05-05-2011
Im Focus
Kultur der Qiang-Nationalität: Wiedergeburt nach der Krise?
von Xu Bei

Die zerstörten Häuser in Luobozhai sind von der Denkmalschutzbehörde im Kreis Wenchuan in die Liste der schützenswerten Kulturgüter aufgenommen worden. Sie sollen sachgerecht rekonstruiert werden. Laut Yang Guoqing, dem Vizedirektor der Behörde für Kultur- und Sportwesen im Kreis Wenchuan, habe sein Amt bereits entsprechende Geldmittel zur Verfügung gestellt. Da Häuser in Lehmbauweise witterungsbedingt aber nur im Frühjahr und Herbst erstellt werden können, ist der Wiederaufbau des alten Dorfes längst noch nicht abgeschlossen. Der Wille der Dörfler soll respektiert werden. Es ist jedem freigestellt, wieder in den alten Ortskern zurückzukehren. „Das dient nicht zuletzt dem Schutz der Qiang-Kultur. Ohne eine geeignete Umgebung können sich die Sitten und Gebräuche der Qiang-Nationalität nicht erhalten. Sie sind durch den Einfluss der modernen Lebensweise stark bedroht", so Yang Guoqing.

Wegen der unterschiedlichen Baumaterialien unterscheiden sich die einzelnen Dörfer der Qiang je nach Lage beträchtlich, obwohl sie nicht weit voneinander entfernt liegen. So sehen die Häuser im benachbarten Lianhedong in der Gemeinde Longxi ganz anders aus. Dort sind alle Häuser aus Bruchstein, Ziegeln und Lehm errichtet. Auch gibt es hier sehr auffällige Wachtürme aus Bruchstein, da anders als in Luobozhai das Dorf nicht umfriedet ist. In Lianhe verfügt ein Haus normalerweise über zwei bis drei Stockwerke. Im Erdgeschoss wird das Vieh gehalten, die Menschen leben auf der ersten Etage und im Dachgeschoss lagern die Lebensmittelvorräte. Auf dem Dach jedes Hauses sind auf kleinen Simsen weiße Steine gefestigt. Sie erfüllen als Symbol der Himmelsgottheit eine rituelle Funktion.  Nach dem Gründungsmythos der Qiang hat die Göttin Mu Jiezhu drei weiße Steine vom Himmel auf die Erde geworfen, als die Qiang von Feinden verfolgt in einem engen Tal Zuflucht suchten. Die Steine verwandelten sich in drei Schneeberge und versperrten so den verfolgenden Truppen den Weg. Die Kultur der Qiang, so der Mythos, konnte sich auf diese Weise ungefährdet im Bergtal entwickeln.

In einem der bereits reparierten traditionellen Häuser im Ortskern von Lianhe wohnt Wang Zhenzhi, eine 83-jährige Frau. Sie ist sehr froh, dass nun alle vier Generationen ihrer Familie wieder unter einem Dach zusammenleben. Obwohl ihr Haus beim Erdbeben vor drei Jahren stark beschädigt wurde, überlebte glücklicherweise ihre ganze Familie. Vor einem Jahr erhielten sie von der Lokalregierung 20 000 Yuan als Zuschuss für die Hausreparatur. Jetzt ist das Leben wieder so, wie vor der Katastrophe, glücklich. Obwohl sie schon 83 Jahre alt ist, kocht sie für ihre Kinder täglich drei Mahlzeiten, damit sie nach der schweren Feldarbeit wieder zu Kräften kommen.

 

Die Qiang-Kultur im Museum

Qiang-Stickerei (Foto von Xu Bei)

Laut Yang Guoqing habe die Lokalregierung von Wenchuan bereits die Entscheidung getroffen, im Zuge des Wiederaufbaus im Tal ein neues Kulturzentrum zu errichten. Das Zentrum wird in der Gemeinde Longxi stehen und unter Einbeziehung einiger anderer Dörfer wie Lianhe und Aer die Qiang-Kultur in all ihren Aspekten darstellen. Am Eingang zum Tal der Qiang wird eine Shibi-Statue aufgestellt. Das Kulturzentrum soll auch ein 300 Quadratmeter großes Volkskundemuseum beherbergen, das einen Einblick in die Lebensweise und die Bräuche der Qiang vermitteln will.

„Das Longxi Qiang-Tal ist nur eines unserer `Versuchslabors´ für den Erhalt der Traditionen der Qiang. Die Qiang-Kultur zeigt sich in diesem Tal sehr lebendig und in ihrer ursprünglichsten Gestalt. Das Tal soll Vorbildfunktion für den Umgang mit den traditionellen Werten der Qiang nach dem Wiederaufbau haben", sagt Yang.

Neben dem Schutz der Qiang-Kultur bringt der Ausbau des Tals auch der Tourismusbranche in Longxi Aufschwung. Xu Xueshu, Wissenschaftler am Forschungszentrum für Bashu-Kultur (Bashu ist ein alter Name für Sichuan) an der Sichuaner Akademie der Sozialwissenschaften, meint, dass das Gebiet der Qiang nicht geeignet sei für die Entwicklung der Herstellungsindustrie. Landwirtschaft im Nebenerwerb in Verbindung mit „sanftem Tourismus" hielte er jedoch für eine gute  Perspektive. 

Yang Guoqing meint, wenn man den Tourismus in Qiang-Gebieten entwickeln will, muss man sich unbedingt darauf verständigen, die Traditionen, das Netzwerk aus familiären und freundschaftlichen Beziehungen unter den Qiang und die spezielle Atmosphäre der Dörfern der Qiang zu erhalten: „Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass die Qiang zu rein kommerziellen Folkloredarbietungen herabgewürdigt werden", meint Yang. Durch die wirtschaftliche Entwicklung werden sich die Qiang von den eigenen Traditionen entfernen. Diesen Trend soll man verhindern oder wenigstens verzögern. Nur unter dem Schutz des Kulturerbes der Qiang könne sich die Tourismusbranche nachhaltig entwickeln. Ein Ausgleich zwischen Tourismus und Bewahrung der Qiang-Kultur scheint möglich.

 

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Mehr dazu:
Erhalt der Qiang-Kultur: Wozu und für wen?
Das Tal der Qiang
Aufbau aus Ruinen