05-12-2008 Beijing Rundschau Wem nützen Mindestlöhne? von Matthias Mersch
Eine der Ursachen für den Niedergang der Macht der Gewerkschaften ist die Aufmerksamkeit, die sie der Wahrung der Besitzstände langjähriger Mitglieder zuwandte. Dabei wurde in Kauf genommen, dass die legitimen Interessen junger Berufseinsteiger keine Vertretung mehr fanden, denn eine Berücksichtigung des Nachwuchses hätte dem hoch entwickelten Anspruchsdenken der etablierten Mitglieder widersprochen. Durch dieses kurzsichtige Handeln wurde mittelfristig aber auch die Position der alteingesessenen Nutznießer der Gewerkschaftsarbeit unterminiert und die Gewerkschaften insgesamt geschwächt. Mindestlohn ist nicht gleich Mindestlohn Bei der Diskussion um den Mindestlohn erweist sich ein länderübergreifender Blick als nützlich. Innerhalb der Europäischen Union variiert nicht nur die gesetzlich festgesetzte Höhe des Mindestlohns, sondern auch der Prozentsatz der jeweils arbeitstätigen Bevölkerung, die von ihm betroffen ist. In Bulgarien beträgt der Mindeststundenlohn 0,65 EUR, der niedrigste Wert in der EU. In Luxemburg wird am meisten gezahlt: 9,30 EUR. Immerhin 14,59 Prozent der in Vollzeit berufstätigen Bulgaren sind Empfänger von Mindestlöhnen ( lediglich Frankreich verzeichnet mit 15,10 Prozent einen höheren Anteil), in Luxemburg sind es 11 Prozent. Den geringsten Anteil an Mindestlohnempfängern hat Spanien mit lediglich 0,96 Prozent. In den meisten EU-Staaten bewegen sich die Ziffern im einstelligen Prozentbereich. Ein Mindestlohn trägt dazu bei, soziale Standards zu schaffen und hat damit eine Signalfunktion. Er soll dazu beitragen, dass Arbeitnehmern ein Mindestmaß an Teilnahme am Konsum ermöglicht wird. In der Regel wird er aber nicht so hoch bemessen sein, dass der Empfänger gänzlich auf staatliche Unterstützungsleistungen wird verzichten können. In diesem Zusammenhang ist der Begriff des Kombilohns aufgekommen: die Arbeitgeber sollen von der Zahlung eines Mindestlohns verschont bleiben, der Staat kommt für den Differenzbetrag auf, so dass der Arbeitnehmer insgesamt nicht schlechter gestellt erscheint. Bis zu dem Moment, da er das Rentenalter erreicht: vor Armut im Alter ist er nicht geschützt, da die Höhe seiner Beiträge zur Rentenversicherung von der Höhe seines Nettolohns abhängig ist. Der fromme Glaube der Liberalen, die Gesetze des freien Marktes seien anwendbar auch auf den Arbeitsmarkt, stößt spätestens hier an seine Grenzen: tatsächlich ist nämlich die Verweigerung eines Mindestlohns und die daraus folgende Einführung eines Kombilohns eine Subvention für die Unternehmer und damit ein Eingriff in das freie Spiel des Marktes. Mittelständische Betriebe sind in Deutschland übrigens durchaus für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Die Frage, ob ein gesetzlich für alle Branchen festgelegter Mindestlohn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung fördert oder behindert, ist bislang im Streit der Meinungen nicht eindeutig beantwortet worden. Vor allem interessiert eine Antwort auf die Frage, ob der Arbeitsmarkt durch Mindestlöhne belastet oder entlastet wird. Fazit: Wirtschaften im Boom, wie in den zurückliegenden Jahren die Großbritanniens und Irlands, haben sehr gute Erfahrungen mit dem Mindestlohn gemacht. Leidende Volkswirtschaften wie die Bulgariens würden wohl auch ohne Mindestlohnregelung nicht expandieren können. Spannend wird es nun angesichts weltweiter Rezession: bewahrt ein Mindestlohn die abhängig Beschäftigen davor, in die Armut abzustürzen, oder wird er sie von jeglichem Lohnempfang ausschließen und damit nachhaltig schädigen? Der Beweis in der Praxis steht dafür noch aus.
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