Japans Politik muss Geschlossenheit und Führungsstärke beim Wiederaufbau zeigen
Ministerpräsident Kan auf der Pressekonferenz vom 15. März 2011 (Quelle: Xinhua)
Die tragischen Auswirkungen des heftigen Erdbebens vom 11. März 2011 in Japans Nordosten haben weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Menschen außerhalb Japans sind beeindruckt von der ruhigen und besonnenen Weise, in der die überwiegende Mehrheit der Betroffenen auf das Unglück reagiert haben. Trotz der hohen Zahl an Opfern – mehr als 9523 Menschen sind zu Tode gekommen und über 16 067 gelten als vermisst – haben sich die Japaner gegenseitig geholfen und versuchen nun, rasch ihre Existenz und ihr zerstörtes Gemeinwesen wieder aufzubauen.
Japan ist und bleibt das Land der Erde, das der größten Gefährdung durch Erdbeben ausgesetzt ist. Die Wirkungen dieser regelmäßig wiederkehrenden Katastrophen lassen sich durch die ganze Geschichte hinweg beobachten. Erst im Jahre 1995 wurde die Stadt Kobe durch ein großes Erdbeben zerstört. Der Wiederaufbau der Region erforderte nahezu zwei Prozent des japanischen Bruttoinlandsproduktes. Die Folgekosten des gegenwärtigen Erdbebens werden voraussichtlich noch weit mehr zu Buche schlagen. Hinzu kommt, dass Japans Wirtschaft heute deutlich schwächer ist als im Jahre 1995. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass der Wiederaufbau rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingen wird. Das mit dem Erdbeben und dem Tsunami verbundene menschliche Leid wird von dieser Rechnung nicht erfasst.
Japan befindet sich gegenwärtig in einer schwierigen Phase seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist nach wie vor ein wohlhabendes Land, mit einem Pro-Kopf-Inlandsprodukt von über 40 000 US-Dollar. Aber die Staatsverschuldung ist hoch und beträgt mehr als 200 Prozent des BIPs. Japans Schuldenlast war erst unlängst die Ursache für heftige parlamentarische Debatten über den Staatshaushalt. Eines der größten Probleme besteht in der Schwierigkeit, Konsumgüter zu besteuern. Ungeachtet der hohen Staatsverschuldung geht es Japans Banken und Konzernen sehr gut, ihre Bilanzen weisen ein dickes Plus auf. Eine positive Folge der schrecklichen Katastrophe könnte sein, dass endlich der politische Wille aufgebracht wird, das Defizit abzubauen und die Steuern zu erhöhen.
Das Baugewerbe wird für die wirtschaftliche Gesundung des Landes sicherlich eine Schlüsselrolle spielen. Nach Japans Wirtschaftsboom während der siebziger und achtziger Jahre fiel die Bauindustrie in eine langanhaltende Depressionsphase, aus der ihr auch die großangelegten staatlich finanzierten Infrastrukturmaßnahmen der neunziger und 2000er Jahre nicht herausgeholfen haben. Gerüchten zufolge soll bei der Vergabe dieser Projekte, die sich vielfach als wenig nachhaltig erwiesen haben, häufig Korruption im Spiel gewesen sein.
Der Umfang der in Nordostjapan erforderlichen Wiederaufbaumaßnahmen bedeutet für den kränkelnden Bausektor eine deutliche Wiederbelebung und wird zu dringend benötigten wirtschaftlichen Aktivitäten führen. Flugplätze, Seehäfen und Industrieanlagen an der Küste nahe Sendai wird man zusätzlich zu den Wohnhäusern und Verkehrswegen wieder aufbauen müssen. Die erforderlichen Investitionen werden gewaltig sein. Japanische Bauunternehmen werden einige Jahre ausgelastet sein, gilt es doch, so schnell wie möglich Gebäude zu errichten, die Erdbeben und Tsunamis standhalten können.
Eine Folgeerscheinung der Katastrophe, auf die man am wenigsten vorbereitet war, sind die Vorgänge im Atomkraftwerk Fukushima. Die Anlage war darauf ausgelegt, heftigen Erdstößen standzuhalten. Allerdings zerstörten Erdbeben und Tsunami das Kühlsystem der Reaktoren, wodurch die Brennstäbe überhitzten und Radioaktivität freigesetzt wurde. Die Betreibergesellschaft des Kraftwerks, die Tokyo Electric Power Co. (Tepco), ist noch immer fieberhaft darum bemüht, eine Kernschmelze mit unabsehbaren Folgen für die Bevölkerung zu verhindern. Das Vertrauen der Japaner in die Sicherheit von Atomkraftwerken hat jedenfalls stark gelitten. Für ein Land, das ein Drittel seines Energieaufkommens aus Kernkraft bezieht, ist dies ein wichtiges Thema. Die Regierung wird zweifelsohne eine Untersuchung über die Ursachen der Atomkatastrophe einleiten, um daraus Lehren zu ziehen, wie in Zukunft derartige Unfälle vermieden werden können. Kurzfristig werden die Rohölpreise auf dem Weltmarkt steigen, weil Japan verstärkt auf Energiegewinnung aus Öl statt aus Kernkraft ausweichen muss.
Die unmittelbare Auswirkung des Erdbebens auf die Wirtschaft war ebenfalls äußerst negativ. Die Börse in Tokyo stürzte nach der Katastrophe ab, was die Nationalbank dazu zwang, massiv Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen, um den Ausverkauf japanischer Aktien und einen Währungsverfall zu verhindern. Es bedarf der Zeit und staatlicher Hilfe, um das Vertrauen in die Märkte zurückkehren zu lassen.
Japans Ministerpräsident Kan Naoto hat die Katastrophe als die schlimmste Krise Japans seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Sie ist weitaus schlimmer als die zwei quälend langen Rezessionsphasen in den beiden letzten Jahrzehnten, darunter diejenige, die 2008 zur Weltfinanzkrise geführt hat.
Die wahre Herausforderung für die politische Klasse Japans wird nun darin bestehen, Führungsstärke und Einheit zu demonstrieren. Seit vielen Jahren gibt es einen raschen Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten. Allein in den letzten vier Jahren hatte Japan vier Ministerpräsidenten, keiner von ihnen blieb mehr als ein Jahr im Amt. Kan Naoto, zuvor hochgeachtet als Finanzminister, wurde letzten Herbst nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt fast von Ozawa Ichiro aus dem Amt gedrängt.
Vielleicht können Japans Politiker Einheit und Entschlossenheit in einem entscheidenden Moment demonstrieren, die verwüsteten Gebiete des Landes wiederaufbauen und die Verantwortlichen für das haarsträubende Missmanagement der Atomkrise zur Verantwortung ziehen. Der Rest der Welt – darunter auch China – hat sich betroffen gezeigt und Beistand geleistet. Nun steht Japan vor der Wahl: Entweder gestärkt aus der Tragödie hervorzugehen, oder im Gegenteil noch mehr geschwächt. Ich denke, Japan wird sich von seiner besten Seite zeigen, indem es ihm durch Wiederaufbau und Erholung gelingen wird, seinen Rang als wichtige Wirtschaftsnation der Welt wiederzugewinnen.
Kerry Brown ist Gruppenleiter beim Europe China Research and Advice Network. Die Meinung des Verfassers gibt nicht unbedingt die Auffassung der Beijing Rundschau wieder.
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