20-09-2010
Blog
Ein Häuschen im Grauen
von Christoph Karg

Die Preise für Immobilien haben sich in China in nur vier Jahren verdrei- bis verfünffacht.

Eine schlichte Eigentumswohnung im Zentrum Beijings bekommt man zurzeit nicht unter einer Million Yuan (ca. 114 000 Euro).

Ein Grund für diese Entwicklung ist sicherlich die großzügige Vergabe von Immobilienkrediten, ein anderer Grund ist aber der Wunsch vieler Chinesen nach einem Eigenheim in der Stadt.

Diesen Wunsch wollen sich viele um jeden Preis erfüllen: „Um mir eine Wohnung in Beijing zu kaufen, habe ich nicht nur einen Kredit aufgenommen, auch meine Eltern haben mir gehörig unter die Arme gegriffen", sagt mir ein Freund, der sich letztes Jahr eine Wohnung in Beijing gekauft hat.

Eine Freundin verrät mir, dass ihre Eltern eigens ein zweistöckiges Haus in ihrer südchinesischen Heimatprovinz verkauft hätten, um ihr eine 75 Quadratmeter große Wohnung in Beijing kaufen zu können. Eigentlich ist die Wohnung nur 60 Quadratmeter groß, aber zur Bruttofläche von 75 Quadratmetern zählt nicht nur der Anteil an der Gemeinschaftsfläche des Hauses, sondern auch die Bodenfläche, auf der die Wände stehen. Das Geld der Eltern aus dem Verkauf des Hauses in der Provinz reichte aber immer noch nicht, sie musste zusätzlich einen Kredit aufnehmen. Jeden Monat gehe nun die Hälfte ihres Gehalts für die Tilgung des Kredites drauf, sagt sie frustriert.

Für die Wohnung bezahlte sie eine Millionen Yuan (ungefähr 125 000 Euro). Sie verdient im Monat ca. 4000 bis 5000 Yuan (ungefähr 460 bis 580 Euro). Um die Wohnung ohne elterliche Hilfe zu kaufen, müsste sie ungefähr das 250-fache eines Monatsgehaltes aufbringen oder anders gesagt, sie müsste 20 Jahre arbeiten.

Um uns die astronomischen Wohnungspreise in China noch anschaulicher zu machen, wollen wir die Lage auf dem Immobilienmarkt in Deutschland mit der in China vergleichen.

Stellen wir uns einen deutschen Lehrer vor, der in der teuren bayerischen Landeshauptstadt München eine Eigentumswohnung ergattern will; was Beijing für China, ist München für Deutschland: eine der teuersten Städte des Landes.

Laut einer Studie der Webseite immonet.news ist der Quadratmeter in München für rund 2000 Euro zu haben. Angenommen, der Lehrer fasst eine 75 Quadratmeter große Wohnung ins Auge, dann bezahlt er hierfür 160 000 Euro. Ein Gymnasiallehrer verdient in Deutschland ungefähr 3000 Euro. Der besagte Lehrer muss also nur 54 Monatsgehälter aufbringen, oder vier Jahre arbeiten, dann kann er die Schlüssel für die Wohnung entgegennehmen.

Wenn meine Beijinger Freundin eine Wohnung in der Hauptstadt kauft, dann ist das so, als wollte in Deutschland sich jemand eine Eigentumswohnung in München von einem 600 Euro-Job leisten.

Sparte der deutsche Lehrer zwanzig Jahre lang, hätte er stolze 800 000 Euro auf der hohen Kante. Dafür könnte er sich sowohl eine Wohnung in Düsseldorf als auch eine in München kaufen. Oder aber eine Wohnung in Deutschland und eine Ferienwohnung in Spanien.

„Ein Häuschen im Grünen" ist der zuweilen etwas spießig anmutende Traum vieler Deutscher. In China muss man das Ganze wohl eher in „eine Wohnung im Grauen" umdichten. Bei den Deutschen stand das Häuschen im Grünen lange für den sozialen Aufstieg. Wer etwas auf sich hielt, wohnte lieber auf dem grünen Lande, als in der grauen Stadt. In China ist das genau andersherum: Der Aufsteiger zieht vom vielerorts noch grünen Lande in die durch Hochhäuser verschandelten, grauen Städte.

Neben der Jagd nach Status und Ansehen lässt sich auch noch ein rationales Argument für den Kauf einer Wohnung anführen: Sicherheit.

Wenn ein Chinese eine Wohnung mietet und der Vermieter von heute auf morgen die Miete erhöht, lässt sich dagegen nicht viel ausrichten. Ein Gesetz zum Schutz der Rechte von Mietern gibt es in China noch nicht.

Ein sehr lästiger Nebeneffekt des Immobilienbooms in China sind die an allen Ecken der Stadt wie Pilze aus dem Boden schießenden Büros der Immobilienmakler.

Auch ich habe meine Erfahrungen mit dieser Branche gemacht. Entgegen dem Ideal vieler Chinesen wohne ich noch zur Miete.

Meine Wohnung kostet monatlich 1150 Yuan (ungefähr 130 Euro). Beim Einzug musste ich neben dem Mietzins noch einmal einen Betrag in gleicher Höhe als Kaution und Vermittlungsprämie abführen. Insgesamt also 3450 Yuan auf einen Schlag.

Vermittelt wurde die Wohnung von einer jungen Immobilienmaklerin, die in der Wohnung, in die sie mich vermittelt hat, ein Zimmer ihr Eigen nennt. Sie hatte sich mir als Vermieterin der Wohnung vorgestellt. Später stellte sich jedoch heraus, dass sie gar nicht die Vermieterin ist. Auch sie hat die Wohnung nur angemietet und dann zimmerweise weitervermietet. Ich wohne in einem der Zimmer also zur Untermiete. Die Maklerin wohnt umsonst in der Wohnung, denn der Mietzins, den ich entrichte, summiert sich mit der Miete einer weiteren Untermieterin auf 2200 Yuan. Die Wohnung kostet monatlich aber nur 2000 Yuan. Die gewiefte Dame wohnt also nicht nur umsonst, sondern verdient auch noch 200 Yuan an ihren Untermietern!

Meine Kaution werde ich wohl beim Auszug nicht wieder sehen. Da kann man schon verstehen, dass viele Chinesen nie wieder in ihrem Leben Mieter sein wollen, oder?