26-11-2009 Beijing Rundschau
Ökonomie und Herdentrieb
von Matthias Mersch

Im letzten Jahr hatten wir eine enorme Steigerung der Energiepreise. Dies hing auch damit zusammen, dass es Spekulationen über das Ende der Energievorräte gab. Hier zeigt sich die positive Funktion von Spekulationen: sie lassen einen nicht warten bis zum letzten Tag, bis die Vorräte wirklich aufgebraucht sind. Die Preise müssen schon vorher steigen, damit das Problembewusstsein wächst. Wenn die Märkte so funktionieren, dann marschieren auch die Unternehmen mit. Weil sie dann rechtzeitig in neue Formen der Energiegewinnung investieren. Dann sind auch andere, erneuerbare Energien tragkräftig. Nur ist es sehr selten, dass der Markt so lange im voraus reagiert. Auch weil wir die Spekulanten gelegentlich zu arg verteufeln. Politik kann vorausgreifen, wenn sie weiß, wo die großen Probleme liegen. Das Problem ist nur, dass auch die Politik in der Regel nicht weiß, wo die großen Probleme liegen! Und wenn sie es weiß, ist sie oft unwillig, sie gezielt anzugehen. Nehmen wir die demographische Herausforderung, die in Deutschland erst in den nächsten fünf bis zehn Jahren massiv zum Eindruck kommen wird. Diese Frage wird bis heute ignoriert, obwohl wir sie schon vor zwanzig Jahren in unserem Institut analysiert haben.

 

Sind Sie als Ökonom nicht eher in der Rolle des Bremsers? Sie haben zwar Ihre Prognoseinstrumente, aber diese beruhen auf Daten, die Sie in der Vergangenheit erhoben haben. Führt das nicht automatisch zu einer konservativen Betrachtung?

Die Wissenschaftler, auch die Klimaforscher, tun das, was sie tun können: sie zeigen mögliche Probleme auf. Ich stehe als Wirtschaftswissenschaftler eher in der Mitte, ich sage, wir müssen damit rechnen, dass es sich so und so verhält. Deswegen sollten wir unsere Systeme so aufbauen, dass sie auf das jeweilige Problem adaptiv über Marktmechanismen reagieren. Es mag ja falsch sein, dass die fossilen Brennstoffe in den nächsten Jahren erschöpft sind. Wir wissen es schlicht nicht. Es wäre gut, wenn wir Systeme erfänden, die dafür sorgten, dass die Preise möglichst vorher steigen, damit wir uns rechtzeitig umstellen können. So verhält es sich auch mit dem Klimawandel, deswegen sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Zumal ich ohnehin nicht glaube, dass sich das Klimaziel politisch leicht realisieren lässt. Es gibt immer noch Klimaforscher, die sich distanzieren vom Katastrophenszenario.

 

In der einen oder anderen Form wird jede Energieart subventioniert, einschließlich der Atomenergie. Wenn schon subventioniert wird, welche Subventionen wären wofür sinnvoll?

Gute Subventionen sind immer die, die man selbst erhält! Wenn der Markt es alleine regeln kann, soll man ihn in Ruhe lassen. In vielen Fällen entdeckt der Markt aber zu spät ein lohnendes Zukunftsprojekt. Dann muss man eingreifen. Man sollte ein marktwirtschaftliches System erfinden, dass möglichst dafür sorgt, dass der Mechanismus funktioniert.

 

Inwiefern ist staatliche Steuerung die Ursache für die seit zwanzig Jahren fortdauernde Krise der japanischen Wirtschaft?

Wenn man eine Wirtschaft aus der Steinzeit hinausführen möchte, mit einem gezielten Programm, braucht man Steuerung. Wahrscheinlich braucht man dann das japanische beziehungsweise chinesische Modell. Man muss es dann aber lassen, wenn man aus der Steinzeit draußen ist. Die Japaner haben vielleicht gedacht, man kann das ewig so weitermachen. Wenn ich weiß, ich muss in diese Richtung laufen, um die Wirtschaft zu entwickeln, dann kann man es auch erzwingen von oben. Aber bis ins Detail Marktprozesse ersetzen zu wollen, ist sehr gefährlich. Ich glaube, dass die Krise teils auch darin ihre Wurzeln hat. Das Modell hat sich für Japan vor zwanzig Jahren überlebt gehabt, und das Modell wird sich auch in China überleben. Nicht die Exportorientierung der Wirtschaft, aber das Modell staatlicher Förderung und Lenkung. Diese Art Planwirtschaft ist gut, wenn es ums Aufholen geht, und hat Japan und China ja auch vorangebracht. In China hat man riesige Fortschritte in einzelnen Regionen gemacht, gleichzeitig aber auch riesige Probleme geschaffen. Da wird es einen Wandel geben müssen.

 

Noch immer scheint die Ökonomie auf Wirtschaftswachstum fixiert zu sein. Glauben Sie, dass ewiges Wachstum auch für Industrieländer noch die unverzichtbare Voraussetzung für Wohlstand ist?

Wir haben ja auch eine Produktivitätssteigerung. Wir wollen Dinge besser machen. Daher brauchen wir die Möglichkeit, mehr zahlen zu können, deshalb brauchen wir Wachstum. Dabei wird es immer schwerer zu messen, was Wachstum ist. Wenn es um Maschinen geht, kann ich das noch gut kalkulieren, oder auch bei Bananen, also im Bereich von Handel und Produktion. Bei Dienstleistungen wird es schon schwieriger, insbesondere wenn mehr Marktanteile errungen werden. Wir haben festgestellt, dass die Wirtschaft Berlins immer weiter zurückfällt im Bundesvergleich. Die Beschäftigungslage ist dort aber relativ günstig, was eigentlich gar nicht sein kann. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass man den Output über die Dienstleistungen gar nicht richtig misst, den Wert der erbrachten Dienstleistungen also nicht richtig veranschlagt. Es gibt ja immer komplexere Dienstleistungen, die oft über das Internet generiert werden. Mit unseren vorhandenen üblichen Instrumentarien können wir die nicht erfassen. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass wir nur dann weiterhin Vollbeschäftigung anstreben können, wenn wir Wachstum grundsätzlich zulassen. Wachstum ist etwas Neutrales. Wachstum kann ja auch qualitatives Wachstum sein, es kann zur Schonung der Umwelt beitragen. Dienstleistungen sind ja normalerweise schon wenig umweltbelastend.

 

Im jüngst vergangenen Bundestagswahlkampf spielten Wirtschaftsthemen eine erstaunlich geringe Rolle. Verliert die Wirtschaft ihre zentrale Bedeutung für die Wahlentscheidung des Bürgers?

Die wirtschaftliche Lage ist zwar schlecht, wird aber von der Bevölkerung nicht so erfahren. Die gesamte Krise schneidet dieses Jahr heftig ein, wir haben auch eine deutliche Schrumpfung der Wirtschaft. Aber volkswirtschaftlich schlägt sie sich nieder im Vermögenskonto, wo die Profite der Unternehmen abgebildet sind und die Gewinne der Vermögensbesitzer. Der Anteil der Arbeitseinkommen ist ziemlich stabil. Hinzu kommt, dass die Inflation praktisch Null ist. Keiner ist arbeitslos, die Arbeitslosigkeit geht zurück; so lang dies so bleibt, wer sollte sich aufregen? Die Unternehmer? Ein Teil ist in der Konsumgüterindustrie aktiv. Unternehmer in den exportorientierten Branchen, die es getroffen hat, die wissen, dass es nicht die Regierung ist, die ihnen Schwierigkeiten macht. Das kam von außen. Dass wir aus meiner Sicht eigentlich zuviel Konjunkturpakete geschnürt haben, aus einer Vorsichtshaltung heraus, dient der Suggestion, man habe etwas unternommen. Wir haben zum Beispiel Autos kaputt gemacht. CDU und FDP sagen, wir senken die Steuern, die Wähler sagen, das glauben wir nicht, aber wir wählen euch doch! Es ist eine recht interessante Stimmungslage in Deutschland im Moment.

 

Warum ist es in der Wirtschaftskrise zur Abwrackprämie als Konjunkturmaßnahme gekommen?

Aus mehreren Gründen: Weil man nicht so recht wusste, wofür man das Geld rasch ausgeben könnte. Irgendwohin musste Geld fließen. Obwohl der Konsum in Deutschland kein Problem war. Man konnte diesen Geldfluss verbinden mit dem Versuch, einer Strukturkrise zu begegnen. Die Automobilbranche steckte in einer weltweit selbst verschuldeten Krise, nicht in einer Finanzmarktkrise. Damit diese für Deutschland sehr wichtige Branche erst einmal Ruhe gibt, hat man die Abwrackprämie geschaffen und damit u.a. vermieden, Opel direkt Geld zu geben. Welches Unternehmen aber hat davon am meisten profitiert? Volkswagen, denn die haben den größten Absatz auf dem heimischen Markt, aber auch zuvor keinerlei Absatzprobleme gehabt. Gut an der Aktion war, dass es keine Beschränkung auf deutsche Produkte gab. Die Grenzen zu schließen und nur selbst kräftig zu konsumieren, das wird uns ins Unglück führen.

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