11-05-2011
Im Focus
Mit Bin Laden stirbt nicht der Terrorismus
von Ding Ying

Der Jubel in den USA war groß, als US-Präsident Obama am 1. Mai den Tod Osama Bin Ladens verkündete. Rund zehn Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September ist es dem US-Militär gelungen, den vermeintlichen Strippenzieher der Anschläge zu töten. Bei der Anschlagsserie waren 2001 in den Vereinigten Staaten mehr als 3000 Menschen ums Leben gekommen. Das Ende des Anti-Terror-Kampfes der USA aber dürfte Bin Ladens Tod nicht bedeuten.

Am Ground Zero in New York nach Bekanntgabe des Todes von Osama bin Laden. WU JINGDAN

Das US-Militär hatte Bin Laden in seinem Versteck auf einem abgeriegelten Gelände in der Stadt Abbottabad, nahe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, aufgespürt. Der 1957 in Saudi Arabien geborene Bin Laden galt als Kopf des islamistischen Terrornetzwerks Al-Qaida und ihm werden eine Reihe von Anschlägen auf Ziele in den Vereinigten Staaten und anderswo vorgeworfen.

Obama bezeichnete in seiner Rede die Tötung Bin Ladens als bisher „wichtigste Errungenschaft" im Kampf der USA gegen Al-Qaida. Mit der Tötung Bin Ladens habe Obama eines seiner höchsten Ziele im Anti-Terror-Kampf, das er sich bei seinem Amtsantritt 2009 gesetzt hatte, erreicht, unterstrich der Präsident.

Bin Ladens Tod überraschte die ganze Welt. Das chinesische Außenministerium bezeichnete die Tötung als „Meilenstein und positive Entwicklung für die internationalen Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus". Der Terrorismus sei der gemeinsame Feind der internationalen Gemeinschaft; auch China sei Opfer von Terrorismus. China rief die Weltgemeinschaft dazu auf, die Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung weiter zu stärken. Gleichzeitig betonte die Regierung, dass die größte Aufgabe darin liege, die Wurzeln des Terrorismus zu bekämpfen.

Balsam für Obamas Wahlkampfseele

Tang Zhichao, stellvertretender Direktor des Instituts für Westasiatische und Afrikanische Studien des Instituts für Gegenwärtige Internationale Beziehungen, sagte, Bin Ladens Tod sei der „größte Sieg" im Anti-Terror-Kampf der USA seit den Anschlägen vom 11. September. Der ehemalige US-Präsident George W. Bush habe im Zuge des globalen Anti-Terror-Kampfes zwei Kriege in Irak und Afghanistan gestartet, während seiner Amtszeit aber nur wenig Erfolg erzielen können. „Für Obama scheint es nun möglich, alle drei Kriege zu beenden", so Tang.

Bin Ladens Tod werde die Transformation Afghanistans beschleunigen und damit auch den Rückzug der USA aus dem Land. Der jüngste Erfolg sei nicht nur ein Sieg für den US-Präsidenten und seinen Sicherheitsstab, so Tang, sondern auch ein Segen für die erneute Kandidatur Obamas für das Präsidentenamt. „Die Aussichten auf eine Wiederwahl steigen durch den Tod Bin Ladens deutlich stärker, als durch das Ende des US-Kampfeinsatzes im Irak 2010."

Aber den Druck im Anti-Terror-Kampf, der auf den Vereinigten Staaten lastet, werde Bin Ladens Ableben nicht drastisch mindern, so der Experte. Weder Al-Qaidas Stärke noch die Führung der Terrororganisation würden durch den jüngsten Schlag maßgeblich geschwächt. In den letzten Jahren wurde die Organisation zunehmend dezentralisiert, die Führung aufgeteilt und in unterschiedliche Regionen verlegt.

Hinzu kommt, dass Bin Laden de facto längst von Ayman al-Zawahiri als Spitze der Organisation abgelöst wurde. Bin Laden kam nur noch die Rolle eines spirituellen Oberhaupts des Netzwerkes zu.

 

Al-Qaida fokussiert den Mittleren Osten

„Nach Bin Ladens Tod wird Al-Qaida seinen Fokus wohl westwärts in den Mittleren Osten verlagern", so Tangs Prognose. „Die aktuellen Aufruhre in der Region bieten der Organisation große Möglichkeiten." Zukünftig werde den Al-Qaida-Stützpunkten im Mittleren Osten eine wichtigere Rolle zukommen als den Unterstützern in Pakistan oder Afghanistan. Zu den neuen Zentren des Terrornetzwerkes zählen Experten Sympathisanten der Organisation im islamischen Maghreb, Kräfte auf der arabischen Halbinsel, die im Jemen ihre Rückzugsgebiete haben, sowie Al-Qaida-Stützpunkte im Irak.

Da das Netzwerk nach dem Verlust Bin Ladens auf Rache schwöre, seien die USA nun sogar mit einer wachsenden Bedrohung konfrontiert, analysiert Tang. Kurz nach der Rede Obamas gab das US-Außenministerium aus Angst vor Vergeltungsaktionen eine globale Reisewarnung für US-Bürger heraus. US-Botschaften weltweit wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Für Westeuropa und Amerika freundliche Regime wie Pakistan, Saudi-Arabien und den Jemen bestehe ebenfalls ein ernsthaftes Risiko, so Tang.

Nach Bin Ladens Tod treten die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der arabischen Welt in eine neue Phase ein. Für Muslime galt Bin Laden als anti-westlicher Held. Sein Tod könnte es für die USA noch schwieriger machen, den derzeitigen Aufruhren im Mittleren Osten zu begegnen. „Auf lange Sicht könnte Bin Ladens Tod Obama aber anspornen, weitere Schritte zur Verbesserung der Beziehungen der USA zur islamischen Welt zu ergreifen", meint Tang.

Wurzeln des Terrorismus bekämpfen

„Der Terrorismus hat tiefe soziale, politische, ökonomische und kulturelle Wurzeln", sagt Li Daguang, Professor an der Universität für Nationale Verteidigung. Es sei deshalb entscheidend, die Ursachen zu bekämpfen, bevor die terroristische Bedrohung gebannt werden könne.

„Beim Kampf gegen den Terror sollte nicht Gewalt gegen Gewalt eingesetzt werden", so Li. Dass Obama nach seinem Amtsantritt weitere Truppen nach Afghanistan entsandt hat, habe den USA keineswegs mehr Sicherheit beschert.

„Uneingeschränkte Militäraktionen im Namen des Anti-Terror-Kampfes könnten unvorhersagbare Konsequenzen für die globale Sicherheit haben", so Li. „Wir müssen dem Terrorismus den Nährboden, auf dem er gedeiht, entziehen, indem wir die Anti-Terror-Gesetzgebung gemeinsam mit der Weltgemeinschaft perfektionieren."