05-05-2011
Im Focus
Kultur der Qiang-Nationalität: Wiedergeburt nach der Krise?
von Xu Bei

Die Bewahrung der Kultur der Qiang-Nationalität ist im Interesse von Gesellschaft und Regierung. Wie fast alle indigenen Völker der Erde sind auch die Qiang durch die Konfrontation mit der modernen Industriegesellschaft in eine tiefe Identitätskrise geraten. Der Anpassungsdruck wächst und spiegelt sich in der Lebenssituation jedes Einzelnen.

 

Schwer zerstörte alte Häuser im Luobozhai-Dorf (Foto von Shi Gang)  

„Obwohl wir jetzt in das neue Wohnhaus eingezogen sind, denken wir immer an das alte befestige Dorf. Denn dort leben die Seelen unserer Ahnen und unsere eigenen dazu!", sagt der 76-jährige Wang Mingquan. Wang kommt aus Luobozhai, einem kleinen Dorf der Gemeinde Yanmen im Autonomen Bezirk der tibetischen und Qiang-Nationalität Aba in Sichuan. Das "alte befestige Dorf" ist ein typisches Beispiel für die Architektur der Qiang-Nationalität, die über eine lange Geschichte vieler regionaler Besonderheiten verfügt.

Falls die Qiang der heutigen nationalen Minderheit identisch sein sollten mit den Qiang, die in historischen Aufzeichnungen aus der Han-Zeit (206 v. Chr. bis 220 n.Chr.) Erwähnung finden, dann haben sie früher riesige Gebiete im heutigen Nordwesten Chinas bewohnt. Heute siedeln die Qiang vor allem in Hochgebirgsregionen der Provinz Sichuan. Weil sie ihre Steinhäuser bevorzugt auf halber Höhe der Berge gebaut haben, nennt man sie auch "Volk in den Wolken".

Das Hauptsiedlungsgebiet der Qiang liegt im Minshan-Gebirge. Diese Region liegt im Epizentrum des verheerenden Wenchuan-Erdbebens vor drei Jahren, weshalb die Ethnie von der Katastrophe schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde: es kamen sehr viele Menschen ums Leben, noch mehr verloren ihren gesamten Besitz, zahllose Baudenkmäler wurden zerstört und auch das immaterielle Kulturerbe der Qiang nahm beträchtlichen Schaden.

Während der Wiederaufbauphase stellte sich für die Regierung und die Angehörigen der Qiang-Kultur die Frage, wie man das immaterielle Kulturerbe der Ethnie bewahren und an die nächste Generation weitergeben kann. Anlässlich des dritten Jahrestages des Erdbebens von Wenchuan hat die Reporterin der Beijing Rundschau drei Dörfer der Qiang besucht, um einen Eindruck von der aktuellen Lage der Menschen zu erlangen.  

 

Aufbau aus Ruinen

April ist der beste Monat zum Bau von Häusern aus Lehm. (Foto von Shi Gang)

Im Dorf Luobozhai sind die alten Häuser aus Lehm vom Erdbeben zerstört worden. Lehm ist hier der bevorzugte Baustoff. Bei den Häusern tiefer in den Bergen ist es Bruchstein. Es wird immer das Material verwendet, das vor Ort greifbar ist, denn Transport ist im Gebirge sehr schwierig. 

Die Leute haben ihre Heimstätten, in denen sie seit Generationen gelebt hatten, verloren. Durch eine Baufirma aus der Stadt Jiangmen in Guangdong wurden neue Gebäude errichtet, die meisten Qiang sind längst darin eingezogen. So richtig zufrieden sind sie mit den komfortablen Häusern allerdings nicht. Ma Qianguo, der Parteisekretär des Dorfes, beschreibt die Bauweise der neuen Gebäude: „Sie bestehen aus Ziegeln und Stahlbeton. Um ihr Erscheinungsbild dem des alten Dorfes anzugleichen, wurden die Fassaden mit einer Lehmschicht verputzt." Zudem seien die Häuser an ein eigens geschaffenes Wassernetz angeschlossen worden. Jetzt kann jede Familie in Luobozhai Wasser aus der Leitung trinken. „Obwohl sich der Lebensstandard der Einwohner erhöht hat, denken die Leute noch immer an das Leben im alten befestigen Dorf", so Ma Qianguo gegenüber der Beijing Rundschau.

Was ist die Ursache der Unzufriedenheit der Qiang mit den neuen Wohnverhältnissen? Die neuen Häuser stehen einzeln, das zerstört das enge Netz des Sozialgefüges der Qiang, die es gewohnt sind, in unmittelbarer Nachbarschaft mit ihren Angehörigen und Freunden zu leben. Dank der traditionellen Bauweise der Qiang-Dörfer verzahnen sich die Häuser und bilden enge Gassen wie in einer mittelalterlichen italienischen Stadt. Obwohl die neugebauten Häuser den traditionellen Baustil zitieren, folgen sie doch anderen funktionalen Prinzipien, weshalb sie von den Bewohnern nicht wirklich akzeptiert werden.

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