16-06-2008 Beijing Rundschau Fußspuren am Jangste von Matthias Mersch
![]() 1911 reisten Max Friedrich Weiss und seine Frau Hedwig Margarete Weiss-Sonnenburg den Jangtse hinauf und dann nach Chengdu. Der fließend Chinesisch sprechende Diplomat wurde dort Konsul des Deutschen Reiches. Rund neunzig Jahre später folgte Tamara Wyss den Spuren ihrer Großeltern und drehte einen Dokumentarfilm über ihre Suche nach Orten aus alter Zeit. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Deutschland und China - Gemeinsam in Bewegung" waren jetzt in Chongqing die Fotografien der Großeltern und der Film der Enkeltochter zu sehen. Die Beijing Rundschau hat Tamara Wyss zu China, ihrer chinabegeisterten Familie und ihrem sehenswerten Film befragt. Frau Wyss, Ihr im Jahre 2002 gedrehter Film „Die chinesischen Schuhe" spielt in Sichuan. Sie kommen jetzt gerade aus Chongqing und Chengdu zurück. Was haben Sie dort gesehen? Ich habe das Erdbeben in der Innenstadt von Chongqing erlebt. Es war spürbar, aber ich empfand es ein bisschen wie Seekrankheit, also nicht so, als ob es dramatisch geschwankt hätte. Die Leute sind auf die Straße gerannt, aber glücklicherweise sind keine Häuser eingestürzt. In der Innenstadt ist niemand verletzt worden. In Chengdu war ich während eines Nachbebens, dort haben die Hochhäuser richtig gewankt, mit einem seltsamen Geräusch. Das hat die Menschen natürlich in Schrecken versetzt und viele haben sicherheitshalber auf der Straße und in Parks übernachtet. Im Erdbebengebiet soll ein ganzes, bei Touristen sehr beliebtes Tal verschwunden sein. Man weiß nicht, wie viele Menschen dort ums Leben gekommen sind.
Im Drei-Schluchten-Museum war während der „Deutschlandpromenade" eine Ausstellung von Fotografien Ihrer Großeltern zu sehen und in laufender Vorführung Ihr Film „Die chinesischen Schuhe". Wie hat das Publikum Ausstellung und Film aufgenommen? Es war nachmittags immer sehr voll in meiner Ausstellung. Das Publikum hat die Veranstaltung sehr gut aufgenommen, ich bin jeden Tag zwei Stunden in der Ausstellung gewesen, und konnte mit vielen Menschen sehr interessante Gespräche führen.
Wie kamen Sie auf das Thema Ihres Films? Die Idee kam vor allem durch die große Menge an Fotografien, die ich beim Aufräumen des Kellers meines Vaters gefunden hatte. Leider haben wir die meisten Notizbücher meines Großvaters weggeschmissen, darüber ärgere ich mich heute noch! Das hat sich dann als sehr hinderlich erwiesen für die Zuordnung der Orte, die auf den Fotos abgebildet sind. Für die Recherche nach den Schauplätzen wären pedantische Aufzeichnungen notwendig gewesen. Mein Großvater war ein sehr genauer Mensch, das spiegelte sich auch in seinen Erinnerungen wider, während das Tagebuch meiner Großmutter mehr im Sinne von Spannung und Atmosphäre geschrieben ist. Daraus konnte ich dann gut im Film zitieren, aber für die Frage, wo sind die Fotos aufgenommen, war das Tagebuch natürlich nicht sehr tauglich. Die Orte aufzufinden, ist dann ziemlich aufwändig gewesen. Ich bin mit den Bildern am Jangtse entlanggezogen und habe gefragt, ist das hier, oder kann das dort gewesen sein?
Das fand ich an Ihrem Film besonders gut, dass Sie den Menschen am Fluss die Fotos bei der Suche nach den Orten gezeigt haben. So kamen Sie mit ihnen ins Gespräch, anstatt das zu tun, was ein Dokumentarfilmer üblicherweise macht: der englische Ausdruck „I take your picture" beschreibt das sehr gut als den Akt einer gewissen Rücksichtslosigkeit, als ein „Ablichten" und Fortgehen. Ich habe schon bei meinen ersten Reisen die Bilder gezeigt, das haben die Leute sehr geschätzt. Im Allgemeinen wird in China nicht so gerne zurückgeschaut, gleichzeitig haben die Bilder aber Erinnerungen geweckt, und dazu beigetragen, dass die Menschen über diese Erinnerungen sehr gerne gesprochen haben. Wissen Sie, die Dreharbeiten fanden ja 14 Tage vor der Flutung des Gebietes statt. Es war schon so eine Trauerstimmung da. Die offizielle Politik ist es ja, nach vorne zu gehen und zu blicken. Für das Äußern von Trauer, von Nostalgie ist da nur wenig Raum. Aber die Trauerstimmung war natürlich spürbar. Gleichzeitig war sie verbunden mit einem großen Pragmatismus, der von Person zu Person aber natürlich unterschiedlich ausgeprägt ist.
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