29-03-2011
Im Focus
Japan: Kann sich die Wirtschaft erholen?
von Ding Ying

Sendai vor dem Erdbeben (Quelle: CFP)

 

Sendai nach dem Erdbeben (Foto von Chen Jianli)

 

Das Erdbeben, der Tsunami und das darauf folgende Leck in den Atommeilern von Fukushima haben in Japan zu unvorstellbarem menschlichen Leid und erheblichen materiellen Verlusten geführt. Die pessimistischsten Einschätzungen sprechen davon, dass sich die Schäden auf eine Gesamtsumme beziffern könnten, die bis zu zwanzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachten. Hinzu kommt, dass nicht zuletzt viele  Auslandsinvestoren besorgt sind über die freigesetzte Radioaktivität.

Nach Einschätzung von Experten ist Japans Wirtschaft zwar gekentert, aber sie wird nicht untergehen.  

"Man sollte die Stärke der japanischen Wirtschaft und ihre Selbstheilungskräfte nicht unterschätzen", meint Feng Zhaokuai von der  Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS) in Beijing. Er glaubt, dass sich das Bruttoinlandsprodukt in den kommenden sechs Monaten rückläufig entwickelt, vor allem durch die Schäden bei Infrastruktur und Gewerbebetrieben. Ab 2012 oder 2013 wird die Wirtschaft jedoch dank des Wiederaufbaus wieder an Fahrt aufnehmen.

„Japan hat eine sehr ausgereifte und breitgefächerte Volkswirtschaft, deren Wachstumsrate vor dem Erdbeben im Vergleich zu der anderer Industrienationen relativ hoch war", sagt Feng. „Die Erwartung, dass die Wachstumsrate nach dem Erdbeben so hochfliegend wird wie in den 1950 und 1960er Jahren, ist jedoch unrealistisch. Aber das Land wird seine Wirtschaft ohne Zweifel wieder beleben können."

Der Wiederaufbau nach dem Beben wird der heimischen Wirtschaft neue Perspektiven eröffnen. Zudem wird die Arbeitslosenquote sinken. Einige japanische Unternehmen haben die Produktion bereits unmittelbar nach den Erdstößen wieder aufgenommen.

Sun Lijian, stellvertretender Dekan der Wirtschaftsfakultät der Shanghaier Fudan Universität, geht davon aus, dass die japanische Wirtschaft dank ihrer soliden Grundlage nicht untergehen wird.

Obwohl die wirtschaftlichen Einbußen enorm sind, werden ihre Auswirkungen auf die Fertigungs- und Exportindustrie nicht die des Erdbebens von Kobe im Jahr 1995 übertreffen. Japans Exportwirtschaft und der Großteil des Fertigungssektors sind in den Gebieten Tokyo-Yokohama, Kobe und Kyushu konzentriert. Obwohl Japan den Prozess der Modernisierung seiner Industrie im Nordosten zu beschleunigen versucht hat, ist der Beitrag dieser Region zum Gesamtwirtschaftsaufkommen des Landes längst nicht so groß wie der vieler anderer Regionen. 1995 hatte Japan nur sechs Monate gebraucht, um die Produktionsstätten in Kobe wieder aufzubauen. Nach zwei Jahren hatte sich die Wirtschaft wieder erholt gehabt, ein weitaus kürzerer Zeitraum als erwartet, sagt Sun. Die Risiken für die heimische Wirtschaft sind gering, da japanische Unternehmen mittlerweile stark globalisiert seien. Wenn es gelingt, die Atomkrise in den Griff zu bekommen, würde sich Japan innerhalb kurzer Zeit erholen können. Allerdings könnten die Schäden am Stromversorgungsnetz und in den Produktionsstätten den Erholungsprozess verzögern. Um Liquidität sicherzustellen, habe die Zentralbank 40 Billionen Yen (495 Milliarden US-Dollar) in den Wirtschaftskreislauf gepumpt. Sun befürchtet, dass dieser massive Kapitalzufluss die Belastung des Schuldenhaushalts vergrößert. Außerdem könnten Versorgungsengpässe und die hohe Liquidität die Inflation anheizen, was nach Katastrophen durchaus üblich sei. Dennoch werde der Wiederaufbau japanischen Investoren neue Perspektiven bieten und langfristig das Arbeitsmarktproblem beheben. Sinkende Arbeitslosenzahlen und steigende Unternehmensgewinne könnten der japanischen Regierung dabei helfen, die Staatsverschuldung abzubauen.

Neben rascher Erdbebenhilfe haben die G-7, die Gruppe der wichtigsten Industrienationen der Welt – darunter Japan – gemeinsam an den Devisenmärkten interveniert, um eine Aufwertung des Yen zu verhindern.

Wenn in dieser entscheidenden Phase der Erholung der Weltwirtschaft die japanische Volkswirtschaft kollabieren würde, wären die Folgen überaus gravierend. Da der Yen eine wichtige Weltwährung ist, helfen alle Stabilisierungsversuche nicht nur Japan, sondern auch dem Weltfinanzsystem.

Natori in der Präfektur Miyagi am 14. März 2011 (Quelle: XINHUA/AFP)

In der Präfektur Iwate (Quelle: Xinhua)

In einer Notunterkunft in Ofunato in der Präfektur Iwate am 16. März. Die Zeitungen berichten über die Atomkatastrophe von Fukushima. (Foto von Ren Zhenlai)

Neue Prioritäten

"Die Katastrophe wird Japans Wirtschaft nicht lahmlegen, aber sie wird hoffentlich zu einer Veränderung der konservativen Ansätze in Politik und Wirtschaft führen", sagt Feng Zhaokui von der CASS.

Vor dem Erdbeben war die Zustimmung zur Politik von Ministerpräsident Kan Naoto gering. Beobachter gingen sogar davon aus, dass sich die Regierung nicht lange halten würde. Der Demokratischen Partei Japans (DPJ) fehlt es zwar an Regierungs- und Verwaltungserfahrung, aber Kans Kabinett zeigte sich nach dem Erdbeben aufrichtig um Schadensbegrenzung bemüht", meint Feng. „Das Erdbeben eröffnete Kan Naoto in der Tat die Möglichkeit, Handlungsstärke zu demonstrieren. Er sollte diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen."

Nach Feng sei nun die höchste Priorität die Lösung der erheblichen Probleme mit dem Atommeiler in Fukushima. Insgesamt sei der Umgang mit dem Reaktorunfall nicht transparent genug gewesen. Die japanische Regierung sollte der internationalen Öffentlichkeit mehr Informationen zur Verfügung stellen.