18-06-2009 Beijing Rundschau
Qing Guangya: Man muss die Hochschulbildung reformieren

Der Pädagoge Qing Guangya ist der Gründer der ersten Privatschule auf dem chinesischen Festland. Im Jahr 1992 hat er seine Tätigkeit als Fernsehregisseur aufgegeben, um die nach ihm benannte Schule in der südwestchinesischen Stadt Dujiangyan ins Leben zu rufen. Seine Absicht: seinem 6jährigen Sohn eine gute Ausbildung zu garantieren. Von den 160 Kindern, die gemeinsam mit seinem Sohn die Schule besuchten, sind acht Schüler von ausländischen Universitäten aufgenommen worden, vier von ihnen, darunter sein Sohn, haben ein Stipendium erhalten. 2007 wurden alle 31 Absolventen der Klasse „IB International" von weltbekannten Universitäten aufgenommen.

 

Nanfang Weekend: Was sagen Sie dazu, dass 840 000 Mittelschulabgänger dieses Jahr auf die Teilnahme an der Gaokao verzichtet haben?

 Qing Guangya: Ich finde erstaunlich, dass dies erst im Jahr 2009 passiert ist! In China sind mittlerweile 40 Prozent aller Universitätsabgänger arbeitslos. Wenn in westlichen Ländern die Arbeitslosenrate bei Jungakademikern  acht Prozent erreicht, sind die Regierungen in Alarmstimmung versetzt, das wird als eine Katastrophe empfunden wie sonst nur Erdbeben und Wirbelstürme. Diese hohe Rate bedeutet, dass die Hochschulbildung in China in der Krise steckt. In den Augen ihrer potentiellen Arbeitgeber sind die Hochschulabsolventen nicht ausreichend qualifiziert für das Berufsleben. Warum sollte sich überhaupt noch ein Absolvent der Mittelschule einer so schweren Prüfung unterziehen, wenn die Universitäten nicht in der Lage sind, die von der Gesellschaft ja durchaus benötigten Köpfe heranzubilden?

Manch einer ist der Meinung, dass dieses Phänomen sogar eine positive Seite hat: so wird die Überlastung der Universitäten reduziert. Das ist eine ganz seltsame Idee! Denn die Zahl der Studenten, die von den Hochschulen jedes Jahr aufgenommen werden, ist von vorneherein festgelegt. Selbst wenn alle, die sich einer Gaokao unterziehen, einen Studienplatz erhalten würden, könnten dennoch nicht alle von ihnen am Ende des Studiums auch einen Arbeitsplatz erhalten.

 

Nanfang Weekend: Was sind Ihrer Meinung nach die Probleme der Hochschulausbildung in China?

Qing: Die Probleme liegen in der Entlassung der Hochschulen aus der Verantwortung für ihre Studienabsolventen und im niedrigen Niveau der Unterrichtsinhalte. Das Studium verliert an Wert, weil die Qualität der Lehre gering ist. Seit 1997 brauchen die Hochschulen nicht mehr Sorge dafür zu tragen, dass ihren Absolventen ein Arbeitsplatz zugewiesen wird. Die Hochschulen sind zwar von dieser Art Planwirtschaft befreit worden, sie haben sich damit aber zugleich aus der Verantwortung für eine Verbesserung der Studiengänge gestohlen. Jedes Jahr gibt es genug Studenten, die Aufnahme an den Hochschulen finden. Den Professoren geht die Arbeit also nicht so schnell aus. Es gibt weder unter ihnen noch unter den Hochschulen einen Wettbewerb, Studenten durch ein herausragendes Lehrangebot anzuziehen. Es gibt keine Qualitätskontrollen hinsichtlich der Studieninhalte und dem Aufbau der akademischen Fächer. Viele Studiengänge entsprechen nicht den Anforderungen, die die Gesellschaft an Akademiker stellt. Die Studenten dieser Fächer wissen schon bei Studienbeginn, dass sie nach vier Jahren keine Arbeit finden werden.  

 

Nanfang Weekend: Das Gaokao-System wird schon mit den elitären Beamtenprüfungen der Kaiserzeit verglichen. Wie sehen Sie das?

 Qing: Die Beamtenprüfungen der Kaiserzeit waren doch völlig in Ordnung! Das Ziel des Systems war ganz klar und richtig, nämlich durch Prüfungen talentierten Nachwuchs für die Beamtenschaft auszuwählen. Durch den achtfüßigen Aufsatz, also eine in vorgegebenem Stil verfasste Abhandlung, wurde im Rahmen des feudalen Systems einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft Verwaltungspersonal rekrutiert. Das kaiserliche Prüfungssystem wurden seinem Zweck vollkommen gerecht.

 

Nanfang Weekend: Der Direktor des Prüfungszentrums beim Bildungsministerium, Dai Jiagan, erklärt die Richtung, welche eine Reform der Gaokao einschlagen soll: die Prüfung soll den Bildungsgrad und die Leistungsfähigkeit des Kandidaten feststellen und Aufschluss geben über die Qualität des Prüfungssystems, wie es heute an den Schulen praktiziert wird. Teilen Sie diese Aufgabenzuweisung?

Qing: Die Reform geht nicht auf den Kern des Problems ein. Nicht weil die Gaokao schlecht wäre, nehmen Mittelschulabgänger nicht an ihr teil. Der Grund ist doch ein ganz anderer: selbst wenn sie die Prüfung bestanden haben und an die Uni kommen, können sie nach dem Ende ihres Studiums doch keinen Job finden. Studieren scheint ihnen nutzlos. Man muss daher eher die Hochschulausbildung reformieren.

 Natürlich muss das Prüfungssystem auch reformiert werden. Bildung ist in China vollkommen auf Prüfungen ausgerichtet. Was nicht Gegenstand der Prüfung ist, wird an Chinas Schulen nicht gelehrt. Die Gaokao beinhaltet keine Sport-, Kunst- und Ethikprüfungen. Es gibt keinen folgenrichtigen, an den Erkenntnissen der Pädagogik orientierten Aufbau der Grund- und Mittelschulbildung. Die Entwicklung der Persönlichkeit des Schülers und seine eigenen Interessen werden komplett vernachlässigt.

 

Nanfang Weekend: Welche Alternativen gibt es für jemanden, der nicht an der Gaokao teilnimmt?

Qing: Die Schüler können sich um einen Studienplatz an einer ausländischen Universität bewerben. Der internationale Bildungsmarkt ist hundertmal größer als der inländische Markt. In den abgelegenen Gebieten mit schlechten Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sollten die Schüler am besten gar nicht erst an der Gaokao teilnehmen, sondern gleich arbeiten gehen. Denn für sie sind die Chancen, die Prüfung zu bestehen, sehr gering. Selbst wenn ihnen die Aufnahme an die Uni gelänge, könnten sie sich doch nur unter großen Mühen die Studiengebühren zusammensparen.

 

Nanfang Weekend: Wird dies nicht neue gesellschaftliche Probleme schaffen?

Qing: Die Gesellschaft selbst ist eine Universität. Sich in die Gesellschaft einzubringen, sie mitzugestalten ist auch eine Lernmethode, das hat schon er russische Schriftsteller Maxim Gorki gesagt.

 

 
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