28-10-2009 Beijing Rundschau Huang Yasheng: Einkommenerhöhung ist ein effizientes Mittel gegen Zukunftsangst
Mittlerweile dürfte jedem Politiker klargeworden sein, dass sich die Welt an die schwindende Kaufkraft der US-Bürger wird gewöhnen müssen. Besonders China steht gegenwärtig stark unter Druck, mehr auf den Binnenmarkt als auf Export zu setzen. Darum versucht die Regierung nun, die sozialen Sicherungssysteme zu stärken, um chinesischen Konsumenten die Angst vor der Zukunft zu nehmen und so ihre Konsumbereitschaft anzuregen. Das sei bei weitem nicht ausreichend um Chinas Wachstumsmodell eine neue Richtung zu geben, sagt nun der kritische Wirtschaftswissenschaftler Yasheng Huang, Professor an der Slogan School of Management der MIT. In einem Gespräch mit dem "Foreign Correspondents' Club" Beijing führt er aus, dass das Land zum Aufbau einer chinesischen Verbraucherwirtschaft die aktuelle Investitions- und Exportstrategie überdenken müsse. Die Regierung um Präsident Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao hat in den vergangenen Jahren bereits Schritte unternommen, um die Verschlechterung öffentlicher Dienstleistungen aufzuhalten. Der diesjährige Haushaltsplan sieht 22,5 Prozent Mehrausgaben im Bildungssektor vor, im Gesundheitsbereich werden 20,9 Prozent mehr ausgegeben und auch die sozialen Sicherungssysteme werden umfangreich gefördert (23,1 Prozent). Zusätzlich werden 850 Milliarden Yuan in den Gesundheitssektor gesteckt, um den 4 Billionen Yuan schweren Zwei-Jahres-Konjunkturplan abzurunden. "Die derzeitige Führungsebene hat viel richtig gemacht im sozialen Bereich", sagt Huang. Er begrüßt, dass die offizielle Armutsgrenze von 785 Yuan pro Jahr auf 1196 Yuan angehoben wurde - als Antwort der Regierung auf die schon lange vorgebrachte Kritik, dass der Wert unrealistisch niedrig sei. "Dennoch bin ich der Meinung, dass zu viel auf soziale Programme und Transferleistungen und nicht genug auf wirtschaftliche Marktöffnung gesetzt wird", sagt Huang weiter. "Ausgaben im Sozialbereich, so sie denn richtig eingesetzt werden, verringert das Bedürfnis der Leute, einen Notgroschen zurückzulegen. Dagegen habe ich nichts einzuwenden, aber Ausgaben im Sozialbereich sollten unabhängig von der ökonomischen Perspektive des Landes getätigt werden. Meine Sorge geht dahin, dass man aktuell zu sehr auf Investitionen in soziale Sicherungssysteme setzt, um aus der Krise herauszukommen" sagt Huang. "Der eigentliche Grund, warum nicht mehr konsumiert wird, ist nicht die hohe Sparrate - die ist sogar geringer als in Indien - sondern das fehlende Wachstum bei den Einkommen." Auch außerhalb Chinas wird kritisiert, dass die Einengung der Diskussion auf die hohen Sparraten in Asien den Blick verstellt auf drängendere Probleme. Die Sparrate indischer Haushalte beträgt nach Angaben der Reserve Bank of India 24 Prozent, in China sind es 20 Prozent. "Wie viel Geld Chinesen ausgeben, richtet sich ausschließlich nach der Höhe ihrer Einkommen", sagt Huang. "Sie sparen nicht für die Zukunft, sondern für das Hier und Jetzt. Sie sorgen sich viel mehr über das Heute als über das Morgen. Man gibt wenig Geld aus, weil man wenig zur Verfügung hat." Huangs Schätzungen zufolge ist das Durchschnittseinkommen in China während der 1980er Jahre inflationsbereinigt um 15 Prozent gestiegen, zwischen 1989 und 2002 allerdings nur noch um 3,8 Prozent. Unter der aktuellen Regierung stiegen die Einkommen wieder um durchschnittlich 9 Prozent. "Darauf zu spekulieren, dass man mit Investitionen im Sozialbereich aus dem Ungleichgewicht herauskommen kann, ist der falsche Weg. Denn erstens ist die Sparrate chinesischer Haushalte nicht wirklich hoch. Zweitens wird im Vergleich zu den Ausgaben und Investitionsprogrammen auf dem tatsächlich wichtigen Gebiet viel zu wenig getan: Strukturreformen sind angesagt. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die Einkommen anzuheben, und das ist wirklich eine schwierige Aufgabe." In seinem 2008 veröffentlichten Buch "Kapitalismus auf chinesische Art: Unternehmertum und Staat" schreibt Huang, dass die Einkommenssteigerungen in den 1990er Jahren zurückgegangen waren, weil die Regierung sich mehr auf die Förderung der städtischen als der ländlichen Regionen konzentrierte und die Staatswirtschaft gegenüber der Privatwirtschaft bevorzugte. Er rät Chinas Regierung dazu, die fallen gelassenen Ansätze der 1980er Jahre wieder aufzugreifen, in denen der Finanz- und Landwirtschaftssektor liberalisiert wurden - was seinerzeit die Einkommen der Bauern in die Höhe schnellen ließ. "Reformen im Finanzsystem und Reformen in der Landwirtschaft sind die schwierigsten", sagt er. "Ausgaben für Sozialprogramme oder das neue Arbeitsgesetz als Ersatz für weitgehendere Reformen, all das sind nur zweit- und drittbeste Lösungen."
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