05-05-2011
Im Focus
Kultur der Qiang-Nationalität: Wiedergeburt nach der Krise?
von Xu Bei

Erhalt der Kultur: Wozu und für wen?

Shibi Wang Mingquan sorgt sich um die Zukunft der Shibi-Kultur (Foto von Shi Gang)

 

Neben der Architektur und den bekannten Stickereien der Qiang sind auch die immateriellen Güter der Qiang von großer Bedeutung, vor allem die Shibi-Riten und die Tänze zum Klang der Schafsfelltrommel. Nach Yang kommt deren Bewahrung eine Schlüsselrolle beim Erhalt der indigenen Kultur zu. 

In den Dörfern, die die Reporterin der Beijing Rundschau besucht hat, haben fast alle Qiang, die bestimmte Techniken der traditionellen Kultur beherrschen und deshalb von der Regierung zu „Bewahrern der Qiang-Kultur" ernannt worden sind, große Sorge hinsichtlich der Weitergabe ihrer Kenntnisse geäußert. Der Erhalt der Shibi-Riten scheint dabei die größten Schwierigkeiten zu bereiten.

Als Shibi werden die Schamanen der Qiang bezeichnet, es sind dies die Mittler zwischen der Welt der Ahnengeister, Götter und Menschen. Die Shibi sind traditionell die einflussreichsten Männer im Volk der Qiang, unter ihrer Leitung werden jedes Frühjahr die Opferriten für Himmel und Berge vollzogen, sie sollen unter anderem für günstiges Wetter zur Entwicklung der Feldfrüchte sorgen. Die Kultur der Qiang kennt keine Schrift, die Gesänge der Shibi sind mündlich von Generation zu Generation überliefert worden.

Im Dorf Jiangfeng in der Gemeinde Miansi erzählt Wang Zhisheng, ein 86-jähriger Shibi, dass die Shibi-Kultur durch das Singen der alten Lieder in der Sprache der Qiang weitergegeben worden sei. Aber es leben immer weniger Shibi. In der Gegenwart interessieren sich junge Leute kaum noch für die alten Gesänge: „Vielleicht können sich unsere Nachfahren später nur noch aus Büchern oder im Museum über ihre eigene Kultur informieren. Was für ein riesiger Verlust!"

Wang Mingquan, ein Shibi aus Luobozhai treibt die gleichen Sorgen um wie Wang Zhisheng. Obwohl er für drei junge Leute der Shibi-Lehrmeister ist, braucht man doch einen geeigneten Ort und vor allem viel Zeit für den Unterricht. Aber seine drei Schüler müssen auf den Feldern arbeiten oder sind als Wanderarbeiter häufig abwesend, um in der Fremde den Unterhalt für ihre Familien zu verdienen. Wang Mingquan schlägt vor, dass die Regierung einen Teil der Gelder für den Wiederaufbau dazu verwendet, um mehr Leute zum Erwerb der Shibi-Kultur anzuregen. Nur so kann das Überleben dieser geheimnisvollen Riten sichergestellt werden. 

 

Im Schatten der Industriegesellschaft

In der Tat ist die Qiang-Kultur weniger durch das Erdbeben als durch den allgemeinen Kulturwandel bedroht. Seit Jahren wirkt ein Prozess der Transformation, der durch Industrialisierung und Verstädterung gefördert wird. In den Augen von Yang Guoqing ist eine intakte Umgebung – sowohl in ökologischer wie auch in kultureller Hinsicht - für die Entwicklung der Qiang-Kultur von größter Bedeutung. Die Qiang-Kultur braucht eine Umwelt, in der das Klima, die Architektur, die Sitten, die Sprache und die materielle Kultur eine organische Einheit bilden.  

Da die meisten Schulgebäude in den alten Dörfern vom Erdbeben zerstört wurden, müssen die Kinder der Qiang heute auf neue Schulen gehen. An einigen zentralen Orten kommen so Jugendliche aus verschiedenen Dörfern zusammen, um die neunjährige Pflichtschule zu besuchen. Die Schulen liegen oft weit entfernt von den Heimatdörfern der Schüler. Sie werden als Internate geführt, das heißt, dass die Kinder nur am Wochenende zu ihren Eltern zurückkehren können. „Die Zeit, die sie in einer Umgebung verbringen, die von ihrer Kultur geprägt ist, ist viel zu kurz bemessen. Wenn sie sich in der Außenwelt der Mainstreamkultur anpassen, entfremden sie sich zunehmend von den Traditionen der Qiang", meint Yang Guoqing.

Die rasche Entwicklung der modernen Gesellschaft stellt indigene Völker überall auf der Welt vor ähnliche Probleme. „Der Wiederaufbau des Qiang-Tals hat gute Rahmenbedingungen für die Zukunft der Qiang-Kultur geschaffen. Aber das ist nur die äußere Form. Wichtig ist nun, dass die Qiang entscheiden, welchen Stellenwert Kultur und Geschichte ihrer Nation künftig in ihrem Alltagsleben einnehmen sollen", so Yang.

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