11-02-2009 Beijing Rundschau Rücktritt aus Rache: Glos verlässt die Bundesregierung von Matthias Mersch
Andere Völker, andere Sitten: die Form, die Michael Glos für seinen Rücktritt vom Amt des Bundeswirtschaftsministers wählte, sorgt für Irritationen. Ein Fax, das nicht etwa an Kanzlerin Angela Merkel adressiert war, sondern an den Vorsitzenden von Glos’ Partei, CSU-Chef Horst Seehofer. Es heisst darin: “Bereits vor dem großen Neuanfang in der Bayerischen Staatsregierung und an der Parteispitze hatte ich Dir angeboten, auch über mein Ministeramt disponieren zu können. Ich bitte Dich, mich von meinen Ministerpflichten zu entbinden." Glos gibt hier ganz den Parteisoldaten, der weiss, wie es um die realen Machtverhältnisse bestellt ist, weshalb er Angela Merkel erst danach und nur telefonisch von seinem Rücktrittswunsch in Kenntnis setzt. Außerhalb Deutschlands wird leicht übersehen, dass die amtierende Bundesregierung der Großen Koalition nicht nur aus zwei, sondern aus drei Parteien besteht: SPD, CDU und CSU. Es ist nicht nur ein Buchstabe, der die Christlich-Demokratische Union der Angela Merkel von der Christlich-Sozialen Union des Horst Seehofer unterscheidet. Es handelt sich um zwei selbständige Parteien. Die Besonderheit liegt darin, dass die CSU nur in Bayern antritt, bislang dort aber stets so viele Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, dass es immer zu einer Regierungsbeteiligung gereicht hat, wann immer die Bundesrepublik von einem Kanzler aus den Reihen der CDU regiert wurde. Michael Glos war der Unscheinbare im Amt des Wirtschaftsministers: von Anfang an hat er den Job nur aus Pflichtgefühl oder einem anderen Kalkül heraus wahrgenommen, nie aus Neigung. Nach der abrupten Weigerung des damaligen CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber im Jahre 2005 in die Regierung Angela Merkels einzutreten, musste der Posten mit einem CSU-Mann besetzt werden, denn so stand es im Koalitionsvertrag: der Christlich-Sozialen Union wurde das Recht zur Besetzung von drei Ministerposten zugesprochen, ohne Ansehen der Person, die Partei durfte ins Kabinett schicken, wen immer sie wollte. So erklärt sich die Rolle des CSU-Parteivorsitzenden im kleinen Kammerspiel, das Glos am Wochenende aufgeführt hat. Den Weg zur großen Bühne fand es gezielt dadurch, dass Glos sein Rücktrittsgesuch nicht nur Horst Seehofer faxte, sondern auch der Boulevardzeitung mit höchster Auflagenzahl: “Bild am Sonntag". Das Verhältnis zur Kanzlerin und zum Vorsitzenden seiner Partei war seit langem zerrüttet und es scheint, dass Glos mit Zeitpunkt und Form seines Abschieds den Gegenspielern einen letzten Streich spielen wollte: wenn schon inmitten der Weltwirtschaftskrise der Wirtschaftsminister des Wirtschaftsgiganten Deutschland nicht ernstgenommen wird, soll wenigstens sein Rückzug aus der Regierung für Wirbel sorgen. Die Rechnung ging auf und irgendwie passt es ganz gut zum Drehbuch des Abschieds, dass Glos letzte Woche seinen Fahrer mit dem Dienstwagen über den Fuß eines Polizisten fahren ließ, der den Minister bei einer Personenkontrolle nicht erkannt hatte. Die besondere Ironie dieser Geschichte: Glos war in Stellvertretung der Kanzlerin zu einem Empfang unterwegs. Die Nerven lagen also schon seit geraumer Zeit blank und immer wieder beklagte Glos sich öffentlich darüber, von der Bundeskanzlerin nicht ernstgenommen zu werden: “Frau Merkel hat mich immer wieder zurückpfeifen lassen." Seehofer und Glos hielten schon lange nichts voneinander und in einer Lokalzeitung aus Ingolstadt, der Heimatstadt Seehofers im nördlichen Oberbayern, spekulierte der CSU-Vorsitzende bereits über eine Glos-Nachfolge, als von einem Rücktritt noch keine Rede sein konnte. Der letzte Schachzug Glos’ diente so womöglich der Wahrung einer weiteren Besonderheit der CSU: ihrem starken regionalen Proporz. Seehofer hatte einen Oberbayern als möglichen Glos-Nachfolger ins Gespräch gebracht. Glos aber ist Franke, einer der bayerischen “Stämme", die sich traditionell vernachlässigt fühlen, weshalb Bayern sich bei ihnen durch ein Überangebot an Führungspositionen entschuldigt. Nun aber scheint die Welt der Provinz-Politik wieder in Ordnung zu sein: der designierte Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist Franke und mit 37 Jahren sehr jung, was dem Oberbayern Seehofer sehr gut gefällt, der nach der enormen Wahlschlappe seiner Partei bei den Landtagswahlen letzten Herbst mit aller Kraft eine Verjüngung der Parteiführung anstrebt.
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