08-03-2011
Im Focus
Raus aus Libyen
von Ding Ying

China evakuiert innerhalb von wenigen Tagen 35 860 seiner Staatsbürger aus Libyen

Warten auf die Aufreise: Chinesische Arbeiter am 25. Februar in Benghasi vor dem Besteigen gecharterter Schiffe. Quelle: Xinhua

 

Der 18. Februar war ein schlechter Tag für den 37-jährigen Deng Chaoyong. In dieser Nacht haben Plünderer das Gebäude des chinesischen Wasserbaukonzerns Sinohydro in Benghasi im Nordosten Libyens gestürmt, wo Deng in den letzten sechs Monaten gearbeitet hatte.

"Unser Chef hat uns gesagt, wir sollten Ruhe bewahren und sie machen lassen, solange sie uns nicht angreifen. Aber nachdem sie alles mitgenommen hatten, was nicht niet- und nagelfest war, sind sie mit unseren Autos auf uns zugefahren und haben auf uns geschossen", sagt Deng eine Woche später in einem Hotel auf Kreta. Er wurde während des Überfalls in beide Beine und in die Schulter geschossen.

Nachdem man ihn auf einer provisorisch zusammengezimmerten Liege ins Krankenhaus von Benghasi gebracht hatte, fand sich dort kein Arzt mehr.

 "Wir waren drei Tage lang im Krankenhaus, aber es gab kaum irgendeine medizinische Versorgung", erinnert sich Deng. " Es wurde immer schlimmer, ich dachte, ich müsste dort sterben!"

Glücklicherweise wurden Deng und weitere chinesische Staatsbürger am 24. Februar auf gecharterten Schiffen nach Griechenland gebracht. "Dank unserer Regierung sind wir jetzt in Sicherheit", erzählt Deng der Nachrichtenagentur Xinhua. Einen Tag später traf Deng in Beijing ein und kam in stationäre Behandlung.

Deng war einer von 35 860 chinesischen Bürgern, die im von Unruhen geschüttelten Libyen festsaßen. China startete die bislang größte Evakuierungsaktion um seine Staatsbürger aus dem nordafrikanischen Land zu holen. 

 

Gefahrenmomente

Libyen ist der Welt achtgrößter Ölproduzent. Vor dem Ausbruch der bürgerkriegsähnlichen Unruhen waren viele ausländische Arbeitnehmer im Land beschäftigt, vor allem aus Asien: Rund 60 000 Bangladescher, 10 000 Vietnamesen, 30 000 Filipinos, 23 000 Thais und 20 000 Inder hielten sich in Libyen auf.

Nach Angaben des chinesischen Handelsministeriums (MOFCOM) gab es zu Beginn der Unruhen 35 860 Chinesen in Libyen. Die meisten von ihnen waren Angestellte von chinesischen Firmen, die im Land Auftragsarbeiten ausführten. 75 chinesische Unternehmen arbeiteten an 50 Projekten mit einem Gesamtwert von mehr als 20 Milliarden US-Dollar. Bei der Mehrzahl handelt es sich um arbeitsintensive Projekte aus den Bereichen Hoch- und Tiefbau, Telekommunikation, Erdölprospektion und Eisenbahnbau. 

Nachdem sich am 16. Februar die Sicherheitslage dramatisch verschlechterte, wurden im Gefolge ausgedehnter Unruhen viele chinesische Firmen überfallen und ausgeraubt. MOFCOM gab am 24. Februar bekannt, dass 27 chinesische Wohnhäuser und Betriebsstätten angegriffen worden seien, wobei 15 chinesische Arbeiter verletzt wurden. Plünderer beraubten die Chinesen ihrer Autos, Computer, Mobiltelefone, Bargeld, Werkzeuge, Baumaschinen und Büroeinrichtungen. Auch wurden Brände gelegt. Der Schaden beträgt mindestens 1,5 Milliarden US-Dollar, so ein Sprecher des Ministeriums.

Angesichts der explosiven Stimmung war man sich in China rasch darüber im Klaren, dass man die chinesischen Staatsbürger so schnell wie möglich evakuieren musste.

Staatspräsident Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao gaben am 22. Februar die Anweisung, dass alle Regierungseinrichtungen sich darum bemühen sollten, die Sicherheit der Landsleute in Libyen zu garantieren. Der Staatsrat, das chinesische Regierungskabinett, setzte unter Führung von Vizeministerpräsident Zhang Dejiang ein Notfallzentrum zur Koordinierung der sofortigen Evakuation ein.  

 

Rückholung

Bis zum 2. März sind insgesamt 35 860 chinesische Staatsbürger aus Libyen geholt worden. Nach Angaben von Vizeaußenminister Song Tao sind alle Chinesen, deren Aufenthaltsort bekannt war und die Libyen verlassen wollten, evakuiert worden.

Es war dies die umfangreichste und komplizierteste Evakuierung aus Übersee, die von der chinesischen Regierung seit Gründung der Volksrepublik durchgeführt worden ist.

An Huihou vom Forschungsinstitut für internationale Beziehungen (CIIS), sagt, dass im Unterschied zu bisherigen Evakuierungen diesmal zehntausende von Menschen betroffen waren. Deshalb war es nicht möglich, die Evakuierung allein auf dem Luftweg durchzuführen. Straßenkämpfe behinderten zusätzlich die Evakuierungsmaßnahmen. Die Organisierung der Aktion war ein anspruchsvolles Unterfangen, die Mehrzahl der chinesischen Staatsbürger mussten über Drittländer in Sicherheit gebracht werden. 

Da die meisten chinesischen Unternehmen in Libyen mit dem Aufbau von Infrastruktur beschäftigt waren, hielten sich ihre Arbeiter und Angestellten in abgelegenen Gebieten ohne Stromversorgung und mit schwachen Telekommunikationsverbindungen auf. Die Tatsache, dass Libyen zu neunzig Prozent aus Wüsten und Halbwüsten besteht, kam erschwerend hinzu.

Der Experte für Außenpolitik Hong Lin nennt hingegen die Vorteile der geografischen Lage des Landes: Libyen liegt am Mittelmeer, nicht allzu weit von Griechenland, Italien und Spanien entfernt, die alle über einen großen Bestand an Schiffen verfügen, die von China gechartert werden konnten. Da es keine Direktflüge von China nach Libyen gibt und es schwierig gewesen wäre, diese ad hoc einzurichten, hat angemieteter Schiffsraum eine wichtige Rolle bei der Evakuierung gespielt.

Die in Libyen engagierten chinesischen Firmen sind meist große Staatsunternehmen wie die China State Construction Engineering Corp., die China Railway Group Ltd. oder PetroChina Co. Ltd. Diese Unternehmen verfügen über reiche Erfahrung in Übersee, hohe Sicherheitsstandards und ein gutes Management, alles Eigenschaften, die sich bei der Evakuierung als nützlich erwiesen haben, sagt Hong. 

Gao Zugui, der Direktor des Instituts für Weltpolitik beim Institut für internationale Beziehungen der Gegenwart (CICIR), hält die Evakuierungsaktion für einen Test der Fähigkeit Chinas zur erfolgreichen Durchführung derartiger Aktionen. Chinas letzte große Evakuierungsaktion war erst kürzlich beim Sturz der ägyptischen Regierung durchgeführt worden. Dabei wurden 1 800 chinesische Staatsbürger ausgeflogen. Es hat sich erwiesen, dass der Ablauf von Evakuierungsmaßnahmen recht gut funktioniert. Die Rückführung von Chinesen aus Libyen erfolgte über den Luft-, See- und Landweg.

Am 23. Februar hat die Civil Aviation Administration of China (CAAC) die erste Chartermaschine in Libyens Hauptstadt Tripolis geschickt, um Evakuierte nach China zu bringen. Da die Mehrzahl der betroffenen Chinesen über Drittländer wie Ägypten, Griechenland, Malta, Tunesien, Jordanien, Sudan und die Türkei evakuiert worden waren, hat die CAAC entsprechende Flüge organisiert. So erreichten am 28. Februar drei Chartermaschinen Istanbul und es erfolgte erstmals eine Evakuierung von chinesischen Bürgern über die Türkei.

Ab 1. März gab es täglich 20 Flüge. Air China und China Southern Airlines waren jeden Tag mit sechs Flügen vertreten, China Eastern Airlines and Hainan Airlines schickten fünf beziehungsweise drei Flugzeuge.

Die chinesische Luftwaffe entsandte vier Transportflugzeuge nach Libyen, um Evakuierte in die sudanesische Hauptstadt Khartoum zu bringen. Das chinesische Außenministerium charterte weitere Maschinen aus anderen Ländern zur Unterstützung der Evakuierung.

Die meisten Chinesen wurden allerdings auf dem Seeweg aus Libyen evakuiert. Nach Koordination mit der chinesischen Botschaft in Athen schickte Griechenland sieben Charterschiffe in die libysche Hafenstadt Benghasi. Von dort wurden die Evakuierten zunächst nach Kreta gebracht, von wo aus sie nach China zurückkehrten.  Die griechischen Schiffe transportierten auf jeder Tour rund 2000 Personen. Malta schickte ebenfalls Charterschiffe, die Chinesen in den Hafen von La Valletta, der maltesischen Hauptstadt, brachten.

Die China Ocean Shipping (Group) Co. und die China Shipping (Group) Co. dirigierte ihre Schiffe, die sich in Gewässern nahe Libyens aufhielten, zur Unterstützung der Evakuierung um. Als Geleitschutz schickte die chinesische Marine eine Fregatte, die gerade im Golf von Aden zum Schutz von Handelsschiffen gegen Seeräuber im Einsatz war.

Aber auch der Landweg wurde zur Flucht aus Libyen genutzt, etwa indem man sich nach Tobruk an der libysch-ägyptischen Grenze durchschlug. Von dort kamen die Ausreisenden in die ägyptische Grenzstadt Salum. Die erste Gruppe von 83 Chinesen entkamen so aus Libyen. Die chinesische Botschaft in Kairo organisierte mehr als 100 Busse, die in Salum bereitstanden, um eventuell weitere chinesische Ankömmlinge aufzunehmen. 

Unterdessen hatte das chinesische Verkehrsministerium eine Notfallverordnung erlassen, die alle ihm unterstellten Behörden darauf verpflichtete, die CAAC dabei zu unterstützen, den Evakuierten bei ihrer Rückkehr nach China entsprechende Dienstleistungen anzubieten.

Die Evakuierungsaktion hat mehr Länder und umfassendere Maßnahmen beansprucht als ähnliche Aktivitäten in der Vergangenheit. Daraus, so Hong, könnten wertvolle Lehren für die Zukunft gezogen werden.

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