19-11-2010
International
Cameron in China
von Kerry Brown

Zwei Ziele hat der China-Besuch des britischen Premierministers David Cameron im November gehabt: Erstens führte Cameron eine der größten Handelsdelegationen, die ein britischer Premier jemals nach China gebracht hat. Zweitens traf er die chinesische Führung und lernte die wichtigsten Regierungsmitglieder kennen.

Kurz vor der Reise hatte Cameron in London drastische Haushaltskürzungen bekannt gegeben. Zwischen den Staatseinnahmen und -ausgaben besteht eine Kluft von zwölf Prozent, eine der größten in der EU. Im Oktober hatte die britische Regierung erklärt, dass sie die Budgets aller staatlichen Stellen um knapp zwanzig Prozent kürzen würde.

 

Wirtschaftskontakte

David Cameron und sein Außenminister William Hague haben deutlich zu verstehen gegeben, dass die britische Außenpolitik von wirtschaftlichen Interessen geleitet sein soll. Das Land ist Anfang 2010 vom sechstgrößten Exporteur der Welt auf die siebte Stelle abgerutscht. Da der Finanzsektor für die britische Wirtschaft eine sehr wichtige Rolle spielt, wurde diese von der weltweiten Krise des Jahres 2008 besonders schwer getroffen.

Die Arbeitslosenquote war damals zwar nicht, wie zunächst befürchtet, auf zehn Prozent gestiegen, doch es wird vielfach angenommen, dass sie nun in die Höhe schnellen könnte, weil die angekündigten Kürzungen die Privatwirtschaft so sehr in belasten würden, dass nicht mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu rechnen sei. Cameron muss sich daher vornehmlich auf die Förderung des Außenhandels konzentrieren. Er ist wie viele andere westliche Politiker der Meinung, dass Exporte zumindest einen Teil der wirtschaftlichen Probleme Großbritanniens auffangen können.

China, Indien, Brasilien und andere aufstrebende Wirtschaftsnationen sind die großen Hoffnungen für Wachstum und Exportchancen. China spielt als größtes Land eine zentrale Rolle. Britische Investitionen in China sind nichts Neues. Rolls Royce und Shell haben fast seit der Gründung der Volksrepublik in China investiert. In den letzten zwanzig Jahren war Großbritannien der größte Investor aus der EU. Britische Firmen haben mehr als 6000 Jointventures in China und Investitionen von fast 20 Milliarden US-Dollar. Doch wie der chinesische Handelsminister Chen Deming in einem Interview mit der BBC feststellte, sind der chinesischen Öffentlichkeit die Stärken gewisser Branchen Großbritanniens nicht bewusst, vor allem im Vergleich mit deutschen Firmen, die in China sehr geschätzt werden.

In der Delegation von Cameron sind einige große Namen vertreten: BP, Tesco und Boots. Vor allem Tesco hat sich in den letzten zehn Jahren in China fest etabliert. Tesco operiert hier unter dem Namen „Happy Shopper", und zwar nicht nur in den hoch entwickelten Küstengebieten, sondern auch in Nordostchina und nun auch in Westchina. Dies ist nicht typisch für das Engagement britischer Firmen in China. Die meisten haben florierende Niederlassungen in Beijing, Shanghai und Guangzhou, wo auch die British Chamber of Commerce operiert. In weniger bekannten Städten wie Xi'an, Kunming, Hefei oder selbst in Chongqing – wo es ein britisches Konsulat gibt – sind sie kaum vertreten. Die wirtschaftliche Aktivität der Briten in China ist außerdem auf eine Handvoll großer Firmen beschränkt; kleine und mittlere Unternehmen sehen den Sprung nach China als eine zu große Herausforderung.

Für fast alle diese Firmen ist die große Zahl an wohlhabenden chinesischen Konsumenten verlockend, doch trotz aller Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte gilt der chinesische Markt immer noch als schwierig. Der Schwerpunkt liegt in der Unterstützung von Hochtechnologie-Firmen (Wen Jiabao erklärte Cameron, dass Unternehmen sich nicht um ihr geistiges Eigentum sorgen müssten), doch in einigen Bereichen gibt es auch Überraschungen. Die Financial Times erwähnte in einem Bericht über den Besuch von Cameron eine britische Firma, die Zuchtsäue nach China exportiert; sie hat einen Vertrag im Wert von Millionen Pfund an Land gezogen und wird mehr als tausend Tiere liefern. Und Cherry Valley Farms exportiert seit fast zehn Jahren Enten und Entenprodukte nach China.

Cameron möchte durchaus, dass britische Firmen China als Markt betrachten, auf dem sie sich als Teil der Weltwirtschaft so bewegen können wie die EU oder die USA. Derzeit gehen aufgrund historischer Beziehungen, funktionierender Handelsrouten und etablierter Netzwerke 45 Prozent der britischen Exporte in die USA und 45 Prozent in die Mitgliedstaaten der EU. Es lässt sich allerdings nicht länger leugnen, dass diese Märkte schrumpfen; sie sind seit einigen Jahren gesättigt und Wachstum ist anderswo zu finden.

In Bezug auf China bleibt Großbritannien hinter den Erwartungen zurück. Das Vereinigte Königreich exportiert mehr nach Irland mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern als nach China, wo 1,3 Milliarden Menschen leben. Hier kommt auch die negative Außenhandelsbilanz ins Spiel. Obwohl diese Frage in Großbritannien lange nicht so heftig diskutiert wird wie in den USA, ist sie keinesfalls zu vernachlässigen, vor allem im Zusammenhang mit der Rolle Großbritanniens in der EU. Die EU verlangt besseren Zugang zum chinesischen Markt und mehr Chancen für europäische Firmen bei der Vergabe von Aufträgen der chinesischen Regierung.

 

Politische Kontakte

Die Rolle der EU beim Handel mit China weist auch auf den zweiten Aspekt des China-Besuches von Cameron hin: gute Beziehungen zur chinesischen Führung herzustellen. In seiner Rede vor Studenten der Peking-Universität erwähnte Cameron, dass er 1985 in Hongkong studierte. Seither hat er China mehrmals besucht, zuletzt als Oppositionsführer des britischen Parlaments. China ist ihm daher vertrauter als den meisten bisherigen britischen Premierministern, auch kenne er bereits einige hochrangige Vertreter der chinesischen Führung. Bei diesem Besuch wollte er in wichtigen Fragen seine Dialogbereitschaft zeigen und stellte klar, dass er die relativ engen Beziehungen, die unter seiner Vorgängerregierung geknüpft worden waren, weiterführen möchte.

Wie diese Beziehungen zu gestalten sind, ist keine einfache Frage für Großbritannien. In einer recht kurzen Zeitspanne – weniger als zehn Jahren – ist China von einer mittleren Wirtschaftsmacht zur zweitgrößten Wirtschaft der Welt aufgestiegen. In vielen Bereichen – Energieverbrauch, Umwelt, Weltpolitik, regionale Sicherheit und Wechselkurse – spielt China nun eine entscheidende Rolle.

Großbritannien ist auf internationaler Ebene heute eine noch kleinere Kraft als vor zwanzig Jahren. Dennoch gibt es einige Bereiche, in denen Großbritannien ein bevorzugter Partner für China sein kann. Die chinesische Führung sollte erfahren, was das Land in Sachen Umwelt-Technologietransfer und Lieferung von High-Tech-Produkten anzubieten hat. In einigen Bereichen wird Großbritannien am besten als Mitglied der EU tätig; auf anderen Gebieten eher an der Seite von Staaten wie den USA oder Australien; und bei bestimmten Belangen bieten sich bilaterale Geschäfte an.

Großbritannien könnte in einigen Bereichen auch ein Vorbild für die Reformen in China sein: zum Beispiel bei der Verkleinerung des Staatsapparats und beim Engagement von NGOs im sozialen Bereich, der ursprünglich eine staatliche Domäne war. Weitere Vorbilder für China könnten die Eindämmung der Staatsausgaben und die Stärkung der Privatwirtschaft sein, aber auch das britische Modell der Reform des Bildungs- und Gesundheitswesens.

In den letzten zehn Jahren haben Großbritannien und China auf zahlreichen Ebenen – von der Regierung über die Zivilgesellschaft bis zu Universitäten und Unternehmen – Kontakte geknüpft und Interessensgemeinschaften gebildet.

Während Cameron China besuchte, war der amerikanische Präsident Barack Obama gerade auf Staatsbesuch in Indien. Dass zwei Staatsmänner aus entwickelten Ländern gleichzeitig Asien besuchten, scheint symbolträchtig. Für beide war Handel ein wichtiges Thema bei ihren Gesprächen. Obama schloss Verträge ab, die in den USA 50 000 Arbeitsplätze schaffen sollen.

Der Besuch von Cameron in China unterstreicht die herausragende Rolle der asiatischen Länder in der heutigen Welt. Cameron sprach bei seinen Treffen in Beijing zwar nicht von einer Verschiebung der Machtverhältnisse, doch er sagte, dass es schlicht unsinnig wäre, von internationalem Handel zu reden und dabei China links liegen zu lassen.

 

Der Autor ist Mitglied der Denkfabrik Chatham House in London. Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder und nicht unbedingt die der Redaktion der Beijing Rundschau.