26-01-2011
Im Focus
Im Schlachtenlärm der Tigermutter

Tigermutter Amy Chua und ihre steilen Thesen sind seit Tagen ein heißes Thema in den US-Medien. Die Juraprofessorin an der Yale-Universität hat mit ihrem Bestseller über ihre Art der Kindererziehung unter dem Titel „Battle Hymn of the Tiger Mother" in den USA eine mächtige Kontroverse ausgelöst, die weit über das Gebiet der Pädagogik hinausreicht.

 

Um ihre beiden Töchter zum Erfolg zu führen, hat diese Tigermutter sehr strenge Regeln ausgearbeitet. Die Töchter mussten täglich drei bis vier Stunden lang Klavier üben. Sie durften weder zur Toilette noch zum Essen gehen, solange das Stück nach Meinung der  Tigermutter noch nicht perfekt einstudiert war. Chua ist sehr stolz darauf, dass ihre Tochter schon mit vierzehn Jahren als Pianistin in der Carnegie Hall auftrat. „Im Vergleich zu ihrer Zukunft sind die Gefühle der Kinder nicht erwähnenswert", so die Mutter. Diese harte Einstellung wird in den westlichen Medien als „Erziehung auf Chinesisch" bezeichnet. Eine Umfrage des Wallstreet Journal zeigte jedoch, dass sich 90 Prozent der chinesischen Leser vom strengen Erziehungsstil der Tigermutter distanzieren.  

Aber viele amerikanische Eltern fühlen sich plötzlich unter Druck gesetzt. Manche haben aus ihrer Begegnung mit der Tigerin gar den Schluss gezogen, dass die Chinesen drauf und dran sind, durch diese rigorosen Prinzipien bei der Aufzucht ihres Nachwuchses die USA in Sachen Intelligenz und Forscherfleiß überholen wollen.  

Von solchen Überinterpretationen ihrer Thesen zur Erziehung, die in westlichen Augen durch unerträgliche Strenge und absolute Kontrolle gekennzeichnet sind, hält die asiatischstämmige Professorin nicht viel. Sie hat vor der Presse klar gemacht, dass es sich bei ihrem Buch lediglich um ihren persönlichen Erfahrungsbericht in Sachen Kindererziehung handelt und keinesfalls um einen Wegweiser für Eltern in allen Lebenslagen. Sie beklagt sich darüber, dass viele Abschnitte ihres Buches aus dem Zusammenhang gerissen und einseitig gedeutet würden.   

Sun Ruixue, Pädagogikprofessorin, Kolumnistin und Autorin populärer Erziehungsratgeber, meint, Amy Chua habe ihre Kinder nicht als Individuen wahrgenommen, sondern sie allein nach den Erwartungen der Gesellschaft geformt. Für Tigermütter gehe es nicht um eine Erziehung der Kinder zur Selbstständigkeit, sondern darum, dass diese die Erwartungen der Gesellschaft erfüllten. Die sogenannte „erfolgsorientierte" Erziehung ist nach Meinung von Sun ausgesprochen kurzsichtig.  

Yin Jianli, Autorin des Buchs „ Mama ist die beste Lehrerin der Kinder" bewertet das Beispiel der Tigermutter eher als einen Fehlschlag auf dem Feld der Erziehung, denn sie habe den Kindern Freiheit und Selbständigkeit geraubt. Freiheit und Selbständigkeit sind nach Yin nun aber einmal der Kern- und Angelpunkt jeder Erziehung, insbesondere der Erziehung von Kindern.  

Wie in den USA gibt es jedoch auch in China viele Eltern, die den strengen Erziehungsstil der Tigermutter befürworten. Hu Zihong, ein bekannter Kinderbuchautor, meint, dass man das Erziehungsmodell der Tigermutter nicht unbedingt akzeptieren muss. Keinen Zweifel kann es allerdings daran geben, dass die Tigermutter eine verantwortungsvolle Mutter sei, die stets auf die Zukunft der Kinder bedacht ist. Er findet es wichtig und richtig, strenge Regeln für Kinder aufzustellen, damit sie sich besser an die gängigen Spielregeln der Gesellschaft anpassen können. In China, wo man sich schon in der Grundschule auf harte Konkurrenz einstellen muss, ist Strenge in der Kindererziehung sicherlich notwendig, so Hu.  

Zhang Siqi, die junge Mutter eines dreijährigen Mädchens, sagt, in China herrscht überall ein harter Konkurrenzkampf: „Mir ist klar, dass es für die Zukunft meiner Tochter superwichtig ist, in eine Elite-Grundschule gehen zu können. Nur dann hat sie eine Chance, auf eine Elite-Mittelschule zu kommen und später eine gute Universität besuchen zu können, was ihr eine bessere Berufsaussicht eröffnet. Dennoch will ich nicht so streng wie die Tigermutter zu meinem Kind sein. Wozu soll es nutze sein, Kindern eine glückliche Kindheit wegzunehmen, nur um ihnen eine sogenannte erfolgreiche Zukunft zu garantieren?"