Eine Stunde vom Finanzviertel Nanjings entfernt liegt Jiangniang, ein Industriegebiet, das bis vor kurzem noch landwirtschaftlich genutzt wurde. Die Bauern leben nun in Wohnsiedlungen und es heißt, die meisten seien froh über den Komfort, den sie jetzt genießen können. Hier ist die Endstation der S-Bahn, vorläufig also wird Jiangniang als der äußerste Rand des Nanjinger Einzugsgebiet gehandelt. Wie überall auf der Welt, so übersetzt sich auch hier die bessere Verkehrsanbindung in höhere Immobilienpreise. Nachdem die nun landlosen Bauern in Eigentumswohnungen untergebracht sind, schlägt die Stunde der Anleger und Spekulanten: das städtische Bürgertum erwirbt eine zweite und dritte Wohnung, solange die Preisentwicklung nach oben weist und man auf die Regierung vertraut, die ein Platzen der Blase schon nicht zulassen wird. Aber bevor der Dritte Stand die Gegend in einen Villenvorort verwandelt haben wird, will zunächst die Etappe der Industrialisierung durchlaufen sein, und dazu braucht es Fabriken. Die stehen heute auf Land, das früher Ackerboden war.
Das Unternehmen
Die Nanjing Circle Precision Machine Manufacturing Co., Ltd des Herrn Shen ist so ein Unternehmen, und ihre Produktionsstätte ist ein recht elegantes Stück Industriearchitektur: graue vierstöckige Bauten mit flachen Dächern. Ihre Fassaden werden aufgelockert durch einen erkerartigen Vorbau, der jedes Gebäude an zwei Stellen über alle vier Stockwerke fünf Meter breit verblendet. Mit seinen vielen kleinen Fenstern und dem taubenblauen Anstrich symbolisiert er die Arbeit, die in der Fabrik geleistet wird: das Zusammenfügen verschiedener Komponenten zu einem neuen Funktionsteil. Bearbeitet und montiert werden Werkstücke aus Eisen, Kupfer und Aluminium. Eine eigene Feingießerei ist nach DIN EN ISO zertifiziert. Es werden zum Beispiel Gewindetriebe hergestellt, Teile, die in einen französischen Hubschrauber eingebaut werden, oder Komponenten für Solaranlagen, Präzisionswerkteile zur Verwendung in der Bauindustrie. Das Meiste wird von verschiedenen Gießereien zugekauft und in Shens Firma bearbeitet, wärme- und oberflächenbehandelt, montiert und nach Europa geliefert.
Das Wort "Precision" im Firmennamen ist kein leeres Versprechen, auf Präzison kommt es hier in jeder Hinsicht an, deshalb stehen auch teure Prüfmaschinen in einer zentralen Abteilung der Fabrik, welche die Qualität jedes einzelnen der ausgelieferten Werkstücke garantieren sollen. Aber Präzision muss auch in der Einhaltung der Lieferfristen gelten. Der Personalaufwand, der für Qualitätssicherung getrieben wird, ist erheblich: Neben dem Betriebsleiter gibt es noch einen Qualitätsmanager, der nicht der Betriebsleitung untersteht, sondern der Leitungsebene des Unternehmens. Eine der Teilhaberinnen ist speziell für Qualitätsfragen zuständig. Fünf Frauen und ein Mann sind für Qualitätskontrollen innerhalb des Betriebs verantwortlich, zwei Leute sind für die Zwischenkontrolle verantwortlich, sie prüfen die Rohlinge, die angeliefert werden auf Qualitätsmängel.
"Wir haben einen Liefertermin", sagt Herr Shen, "wir müssen den Liefertermin einhalten. Wenn wir Qualitätsprobleme haben, müssen wir gegensteuern. Wir müssen sofort neue Teile liefern. Wir müssen also auf Vorrat produzieren. Dann lieber eine größere Lagerhaltung, aus Sicherheit. 'Vorsicht ist besser als Nachsicht.'"
Arbeitsrecht und Belegschaft
"Wissen Sie, ich bin ganz offen: Die Deutschen sind manchmal sehr hochmütig, aber sehr korrekt und sehr ernsthaft. Sie arbeiten sehr fleißig und präzise und sind auch in Gelddingen sehr genau. Und das beeindruckt mich. Für einen Geschäftsmann ist es sehr wichtig, dass die Bezahlung korrekt abgewickelt wird. Deshalb bevorzuge ich auch Europäer als Geschäftspartner, ich habe kein Interesse an Geschäften in China."
Präzison und Härte schlagen sich auch in der Personalpolitik nieder: "Unsere Qualitätskriterien sind sehr streng. Wenn unsere jungen Mitarbeiter gehäuft Fehler begehen, werden sie entlassen."
Obwohl hier das neue Arbeitsvertragsgesetz den Unternehmern Fesseln anlegt, wie Herr Shen aus seiner Sicht kommentiert: "Wir haben schon ab dem Jahr 2004 Arbeitsschutzmaßnahmen eingeführt und freiwillig unsere Arbeiter versichert. Es ist stets in unserem Interesse gewesen, gute Arbeiter durch Sozialleistungen an uns zu binden. Das neue Arbeitsvertragsrecht ist zu einseitig. Wenn ein Arbeiter mit seiner Aufgabe nicht zufrieden ist, wird er sofort den Betrieb verlassen. Der Betrieb aber kann den Arbeiter nicht mehr so schnell vor die Tür setzen. Viele Anwälte nützen das jetzt zu einträglichen Geschäften aus. Die reden den Leuten zu, vor Gericht zu gehen, und dann wird prozessiert, oder sie handeln hohe Abfindungen aus. Auch wir haben viel Kraft mit diesen Fragen verbraucht. Das ist mit hohen Kosten für die Betriebe verbunden, viele Unternehmen sind in Schwierigkeiten geraten, weil auch noch die schwierige Wirtschaftslage dazugekommen ist."
Die soziale Absicherung ist gut im Betrieb. Es gibt eine vorbildlich geführte Kantine, in der die Belegschaft kostenlos verköstigt wird, wenn sie Überstunden ableistet, weil ein Auftrag dringend heraus muss. Dennoch muss Herr Shen einräumen, dass es durchaus Streiks gegeben hat in seinem Betrieb: "Die Leute sind nicht mit dem Lohn zufrieden gewesen. Die Betriebsleitung wusste keinen Rat mehr, dann sind eben wir gekommen, die Inhaber, um zu verhandeln und neue Konditionen auszuhandeln."
Wie einige andere Firmen in der Region arbeitet die Nanjing Circle Precision mit einer Fachschule für Maschinenbau und Metallbearbeitung zusammen. Aus den Reihen ihrer Schüler, die zwei Jahre lang an der Schule ausgebildet wurden, kommen die Praktikanten, die ein Jahr im Betrieb arbeiten. Manche von ihnen werden dann zu festangestellten Mitarbeitern. Die jungen Leute kommen von weither, zum Beispiel aus Dörfern der Provinz Anhui. Sie wohnen auf dem Firmengelände in Drei-Bett-Zimmern. Bleiben sie nach dem Praktikumsjahr in einem festen Arbeitsverhältnis im Betrieb, erhält die Fachschule eine Prämie für die erfolgreiche Vermittlung. Das aber kommt heute seltener als früher vor: "Vor zehn Jahren waren die Jungen hochqualifiziert und hochmotiviert. Jetzt wollen sie nur noch Geld verdienen, früher gab es hier wenig Industrie und weniger berufliche Alternativen. Heute treiben sie Handel auf den Nachtmärkten oder versuchen sich durch Jobs über Wasser zu halten. Heute sind nur noch ein Drittel der Absolventen der Fachschule für die Arbeit an den Drehbänken geeignet."
Aber das ist nicht der Grund für das Schrumpfen der Belegschaft des Herrn Shen.
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