13-06-2011
Im Focus
Trübe Aussichten für TCM in Europa?
von Wu Yanfei

Viele chinesische Pharmahersteller hatten sich einst das ehrgeizige Ziel gesteckt, mit ihren traditionellen chinesischen Medikamenten die Herzen der europäischen und amerikanischen Kunden zu gewinnen.

 

Am 1. Mai ist die EU-Verordnung über die Registrierung von Medikamenten aus Naturheilkräutern in Kraft getreten. Während der Übergangszeit in den vergangenen sieben Jahren hat leider kein chinesisches Pharmaunternehmen seine Produkte aus Heilkräutern als Medikamente in der EU registrieren lassen. Traditionsreiche Arzneien aus chinesischen Heilkräutern dürfen in der EU daher nicht mehr als Medikamente verkauft werden. Dies hat Frédéric Vincent, Sprecher des EU-Kommissars für Gesundheit und Verbraucherschutz,  vor der Presse bestätigt.  

Viele chinesische Pharmahersteller hatten sich einst das ehrgeizige Ziel gesteckt, mit ihren traditionellen chinesischen Medikamenten die Herzen der europäischen und amerikanischen Kunden zu gewinnen. Aber kaum einem von ihnen ist es gelungen, seine Produkte als Medikamente in den Westen zu exportieren. Li Yuanbo, Professor für traditionelle chinesische Medizin an der Jinan Universität meint, die chinesischen Medikamente aus Heilkräutern werden heute meist als Nahrungsergänzungsmittel oder pflanzliche Extrakte in die EU exportiert. Sie seien aber weder in das Distributionssystem von Apotheken und Krankenhäusern, noch in die Medikamentenliste der Krankenversicherungen aufgenommen. Ein wichtiger Grund dafür sei, dass es keine systematische Bewertungsmethode gebe, um den Heileffekt der traditionellen Medikamente Chinas zu messen und zu bewerten. Nach seinen Angaben handle es sich bei chinesischen Medikamenten meist um eine Mischung aus mehreren Heilkräutern. Man könne daher kaum überzeugende Forschungsberichte über die Wirkungsweise der einzelnen Bestandteile der Mischung vorlegen, wie es bei der Analyse von Arzneimitteln üblich sei, die in der Schulmedizin zur Anwendung kämen. Darin sieht Li das größte Hindernis für den Verkauf chinesischer Medikamente auf Heilkräuterbasis in der EU.

Nach dem Inkrafttreten der EU-Verordnung am 1. Mai ist zu erwarten, dass in absehbarer Zukunft keine Medikamente aus chinesischen Heilkräutern mehr auf dem EU-Markt in den Verkauf gelangen. In den USA, Japan sowie anderen asiatischen Ländern sieht die Situation für chinesische Produzenten ebenfalls kritisch aus. Ende 2010 haben die Importeure den Standard für Pestizide in Heilkräutern erhöht. Intime Kenner der Branche meinen, dass damit der bereits stagnierende Export chinesischer Heilkräuter noch weiter eingeschränkt werde. Von der kürzlich in Guangzhou veranstalteten Handelsmesse wurden Geschäftsabschlüsse zur Lieferung chinesischer Heilkräuter in die EU im Wert von lediglich 3,5 Millionen US-Dollar gemeldet. Der Gesamtwert des Exportgeschäfts mit Heilkräutern in die EU sei um 45 Prozent auf 19 Millionen US-Dollar gesunken.

 

Zu hohe Kosten schrecken chinesische Unternehmen ab

Nach Angaben des chinesischen Hauptzollamts sind 2010 chinesische Medikamente aus Naturheilkräutern und Nahrungsergänzungsmittel im Wert von 250 Millionen Dollar exportiert worden, davon 175 Millionen Dollar als Extrakt, 50 Millionen als fertige Medikamente und 25 Millionen als Heilkräuter und Nahrungsergänzungsmittel. Im Vergleich zum boomenden Inlandsmarkt für Naturheilkräuter ist der Exportmarkt für chinesische Produzenten uninteressant. Hinzu kommen die hohen Gebühren für Qualitätskontrolle und Zertifizierungen, die oft im zweistelligen Millionen-Yuan-Bereich liegen. Der chinesischen Pharmaindustrie ist dies einfach zu kompliziert und zu teuer; der Heilmittelmarkt der EU wird zunehmend unattraktiver.

Liu Zhanglin, Vize-Direktor der chinesischen Handelskammer für Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, hält den Rückzug der chinesischen Naturheilpharmazeuten vom Weltmarkt allerdings für kurzsichtig: „Es wäre ein großer Rückschritt, wenn chinesische Medikamente aus Naturheilkräutern in der EU für illegal erklärt würden." Die traditionelle chinesische Medizin kann in Europa auf eine lange Geschichte zurückblicken, auch wenn sie nur über einen relativ kleinen Patientenkreis verfügt. Aber da eine Therapie nach den Grundsätzen der TCM arm an unerwünschten Nebeneffekten ist, probieren immer mehr Europäer eine traditionelle chinesische Behandlung aus. Sollten chinesische Medikamente nun vom EU-Markt verschwinden, würden nicht nur die rund 100 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich gefährdet, sondern auch der gute Ruf der TCM und das durch die langjährige Tätigkeit chinesischer Mediziner aufgebaute Vertrauen der EU-Bürger in die traditionellen Therapien zerstört werden.

Aber die in manchen Medien aufgestellte Behauptung, dass die traditionellen chinesischen Arzneimittel seit 1. Mai restlos aus dem weltweit größten Markt für Naturheilkräuter verdrängt würden, ist falsch. Nach der EU-Verordnung über Naturheilkräuter dürfen auch nach dem 1. Mai 2011 chinesische Medikamente aus Heilkräutern in Europa verkauft werden, allerdings nur noch als Nahrungsergänzungsmittel, was bedeutet, dass nicht mehr mit deren Behandlungseffekten geworben werden darf. Lin Bin, ein seit langem in Holland niedergelassener TCM-Mediziner meint, dass die mangelnde Zertifizierung von Medikamenten der traditionellen chinesischen Medizin in der EU ein großes Problem sei. Wenn chinesische Medikamente außerhalb des Versicherungssystems der EU-Staaten gehalten würden, hätte ihre Verbreitung keine große Zukunft mehr. Um die Frage der Zertifizierung zu klären, sollten sich die chinesischen Produzenten alle Mühe geben, um streng nach EU-Standard zu produzieren und ihre Produkte als Medikamente in der EU zu registrieren.