26-02-2008 Beijing Rundschau
Ist Beijing bereit für die olympischen Spiele?
von Matthias Mersch

Die U-Bahnlinie von Dongzhimen zum Beijinger Flughafen soll am 1. April eingeweiht werden, ein weiterer wichtiger Schritt zu einem modernen Nahverkehrssystem. Eine Hochgeschwindigkeitsstrecke für Expresszüge zwischen den beiden Olympiastädten Beijing und Tianjin ist fertig gestellt worden und befindet sich nun in der Testphase. Rechtzeitig für die Olympischen Spiele soll die rund 120 Kilometer lange Distanz bei Geschwindigkeiten bis zu 350 km/h in einer halben Stunde zurückgelegt werden können. Der Ausbau der überlasteten Autobahn, die beide Städte miteinander verbindet, auf acht Spuren soll ebenfalls bis Sommer 2008 vollendet sein.

Bewunderung, aber auch Irritation hat die Einführung eines computergesteuerten Systems zur Überwachung von Produktion und Qualität der Lebensmittel hervorgerufen, mit denen die olympischen Dörfer beliefert werden sollen: angesichts so großer Sorgfalt bei der Versorgung mit gesunder Nahrung fragen sich viele Beijinger, was ihnen denn im Alltag als Speise vorgesetzt wird. Die Furcht, dass es sich dabei um Bestände aus dem Fundus der ein Prozent nicht einwandfreier Lebensmittel handeln könnte, von denen letztes Jahr Chinas oberster Verbraucherschützer Li Changjiang gesprochen hat, ist groß. Das Hervorkehren fortschrittlicher Technologie zeigt auch hier nur umso deutlicher die Alltagsprobleme auf, unter denen die Bürger der Stadt zu leiden haben. Das spricht keinesfalls gegen die Einrichtung eines leistungsfähigen Monitoring-Systems, sondern für die Notwendigkeit, breitere Bevölkerungskreise in dessen Genuss kommen zu lassen.

Jahrelang wurde die Abwesenheit von entzifferbaren Schildern in verständlichem Englisch im Stadtgebiet von Beijing beklagt. Die Situation hat sich inzwischen erheblich verbessert. Verkehrsschilder, Hinweise in öffentlichen Verkehrsmitteln und zweisprachige Tafeln an öffentlichen Gebäuden zeichnen sich heute durch einen korrekten Gebrauch des Englischen aus, das berüchtigte „Chinglish" ist auf dem Rückzug. Zu verdanken ist das vor allem dem Organization Committee of Beijing Speaks Foreign Languages Program (BSFLP) und dessen ehrenamtlich tätigem, schon lange in Beijing ansässigen 65-jährigen amerikanischen Berater David Tool. Der Universitätslehrer hilft der BSFLP seit 2002 bei der Aufspürung und Vermeidung sprachlicher Schnitzer und ist dabei überaus erfolgreich. Derzeit arbeitet er an einem Standard für Beijinger Speisekarten. In Restaurants aller Kategorien sind mittlerweile bebilderte zweisprachige Speisekarten verbreitet. Neben der Präsentation von Gerichten in Vitrinen nach japanischem Vorbild sind diese Bilderbücher eine große Hilfe: es dürfte dem Olympiatouristen also schwer fallen, nicht das gewünschte Gericht vorgesetzt zu bekommen. Die kulinarischen Wünsche werden unverfälscht den Weg in die Küchen finden, was eine hohe Kundenzufriedenheit garantiert.

Auf Plakaten wird den Städtern derzeit ein Crashkurs in zeitgemäßen Umgangsformen vermittelt: „10 Gebote - 10 Verbote". Einer positiven Aufforderung wird jeweils gegenübergestellt, was tunlichst zu unterlassen sei. „Schütze die olympischen Symbole", was bedeutet, sie nicht zu fälschen. „Stell Dich ordentlich in der Schlange an"; das Pendant dazu: „drängle Dich nicht vor". Dem Gebot „Schütze die Umwelt" entspricht das Verbot auf die Straße zu spucken und Verkaufsstände aufzuschlagen, Mit „Respektiere die Sportstadien" ist gemeint „nicht in ihnen zu raufen". Über die erfolgreiche Implementierung dieses Regelwerks ist noch nichts bekannt. Man wird sich überraschen lassen.

Seinen liebeswerten Kern unter einer rauen Schale zu verbergen, das gelingt dem Beijinger mindestens so gut wie einem anderen Hauptstädter, der ihm städtepartnerschaftlich verbunden ist: dem Berliner. Auch dessen Vorbehalte gegenüber Ortsfremden aus dem In- und Ausland sind beträchtlich. Rührend um das Wohlergehen von Hilfe suchenden Touristen besorgt sind in Beijing hingegen schon heute die freiwilligen Olympiahelfer – oft Studenten aus der Provinz. Auf Freundlichkeit und Kompetenz dieses großen Heeres motivierter und gut vorbereiteter Helfer wird sich der Fremde in Beijing verlassen können. Der Eindruck der Olympiagäste wird in dieser Hinsicht sicherlich sehr vorteilhaft sein.

Olympische Spiele scheinen vor allem auf lange Sicht die Stimmung zu heben: der typische Münchner „Grantler", der misslaunige Prototyp des Bürgers der bayerischen Hauptstadt, ist eine aussterbende Spezies. Seinem Biotop wurde durch die Olympischen Spiele 1972 ein entscheidender Schlag versetzt: in den Folgejahren galt es nämlich, das Image einer „Weltstadt mit Herz" zu pflegen, der Übellaunigkeit schlecht zu Gesicht steht und heute tatsächlich viel seltener anzutreffen ist. Hoffen wir also auch in Beijing auf einen Langzeiteffekt: im Jahr 2045, zu meinem 85. Geburtstag, wird man die netten und rücksichtsvollen Menschen der Olympiawerbefilme flächendeckend in einer reinen Umwelt im Beijinger Stadtgebiet antreffen, ganz in Erfüllung des munteren Mottos aus dem Jahre 2008: „One World – One Dream".

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