07-07-2009 Beijing Rundschau
China schlägt eine neue Leitwährung vor

Zunehmend werden Zweifel über die Sicherheit des US-Dollars als internationaler Reservewährung laut.

Bereits im März – wenige Tage vor dem Weltfinanzgipfel in London  − hatte der Präsident der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, in einem Artikel, den er auf der Website seines Hauses veröffentlichte, eine tiefgreifende Reform des internationalen Währungssystems gefordert. Seine Vorschläge zielen langfristig darauf ab, den amerikanischen Dollar als wichtigste Reservewährung der Welt durch eine neue supranationale Reservewährung abzulösen. So sollen die Schwächen der gegenwärtigen Währungsordnung überwunden werden, und zwar im Interesse der Weltgemeinschaft - nicht nur der Chinesen.

 Rolle der Sonderziehungsrechte soll ausgebaut werden

Als ersten Schritt zur Schaffung einer derartigen supranationalen Reservewährung fordert Zhou Xiaochuan, die Rolle der Sonderziehungsrechte (SZR) des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu stärken.

In seiner Analyse führt Zhou die aktuelle Krise auf „Verwundbarkeiten" des derzeitigen Weltwährungssystems zurück. Um die Waren- und Finanzmärkte robuster gegen Verwerfungen zu machen, solle eine internationale Reservewährung geschaffen werden, die von einzelnen nationalen Währungen unabhängig sei. Ohne ihn ausdrücklich zu erwähnen, kritisierte Zhou damit die Rolle des amerikanischen Dollar, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Weltleitwährung dient.

Nach den Vorstellungen der chinesischen Zentralbank sollten die SZR künftig nicht nur zwischen Regierungen und internationalen Einrichtungen benutzt werden, sondern auch als Zahlungsmittel im Welthandel und bei Finanzgeschäften. 

Neue Reservewährung soll vom IWF verwaltet werden

Die neue Reservewährung soll laut Zhou vom Internationalen Währungsfonds (IWF) als einer unabhängigen und in der ganzen Welt respektierten Körperschaft verwaltet werden. Es sei daran zu denken, dass die Mitgliedstaaten Teile ihrer Devisenreserven dem IWF als SZR anvertrauten, schreibt der Notenbankchef. Auf diese Weise werde das Weltfinanzsystem weniger anfällig für krisenhafte Entwicklungen, wie wir sie gegenwärtig erleben.

Zunächst müsse man das System der SZR aber erweitern. Dazu gehöre zum Beispiel die Einführung von Vermögenswerten, die auf SZR lauten. Zhou begrüßte, dass der IWF die Ausgabe von entsprechenden Wertpapieren prüfe. Zwischen den Zeilen befürwortet Zhou, den chinesischen Yuan in den Währungskorb aufzunehmen.

Zhou beruft sich auf Keynes

Ohne den amerikanischen Dollar zu erwähnen, weist Zhou darauf hin, es sei historisch eine fast einmalige Situation, dass eine "kreditbasierte nationale Währung" als internationale Reservewährung diene. Denn solch ein Arrangement stürze das Land, dessen Währung als Reservewährung genutzt wird, in einen Konflikt: Damit die übrigen Länder die Reservewährung erwerben können, muss das Land, das diese Währung emittiert, im langjährigen Durchschnitt mehr Waren importieren als exportieren.

Diese eingebaute Tendenz zu Handelsdefiziten und Bedarf an ausländischem Kapital gerät aber immer wieder in Konflikt mit innenpolitischen Zielen wie Preisstabilität. Für Zhou ist dieser innere Widerspruch - in der Fachwelt als "Triffin-Dilemma" bekannt - Ursache für die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Finanzkrisen, insbesondere auch der aktuellen Wirtschaftskrise.

Konzept einer „Rohstoff-Reservewährung"

Ziel müsse es deshalb sein, eine Reservewährung zu schaffen, die nicht von kreditbasierten nationalen Währungen abhängig sei, schreibt Zhou. Genau dies habe der britische Ökonom John Maynard Keynes bereits in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts getan: "Keynes schlug vor, eine internationale Währungseinheit ,Bancor' einzuführen, die auf dem Wert von 30 repräsentativen Rohstoffen basiert. Leider fand dieser Vorschlag keine Akzeptanz." Zhou spielt damit auf die Weltwährungskonferenz im Jahre 1944 im amerikanischen Bretton Woods an: Damals hatte Keynes einen Plan für eine globale Währungsordnung vorgestellt, doch behielt John Dexter White, der Vertreter der neuen Supermacht USA, mit seinem Konzept die Oberhand: Der White-Plan rückte den Dollar, der seinerzeit an Gold gebunden war, in den Mittelpunkt des Weltwährungssystems - was die bis heute währende Vorherrschaft der amerikanischen Währung und Geldpolitik begründete.

Den "Bancor" hatte Keynes nach der einschlägigen Übersichtsliteratur als eine reine Verrechnungseinheit konzipiert, allerdings ohne sie auf „30 repräsentative Rohstoffe" zu gründen. Keynes hatte sich jedoch bereits in den dreißiger Jahren für das Konzept einer "Rohstoff-Reservewährung" erwärmt. Keynes enger Gefolgsmann Nicholas Kaldor entwickelte in den sechziger Jahren ein "Rohstoff-Reserve-Währungssystem" mit der Währungseinheit "Bancor". Das Konzept geht ursprünglich auf den amerikanischen Ökonomen Benjamin Graham zurück - der heute vor allem als Urvater der fundamentalen Wertpapieranalyse und Mentor des Starinvestors Warren Buffett bekannt ist.

 Ein Korb von 30 wichtigen Rohstoffen

Grundidee des Konzepts ist, eine Währung nicht auf einem einzigen Edelmetall wie Gold zu gründen und dadurch von mancherlei Wertschwankungen und Zufälligkeiten abhängig zu machen, sondern vielmehr auf einem Korb von 30 wichtigen und viel gehandelten Rohstoffen. Wie eine auf dem Goldstandard basierende Währung ist solch eine Waren-Reservewährung weder national noch "kreditbasiert": In ihr können die Geschäftsbanken die Menge des umlaufenden Geldes nicht durch Kreditgewährung vermehren. Und wie bei einer Goldstandard-Währung die Zentralbanken Gold halten und nach bestimmten Regeln an- und verkaufen müssen, müssen sie bei einer rohstoffbasierten Währung Rohstoffe in Lagern halten und bei Knappheit verkaufen, Überschüsse hingegen durch Ankäufe aus dem Markt nehmen.

Folgt man den Befürwortern, stabilisiert eine Waren-Reservewährung sowohl das Preisniveau als auch den Konjunkturzyklus. Kritiker monieren unter anderem, dass solch ein Währungssystem aufgrund der erforderlichen großen Rohstofflager hohe Kosten verursache. Walter Eucken, einer der Wegbereiter der sozialen Marktwirtschaft, hat den Graham-Plan recht positiv bewertet, der Geldtheoretiker Milton Friedman hat ihn zugunsten seines eigenen Konzepts verworfen.

In seinem Aufsatz fordert Zhou, dass eine Reform des Weltwährungssystems von einer "großen Vision" geleitet sein müsse. Die Schaffung einer internationalen Währungseinheit, die auf Keynes' Vorschlag basiere, sei eine "kühne Initiative, die eine außerordentliche politische Vision" erfordere. Die "Wiedereinführung" einer neuen und allgemein akzeptierten Reservewährung könne aber lange dauern, räumt Zhou ein. Im weiteren Verlauf seines Aufsatzes geht er nicht mehr auf eine rohstoffbasierte Währung ein, sondern fordert vielmehr als kurzfristige Maßnahme, den Sonderziehungsrechten (SZR) des Internationalen Währungsfonds eine größere Rolle als bisher beizumessen: "Die Sonderziehungsrechte haben die Eigenschaften und das Potential, als eine supranationale Reservewährung zu fungieren", schreibt Zhou weiter. Die chinesische Strategie scheint somit darin zu bestehen, zunächst einmal die Rolle der Sonderziehungsrechte zu stärken und längerfristig an der Schaffung einer Waren-Reservewährung zu arbeiten.

Der Londoner Weltwährungsgipfel vom März 2009 war jedoch weder „kühnen Initiativen" und „großen Visionen", noch auch nur kleinen Reparaturmaßnahmen gewogen: ausdrücklich wurde im Schlusskommuniqué des Gipfeltreffens festgehalten, dass der US-Dollar als Leitwährung unverzichtbar sei.

 
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