Auf der Suche nach dem langen Leben
Geboren im Jahr 1885, ist Luo Meizhen immer noch sehr beweglich und kann gut hören und sehen. Bis dieses Jahr ist sie fast jeden Tag einen nahen Berg hinaufgeklettert, um dort ihre Felder zu bestellen. Kürzlich wurde die Dame zur ältesten Bürgerin Chinas erklärt.
Die Gerontologische Gesellschaft Chinas (GSC), die entsprechende Daten zusammenträgt, sagt, dass die zehn ältesten Chinesen aus fünf nationalen Minderheiten in sechs Provinzen oder Autonomen Gebieten stammen und einen Altersdurchschnitt von 119,9 Jahren aufweisen. Der „Jüngste der Alten" ist 117 Jahre alt.
Nach Angaben der GSC gab es am 1. August 2010 auf dem chinesischen Festland 43 708 Personen, die 100 Jahre oder älter waren. Gegenüber dem Vorjahr ist diese Zahl um 3 316 Personen angewachsen.
„Mit dem raschen Wachstum der Wirtschaft, der Entwicklung der Gesellschaft und der Verbesserung der Lebensqualität hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen verlängert. Die Zahl der Menschen, die einhundert und mehr Jahre erreichen, wächst jedes Jahr", sagt Li Bengong, Präsident der GSC.
Luo ist nicht die älteste Frau in der Geschichte ihrer Heimat, dem Autonomen Kreis Bama der Yao im Autonomen Gebiet Guangxi der Zhuang-Nationalität. Lokale Aufzeichnungen berichten von einem Individuum der Yao-Minderheit, das dort während der Qing-Dynastie (1644-1911) gelebt habe und das Alter von 142 erreicht hätte.
Die Statistiken der GSC weisen für den Autonomen Kreis Bama der Yao gegenwärtig 81 Hundertjährige aus, was einer Rate von 31,7 pro 100 000 Einwohner entspricht. Dies übersteigt weit den durchschnittlichen Anteil der Hundertjährigen an den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten der UNO, der heute bei 7,5 pro 100 000 liegt.
Forscher schreiben die Langlebigkeit der Menschen von Bama deren gesunder Lebensweise zu. Seit tausenden von Jahren haben die Leute in Bama von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gearbeitet. Nachts haben sie ausreichend Schlaf, und tagsüber körperliche Ausarbeitung durch ihre tägliche Arbeit. Jeden Tag steigen sie auf die Berge, um dort Felder zu bestellen und Gärten zu pflegen, die Kinder haben einen weiten Schulweg, auf dem sie ebenfalls beträchtliche Höhendifferenzen zu bewältigen haben. Eine körperliche Ertüchtigung dieser Art trägt dazu bei, eine robuste Konstitution und leistungsfähige Herzen anzutrainieren. Außerdem ist die Gewohnheit verbreitet, jeden Abend heiße Fußbäder zu nehmen, was unter Chinesen als einfache aber effektive Methode zum Erhalt der Gesundheit gilt.
Die Ernährung der Einheimischen stimmt mit traditionellen chinesischen Theorien über Ernährung, Gesundheit und Langlebigkeit überein. Die Leute essen hauptsächlich Gemüse aus natürlichem Anbau ohne Kunstdünger oder Pestiziden, ergänzt um etwas Fleisch. Während des ganzen Jahres wird Brei gegessen, der oft zusammen mit Gemüse, Fisch und Bohnen gekocht wird. Sie lehnen Gebratenes ab und bevorzugen stattdessen Gerichte, die gedünstet oder kurz geschmort sind, was dazu beiträgt, die Nährstoffe der Nahrung zu erhalten.
In Bama wachsen ganzjährig Bohnen und bilden eine wichtige Nahrungsgrundlage der Leute dort. Luo ißt gerne Sojabohnen und Gänsediestel, eine Pflanze, die bitter schmeckt und auch in der chinesischen Kräutermedizin zum Einsatz kommt. Beliebt ist unter den Yao auch fructus cannabis. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Hanfsamen, fructus cannabis, bei der Aufnahme von Vitaminen hilft und einige unentbehrliche Ernährungselemente enthält. Darunter Fettsäuren und Aminosäuren, die den Körper mit den erforderlichen Proteinen versorgen. Tausende von Jahren lang fand diese Pflanze in der traditionellen Medizin Asiens, Russlands und Westeuropas Anwendung als Arznei.
Der Speiseplan der Yao passt sich den Jahreszeiten an, aber stets sind die Gerichte fett-, salz- und kalorienarm, während sie reich an Ballaststoffen, komplexen Kohlehydraten und pflanzlichen Proteinen sind.
Nach Einschätzung der Wissenschaftler ist nicht allein die Ernährung die Ursache für das lange Leben der Leute von Bama. Neben gesundem Essen gibt es ein weiteres gemeinsames Merkmal der langlebigen Menschen in Bama: Toleranz und Zufriedenheit mit der eigenen Existenz. Das wenigstens will Xing Yongchuan, Dozent an der Fakultät für Journalismus und Kommunikationswissenschaft an der Universität Guangxi, festgestellt haben.
Es gibt keine Altersheime in Bama. Es ist ganz üblich, dass fünf Generationen einer Familie harmonisch unter einem Dach leben. Das Leben ist ruhig und entspannt. Die einzige Art von „Wettbewerb" ist ein traditionelles Volksliedfest. Alle Leute, gleich welchen Alters, nehmen daran teil. Das ist die beste Art von Unterhaltung für die Einheimischen und wird als eine bewährte Methode betrachtet, um jung zu bleiben, sowohl körperlich wie geistig.
Umweltbedingungen tragen ebenfalls zum langen Leben der Menschen von Bama bei. Wissenschaftler haben einen extrem hohen Gehalt an Mangan und Zink, aber nur einen geringen Anteil an Kupfer und Kadmium im Boden der Region festgestellt. Ein hoher Anteil an Mangan und ein niedriger Anteil an Kupfer kann das Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen reduzieren, während Zink das Immunsystem stärkt.
Frische Luft ist ein weiterer gesundheitsfördernder Faktor. Die meisten der extrem alten Menschen von Bama leben im Tal oder entlang des Flusses, wo es überhaupt keine Verschmutzung gibt. Wissenschaftler haben ermittelt, dass der Anteil von negativen Sauerstoff-Ionen pro Kubikmeter Luft in Bama 2 000 bis 5 000 beträgt und in einigen Dörfern, die berühmt sind für ihren hohen Anteil an extrem alten Menschen, sogar auf bis zu 30 000 ansteigt. In anderen Gegenden liegt der Gehalt an negativen Sauerstoff-Ionen normalerweise zwischen 1 000 und 2 000. Außerdem sind die Menschen in Bama nicht so stark der Sonneneinstrahlung ausgesetzt, was ebenfalls gut für die Gesundheit ist.
Von der Geschichte der Yao in Bama ausgehend, liegt der Gedanke nahe, dass Langlebigkeit nur in abgelegenen Gebirgsgegenden oder weniger entwickelten Regionen vorkommt. Aber auch in der Provinz Guangdong, eine der wohlhabendsten Regionen Chinas, steigt die Zahl extrem alter Menschen.
In Sanshui, einer Stadt im Bezirk Foshan, dreißig Kilometer von der Provinzhauptstadt Guangzhou entfernt, sind seit den 1990er Jahren energieintensive und stark umweltbelastende Industriebetriebe geschlossen oder ausgelagert worden. Zugleich konnte ein spürbarer Anstieg der Zahl der Hundertjährigen registriert werden.
„Sanhui hat einen Ausgleich zwischen Umweltschutz und Wirtschaftsentwicklung gefunden", sagt Zhao Baohua, Vize-Präsident der GSC.
Abgesehen davon haben Experten festgestellt, dass die Böden, das Wasser und die Lebensmittel in der Region Sanshui reich an Selen sind, einem Spurenelement, das Herz-Kreislauferkrankungen, Arteriosklerose und anderen Krankheiten vorbeugt. Ein Mangel an Selen kann das Immunsystem schwächen.
Untersuchungen haben ergeben, dass die Lebensweise zu 60 Prozent zu den Faktoren beitragen, die Gesundheit und Langlebigkeit eines Menschen bestimmen. Ein gesunder Lebensstil kann das Leben eines Menschen um wenigstens zehn Jahre verlängern. Zugleich verringert er das Risiko hohen Blutdrucks um 55 Prozent, die Gefahr eines Schlaganfalls um 75 Prozent, das Diabetesrisiko um 50 Prozent und das Krebsrisiko nahezu um ein Drittel.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Leitfaden für gesundes Leben herausgegeben. Seine Kernpunkte: Ausgewogene Ernährung, angemessene Bewegung, kein Nikotingenuss, maßvoller Alkoholkonsum und eine ausgeglichene Gemütsverfassung. Diese Richtlinien befinden sich in Übereinstimmung mit den Lehren der traditionellen chinesischen Medizin bezüglich der Gesunderhaltung, meint Hu Xiaofei, Professor an der Beijinger Sporthochschule, der seit mehr als zwanzig Jahren die traditionellen chinesischen Methoden zur Erhaltung der Gesundheit studiert.
In Hus jüngstem Buch bietet er eine Einführung in überlieferte Theorien und Methoden der Gesunderhaltung auf der Grundlage der Praxis des Qianlong-Kaisers der Qing-Dynastie, der im Alter von 89 Jahren starb. Hu hat ein Übungsprogramm erstellt, das dazu dienen soll, die Gesundheit zu fördern und das Leben zu verlängern. Es ruht auf drei Grundpfeilern: geistige Aktivität, Atemtechnik und körperlicher Ertüchtigung. |