04-07-2014
International
Chinesisch-russische Beziehungen: Ein „neuer Osten“?
von An Gang

Der Druck der USA und die nachlassende Bedeutung des Westens lassen die Beziehungen zwischen China und Russland enger werden.

 

Mächtiges Paar: Chinas Staatspräsident Xi Jinping (li.) bei einer Willkommenszeremonie für Russlands Präsident Wladimir Putin vor ihren Gesprächen in Shanghai am 20. Mai (Lan Hongguang)

Als China und Russland nach zehnjährigen Verhandlungen im Mai endlich über den lange angestrebten Gasdeal einig wurden, hieß es in vielen westlichen Medien, dass ein „neuer Osten" entstehe.

Am 21. Mai wurde der Gasdeal sowie ein Memorandum im Beisein von Chinas Staatspräsident Xi Jinping und Russlands Staatschef  Wladimir Putin am Rande des vierten Gipfeltreffens der Konferenz für Interaktion und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien in Shanghai unterzeichnet. Laut Vertrag wird Russland China ab 2018 jedes Jahr 38 Milliarden Kubikmeter Gas aus einer neuen östlichen Pipeline liefern. Der Vertrag läuft über 30 Jahre und hat einen Gesamtwert von 400 Milliarden Dollar.

Im Mai reiste Putin erstmals nach Xis Übernahme des Präsidentenamts nach China. Insgesamt war es bereits das siebte Treffen beider Politiker innerhalb von 15 Monaten. Xi wählte im März 2013 Russland als erste Station seines ersten Auslandsbesuchs als Staatsoberhaupt. Diese Reise wurde allgemein als Signal dafür gesehen, dass China sich außenpolitisch nicht mehr nur vorwiegend im ostpazifischen Raum engagiert, sondern nun dem westpazifischen Raum die gleiche Aufmerksamkeit schenkt. Nach mehr als einem Jahr intensiver Gespräche haben China und Russland eine neue Phase in ihrer umfassenden strategischen Partnerschaft eingeleitet. Beide Länder sind außerdem eine umfassende Energiekooperation eingegangen.

 

US-Offensiven

Der gigantische Gasdeal wird in der Tat für Russland den Druck durch die westlichen Sanktionen mindern. Seit dem Beginn der Ukraine-Krise im Februar haben sich die Beziehungen zwischen Russland, den USA und Europa in vielerlei Hinsicht verschlechtert. Das geopolitische Taktieren Europas scheint ein Spiegel einer Krise wie nach dem Kalten Krieg zu sein. Obwohl Washington absolut unvorbereitet auf Russlands Annexion der Krim war, wird es wahrscheinlich nicht so schnell nachgeben. Mit Hilfe seiner europäischen Verbündeten verstärkte es die Sanktionen gegen Moskau und bereitet ein langfristiges Programm zur Reduzierung der großen Abhängigkeit der Ukraine und anderer europäischer Länder von russischem Gas vor.

Die Anführer der G7-Staaten boykottierten außerdem den in Sotschi geplanten G8-Gipfel und schlossen Russland zur Strafe aus der G8 aus, so dass letztere wieder ihren Stand von 2002 erreichte. Anfang Juni trafen sich westliche Staatsoberhäupter ohne Putin zu einem zweitägigen G7-Gipfel in Brüssel. Russlands Präsident nahm die Brüskierung allerdings gelassen hin und erklärte öffentlich, dass der Druck aus dem Westen dazu führe, dass sich Russland verstärkt dem Osten zuwende und eine engere Kooperation mit China diplomatische Priorität habe.

Misstrauisch haben Chinas außenpolitische Experten in den letzten drei Jahren Präsident Barack Obamas „neue Asienstrategie"  beäugt. Sie hoffen nun, dass die Spannungen in Europa dazu führen, dass sich die USA wieder auf diese Region konzentrieren unddendurch zahlreiche Uneinigkeiten und Reibereien überbeanspruchten chinesisch-amerikanischen Beziehungen etwas Raum zur Erholung bleibt. Dennoch gibt es in Obamas Regierung anscheinend keine Anzeichen für einen langsameren Marsch nach Osten.

In einer aktuellen Ansprache bekräftigte Obama noch einmal deutlich seine Haltung zur Asienstrategie. Gleichzeitig sind die USA direkter in die chinesischen Seestreitigkeiten mit Japan, den Philippinen und Vietnam involviert. Die US-Regierung hat ihr China-Bashing sogar noch verstärkt und das Reich der Mitte beschuldigt, die Muskeln spielen zu lassen, sein Territorium erweitern und den Status quo in Ostasien verändern zu wollen. Washington erklärte, dass es sich nicht zurücklehnen und zusehen wolle, das Militär sei bestens vorbereitet.

Chinesische Wissenschaftler interpretieren Obamas Taktik der „Doppeloffensive" als Kurzschlussreaktion auf die rasanten Veränderungen in der internationalen politischen Landschaft, als Versuch, innenpolitische Spannungen durch aggressives Verhalten zukaschieren.Ziel der US-Regierung sei es, ihren Status als einzige Supermacht aufrechtzuerhalten. Zunehmend betrachten die USA China und nicht Russland als Hauptkonkurrenten dabei. Während sie besorgt den Aufstieg Chinas beobachten, müssen sie gleichzeitig akzeptieren, dass Russland, eine traditionelle Supermacht, seine alte Position der weltweiten Stärke wieder einnimmt.

In den rund 20 Jahren seit Ende des Kalten Krieges handelten die USA als Sieger, sie versuchten, dass Sicherheitsvakuum in Europa zu füllen und drängten in den geostrategischen Raum Russlands vor. Dieses Vorgehen provozierte am Ende jedoch eine starke russische Gegenreaktion. Angesichts des Konflikts zwischen Russland und Georgien im Jahr 2008, der Syrienkrise im Jahr 2011 und der aktuellen Krise in der Ukraine zeigte sich Moskau entschlossen, die NATO daran zu hindern, den Dnepr zu überqueren. Putins Russland ist aus dem Wunschtraum der Jelzin-Ära, sich dem Westen anzuschließen, erwacht und wird sich nicht länger dem Westen unterordnen. Russland strebt danach, seinen Status als Supermacht, die gleichberechtigt mit dem Westen interagiert, sowie seinen internationalen Einfluss wiederzuerlangen.

Für den gegenwärtigen Bewohner des Weißen Hauses bleibt das Innenleben Putins rätselhaft, daher kommt es zu taktischen Fehlurteilen Washingtons bei Auseinandersetzungen mit Russland. Der Ausschluss Russlands aus der G8 durch die von den USA angeführten westlichen Staaten war ein politisches Signal, das angemessenen Spielraum lässt und eine Warnung für Moskau ist, bei der Ukraine-Krise nicht zu weit zu gehen und Gespräche mit dem Westen zu beginnen, um die Grenze zwischen der Nato und Russland zu markieren. Dieser Schritt kann Russland jedoch nicht wirklich abschrecken, sondern ist lediglich ein weiterer Beweis für den allgemeinen Niedergang des Westens. Putin versucht nun, die Angst der internationalen Gemeinschaft vor einer Aufteilung der Ukraine zu mindern - nur nicht unter dem Kommando des Westens.

Mit dem kollektiven Aufstieg der Schwellenländer ist der globale Anteil des BPI der G7 von seinem Höchstwert von 70 Prozent auf weniger als 50 Prozent gefallen. Die Ära der westlichen Dominanz ist für immer vorbei. Obwohl Russland seine Mitgliedschaft in der G8 verloren hat, die ihm erlaubte, eine besondere Rolle als Brücke zwischen Schwellenländern und dem Westen zu spielen, kann es immer noch Einfluss durch internationale Organisationen wie die BRICS, die G20, den Commonwealth of Independent States, die Eurasische Union, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und seine Partnerschaft mit China ausüben.

 

Dreiecksbeziehung zwischen China, Russland und den USA

Auf der Suche nach Hinweisen für Veränderungen im Machtgleichgewicht schauen Beobachter ganz genau und mit großem Interesse auf die komplexen Interaktionen zwischen China, Russland und den USA. Falls ein neues Machtmuster entsteht, werden diese drei Länder mit Sicherheit im Mittelpunkt des Geschehens stehen.

Die Dreiecksbeziehungen zwischen China, Russland und den USA entwickeln sich  zur strategisch wichtigsten Beziehung der Welt. Sie bilden außerdem den Rahmen für die Beziehungen zwischen Supermächten in einer multipolaren Welt. Die Beziehungen sind durch ein dreiseitiges Gleichgewicht der Kräfte charakterisiert. Die drei Partner formen allerdings kein gleichseitiges Dreieck. In strategischer und militärischer Hinsicht sind Russland und die USA große Atommächte und Militärgiganten, während China nur über ein kleines Atomwaffenarsenal und relativ einfache Waffensysteme verfügt. In wirtschaftlicher Hinsicht sind die USA und China führende Weltmächte, während Russland nur eine Nebenrolle spielt.

Während des Kalten Krieges fiel China durch das Raster der beiden Supermächte und beschloss am Ende, sich den USA anzunähern. China kann jetzt nicht mehr die Rivalitäten zwischen den beiden gegnerischen Lagern ausnutzen, aber es ist in der Lage, aktiv konkurrierende Interessen zu nutzen und so das Machtgleichgewicht zu beeinflussen.

Weder China noch Russland wollen, dass die Welt von einer einzigen Supermacht beherrscht wird. Sie hoffen, ihre Position gegenüber den USA zu stärken, indem sie ihre Zusammenarbeit vertiefen. Das ist der Hauptgrund, warum sich China und Russland stärker annähern. Beide Länder haben nicht die Absicht, es auf eine „Alles-oder-Nichts-Konfrontation" mit den USA anzulegen. Ein „neuer Osten" ist vielleicht schon entstanden, aber eine „Chinesisch-Russische Allianz" mit den USA als Gegner ist ein Hirngespinst von Panikmachern.

Auf dem Höhepunkt der Krise in der Ukraine widersetzte sich China trotz seiner Sympathie für ein Russland im Belagerungszustand der Annexion der Krim, weil sie gegen internationales Recht verstößt. Daher enthielt sich China beim UN-Votum der Stimme. Als der „Schokoladenkönig" Petro Poroshenko im Mai die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine gewann, schickte Xi kurz darauf seine Glückwünsche.

Die USA kämpfen immer noch mit den Auswirkungen der globalen Finanzkrise und zahlreichen Kriegen. Sie können sich einen neuen „Kalten Krieg" oder „Heißen Konflikt" nicht leisten. Seit Ende des Kalten Krieges waren die USA die aggressive Supermacht, nun sind sie im Niedergang begriffen. Eine Welt voller Herausforderungen und Konflikte ist Lebensrealität für alle Großmächte. Daher wird die Dreiecksbeziehung zwischen China, Russland und den USA am Ende zu wechselseitiger Kommunikation und friedlicher Zusammenarbeit führen.

Bei einem Seminar im Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington D.C. Anfang Juni bemerkte der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, der während des Kalten Krieges aktiv den Zusammenschluss mit China befürwortete, um Russland zu bekämpfen, dass die Zukunft der Beziehungen zwischen China, Russland und den USA davon abhänge, ob Washington und Beijing weiterhin ihre Zusammenarbeit verstärken. Die Antwort auf diese Frage werde sich auch auf die zukünftige Ausrichtung der chinesisch-russischen Beziehungen auswirken.

(Der Autor ist Kommentator bei der Beijing Review)