Verunsicherte Bürger
Eine verlockende Vorstellung. Doch die Realität in Changshou sieht bisher noch anders aus: Vor dem Panorama der Jangtse Berglandschaft erhebt sich ein Chemiewerk neben dem anderen: Imposante Gebäude mit mächtigen Schloten, Ungetüme aus Rohren. Der Chemie- und Industriepark Chongqing ist bis auf ein paar einsame Wärter in ihren Glashäuschen menschenleer. Nur eine mit Mundschutz und Strohhut vermummte Reinigungskraft kämpft sich mit Besen durch den allgegenwärtigen Staub. Auf dem Weg ins Stadtzentrum säumen Metallwarenläden, Friseure und billige Puffs die Straße. Im Stadtkern werden lange Unterhosen und Plastikgeschirr verkauft. Doch fragt man hier nach den Plänen von BASF, haben die meisten Passanten eine dezidierte Meinung. Eine gute Sache, sagt ein Passant, aber nur, wenn die Umwelt dabei nicht verschmutzt würde, so ein anderer. Vorteilhaft sei, dass sich so das Einkommen vielleicht erhöhen lasse, nachteilig sei jedoch, dass dabei die Umwelt verschmutzt und die Gesundheit geschädigt würde. Bestimmt würden bei der Produktion giftige Gase freigesetzt werden, befürchtet jemand, deshalb sei er dagegen.
Dagegen stimmen können die Bürger von Changshou nicht. Die lokale Regierung und das chinesische Umweltministerium haben die Pläne von BASF bereits abgesegnet. Nun kommt es nur noch auf die Zusage der nationalen Entwicklungs- und Reformkommission an. Doch noch gibt sich Umweltaktivist Wu Dengming nicht geschlagen. Nun geht es ihm darum sicherzustellen, dass sich das Werk, wenn es denn nun gebaut würde, in China an dieselben hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards hält, die auch in Deutschland gelten. Denn, so Wu, es ginge hier ja nicht um irgendein spezielles Gebiet oder um eine spezielle ethnische Gruppe, sondern um internationale Vorstellungen von Umweltschutz. Und genauso wie es im Ausland ein Riesenproblem sei, wenn sich ein Unternehmen nicht korrekt verhalten würde, so würde es auch in China eines sein. Kämpferisch reckt Wu seine Faust und fügt verdeutlichend hinzu: Falls sich BASF also nicht korrekt verhalten würde, dann würde sich auch seine NGO nicht korrekt verhalten.
Zweierlei Standards?
Die Befürchtung, BASF könne in China andere Standards anwenden als in Europa, ist nicht ganz unbegründet. BASF arbeite mit unterschiedlichen Standards, heißt es auch bei Greenpeace China. So würde das deutsche Unternehmen zwar die Emissionsdaten seiner europäischen Werke, nicht jedoch seiner chinesischen Werke einzeln aufschlüsseln und veröffentlichen. Doch Transparenz in Bezug auf Emissionsdaten ist in China definitiv ein Thema. Erst 2006 floss Gift aus einer Chemiefabrik in den nordchinesischen Songhua-Fluss und verschmutzte damit die Trinkwasserressource von Millionen Menschen entlang des Flusses. Ganze zehn Tage brauchte die chinesische Regierung damals, um die knapp 10 Millionen Bewohner Harbins darüber aufzuklären, warum das Trinkwasser der Stadt plötzlich abgestellt wurde. Erfahrungen wie diese machen skeptisch. Und auch wenn die Umweltschutzgesetze Chinas an sich streng seien, seien die Umweltbehörden damit überfordert, die Firmen auch regelmäßig zu kontrollieren. Auf die Behörden und den guten Willen von BASF allein will sich Wu Dengming daher nicht verlassen. Ein unabhängiges Bürgerkomitee sollte BASF kontrollieren, zusammengesetzt aus Experten und NGO-Mitgliedern. Finanziert werden könne deren Arbeit doch aus dem Budget des Chemieriesen für Social Corporate Responsibility, ist Wu Dengmings Idee. Eine Idee, die bei BASF Manager Jaak van Steen noch nicht einmal ein Achselzucken auslöst. Aber wäre das Bürgerkomitee überhaupt noch unabhängig, ließe es sich seine Arbeit durch die zu überwachende Firma bezahlen?
NGOs in China - nicht ohne die Regierung
Das wäre schwierig, gibt Chen Jilian zu bedenken, der NGO-Experte der Heinrich Böll Stiftung in Beijing. Doch genau hier liege ein zentrales Problem vieler NGOs in China: NGOs können keine Gelder beantragen und sich auch nicht leicht anmelden, denn dazu braucht man eine Aufsichts-Organisation. Aber wenn sie keine öffentlichen Mittel beschaffen können, werden sie es sehr schwer haben, die Industrie überwachen zu wollen. Doch völlig ohne Einfluss seien Bürgerbewegungen nicht. Umweltfragen seien mittlerweile wirklich zu einer öffentlichen Thematik geworden. Vor allem, wenn es dabei um Entscheidungen über gemeinschaftlich genutzte Ressourcen oder Dinge ginge. Käme es zu Umweltproblemen, würde dies auf regionaler Ebene schnell zu Protesten führen. Das sei in letzter Zeit häufig vorgekommen, Tendenz steigend. Ob und wie dies zu einer Bewusstseinsänderung der Regierung beitrage, sei momentan immer noch sehr schwer zu sagen. Aber vieles sei in Bewegung. Es seien eben kritische Umbruchsjahre, in denen man sich befinde, Jahre in denen vieles entschieden würde.
Umbruch und Aufbruch. Beides lässt sich in Changshou und Chongqing erleben. In welche Richtung es weiter geht, das wollen die Bürger selbst bestimmen. Doch wirtschaftliche Entwicklung auf Kosten der Umwelt, das wollen viele Chinesen nicht mehr. |