitzen kein Entrinnen mehr: Das Gurterkennungssystem schlägt Alarm und lässt das Auto reglos stehen. Was sein muss, muss sein!
|